Was Frankreichs Wahlen für Europa heißen

Weiter so oder Kurswechsel?

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Erklärung im Elysee-Palast in Paris. Foto: epa/Christophe Petit Tesson / Pool
Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer gemeinsamen Erklärung im Elysee-Palast in Paris. Foto: epa/Christophe Petit Tesson / Pool

PARIS: Nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel stehen in Deutschland die Zeichen auf Neuausrichtung. Deutschlands starker Partner in der EU wählt ebenfalls. Steht ein Präsidentenwechsel in Frankreich und damit womöglich eine Zeitenwende in der EU bevor?

Die Aussichten für Europa könnten aus Frankreich betrachtet rosiger sein. Denn abgesehen vom amtierenden Staatschef und EU-Freund Emmanuel Macron haben zurzeit vor allem zwei Europaskeptiker die Nase in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl im kommenden April vorne. Namentlich das Schwergewicht der französischen extremen Rechten, Marine Le Pen, und der politische Neuling und Rechtspopulist Éric Zemmour. Was bedeutet das auch angesichts des Regierungswechsels in Deutschland für die Europäische Union?

Während Le Pen im Wahlkampf 2017 noch mit einem «Frexit», einem französischen EU-Austritt warb, ist die Rechtsaußenpolitikerin inzwischen davon abgekommen. Seit Jahren versucht sie, ihre Partei auf einen gemäßigteren Kurs und damit zu Wahlerfolgen zu führen. Die Neuausrichtung ging gar mit einem Namenswechsel ihrer Partei einher. War Le Pen 2017 noch Kandidatin des Front National, geht sie nun für das Rassemblement National ins Rennen.

Dennoch sucht Le Pen vor allem mit denen den Schulterschluss, die mit der EU auf Konfrontationskurs stehen - Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban etwa oder Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki. So spricht sie von imperialistischen Visionen aus Brüssel, fordert mehr Souveränität für Frankreich. Ihr Ziel als Präsidentin ist ein Europa der Nationen, in dem Länder nur dann bei gemeinsamen Projekten mitmachen, wenn es ihnen passt. In den Umfragen liegt sie aktuell zwischen 20 und 22 Prozent. Sie kandidiert zum dritten Mal für die Präsidentschaft.

Auch Zemmour dürfte eher auf Kuschelkurs mit Europas Rechtsnationalen als mit der deutschen Regierung oder den EU-Institutionen gehen. Noch bleibt der Publizist beim Thema EU aber vage. Doch auch er fordert etwa den Vorrang französischen Rechts vor der EU-Gesetzgebung. Der Provokateur, der immer wieder mit rechtspopulistischen Aussagen für Empörung sorgt, erklärte sich am Dienstag zum Kandidaten für die Wahlen. In den Umfragen lag er zeitweise sogar vor Le Pen, sackte zuletzt aber auf 12 bis 15 Prozent ab.

Dem Pro-Europäer Macron gelang 2017 bei seiner ersten Kandidatur der Sieg. Wohl auch, weil sein schärfster Konkurrent neben Le Pen, der Konservative François Fillon, kurz vor der Wahl erheblich von Enthüllungen über eine mutmaßliche Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope auf Parlamentskosten geschwächt wurde.

Immer wieder hatte Macron in seiner ersten Amtszeit aber mit politischen Krisen zu kämpfen. Da waren die wochenlangen, teils gewaltvollen Gelbwestenproteste, Demonstrationen gegen die Rentenreform und eine Affäre um einen ehemaligen Sicherheitsmitarbeiter. Trotz seines Willens, die Politik umzukrempeln, blieben Kritik an Regierungsstil und dem System der französischen Politikelite haften.

Konservativen, Sozialisten und Grünen werden bei den Wahlen derzeit keine Chancen auf den Sieg ausgerechnet. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten dümpeln teils zwischen fünf und zehn Prozent. Die Republikaner können noch auf etwas mehr als das hoffen, sind aber hinter Macron, Zemmour und Le Pen abgeschlagen.

Favorit für die Wahlen ist deshalb nach wie vor Macron, den in Umfragen etwa ein Viertel der Französinnen und Franzosen unterstützen. In Frankreich gibt es für gewöhnlich zwei Runden bei den Präsidentschaftswahlen. Geht kein Kandidat und keine Kandidatin aus der ersten Abstimmung mit absoluter Mehrheit hervor, fällt die Entscheidung in einer Stichwahl. Dass in einer zweiten Wahlrunde eine Mehrheit der Bevölkerung mit Zemmour oder Le Pen Rechtsaußen wählt, gilt als unwahrscheinlich. Macrons Wiederwahl scheint daher in der aktuellen Situation nicht gefährdet.

Entsprechend macht man sich in Brüssel momentan keine Sorgen, dass die wichtige Achse Berlin-Paris künftig wegfällt, Deutschland und Frankreich keine Ziehpferde der EU mehr sein werden. Trotz der Wechsel-Rhetorik in Deutschland steht das EU-Engagement der künftigen Ampel-Koalition außer Frage. Und bevor es in Frankreich an die Wahlurnen geht, kann das Land der EU noch einmal seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken, wenn zum neuen Jahr die französische EU-Ratspräsidentschaft beginnt.

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Ingo Kerp 02.12.21 14:10
Nach Merkels Abgang, die es den Franzosen in letzter Zeit wirklich nicht leicht gemacht hat, koennte die neue Achse Paris - Rom heißen. Zwei Schwergewichte innerhalb der EU, die es DE nicht leicht machen würden bei Einigkeit.