TOURISMUS

TOURISMUS

Als ich noch ein Kind war, gab es kleine Reisen oder Ausflüge zu Verwandten. Tourismus war für mich noch viele Jahre lang ein Fremdwort, und auch einen Urlaub konnten sich damals nur die wenigsten leisten. Heute ist es fast normal, dass Kinder schon im Vorschulalter mit ihren Eltern ins Ausland reisen. Das ist begrüßendswert, denn wer möchte nicht gerne einen Blick in andere Länder werfen. Die Welt ist mobil geworden, viele bejubeln den Massentourismus, aber immer mehr Menschen erkennen darin auch eine Gefahr.

Thailand, meine Wahlheimat gehört schon seit vielen Jahrzehnten zu den bevorzugten Urlaubsländern. Die Touristenzahlen stiegen und steigen – mit der Unterbrechung durch die Pandemie – von Jahr zu Jahr. Die zuständige Behörde, TAT (Tourism Authority of Thailand) hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Besucherquote jährlich um 10 Prozent zu erhöhen. Dazu werden immer mehr TAT-Büros im Ausland eröffnet, um immer mehr Menschen für einen Urlaub im Land des Lächelns zu begeistern. Der Tourismus bringt viel Geld ins Land. Millionen Menschen leben davon. Aber der Massentourismus bringt auch massive Probleme mit sich.

Das gilt nicht nur für Thailand. Viele Städte sind dem Massenansturm nicht mehr gewachsen. Einige Touristen-Hotspots, wie beispielsweise Venedig, haben damit begonnen, Tagesquoten für Besucher festzulegen oder die Zufahrt von Kreuzfahrtschiffen zu drosseln. Viele Bewohner, die nicht vom Tourismus leben, fühlen sich verdrängt und verlassen während der Saison ihr Zuhause, sei es in Paris, in Lissabon oder anderen Städten.

Dabei hat die Natur längst unübersehbare Stoppschilder errichtet als Antwort auf die von Menschen verursachten Klimaänderungen: Umweltzerstörung, Dürren und Überschwemmungen. Trotzdem ist der Massentourismus nicht aufzuhalten. Ich habe volles Verständnis für die Menschen, die hier in Thailand ihre Ferien verbringen wollen, verstehe ihre Sehnsucht nach Sonne, Palmen und Meer. Ich gehöre dieser Gruppe ja selbst an, aber gleichzeitig weiß ich, dass es so nicht weitergehen kann.

Die Hotelbranche baut und boomt und könnte den erwarteten Ansturm vielleicht verkraften. Auch die Hochhäuser schießen wie Pilze aus der Erde, aber die Infrastruktur wird schon bald überfordert sein. Enorme Anstrengungen der Energiewirtschaft sind erforderlich, um die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen. Bislang weist wenig darauf hin, dass auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht werden. Ältere Semes­ter erinnern sich vielleicht noch an staatlich verordnete Stromsperren während des letzten Krieges. Ausgeschlossen ist das auch in Thailand nicht. Ebenso bedroht ist die Versorgung mit Trinkwasser. Schon jetzt versickert ein Drittel dieses kostbaren und lebenswichtigen Nahrungsmittels wegen defekter Leitungen im Boden. Andernorts hat die Knappheit bereits dazu geführt, dass Schwimmbecken nicht mehr befüllt werden dürfen, dass Duschen in Hotels stundenweise abgeschaltet werden und das Sprengen von Rasen und das Bewässern von Gärten verboten ist. Und dabei wird es nicht bleiben: Wegen des verdreckten Wassers in den stadtnahen Zentren Thailands verzichten viele Touristen heute schon auf ein erfrischendes Bad im Meer. Der Anblick an den Rändern der Städte schockiert: Rücksichtslose Thais entsorgen ihre Abfälle illegal in der Landschaft. Als ich vor kurzem einen Mercedes beobachtete, dessen Fahrer säckeweise Bauschutt neben der Landstraße ablud, zückte ich meine Kamera. Nur mit viel Glück konnte ich fliehen und mich in Sicherheit bringen. Bei einer Überfahrt nach Koh Larn traute ich meinen Augen nicht: Die Mannschaft eines Entsorgungsschiffs, das die Abfälle der Insel ans Festland bringen sollte, hatte den gesamten Dreck ins Meer gekehrt. Auf einem Gebiet von fast einem Quadratkilometer waberte der Unrat auf den Wellen.

Allen ökologischen Warnungen zum Trotz werden immer noch Wälder abgeholzt, um in Gegenden neue Wohnsiedlungen zu errichten, die bisher weitgehend vom Tourismus verschont geblieben sind. Es ist nur ein kleiner Trost, dass gleichzeitig Millionen neuer Bäume angepflanzt werden. Denkt denn niemand daran, dass am Ende vielleicht weniger Menschen in diesem Land Erholung suchen werden und in andere Reiseziele abwandern könnten? Vietnam und Laos bereiten sich schon lange darauf vor. Aber auch Singapur, Japan und Südkorea wollen Ihren Teil vom Kuchen. Immer noch kommen Touris­ten massenweise aus China, Russland, Indien und anderen Ländern nach Thailand, und die TAT verkündet stolz immer neue Besucherrekorde. Auch der Inlandtourismus nimmt wieder Fahrt auf. Und wer weiß, vielleicht trägt ja auch die Freigabe von Cannabis dazu bei, neue Besucherschichten ins Land zu locken.

Als überzeugter Thailandfan wünsche ich mir von der TAT, erste minimale, aber notwendige Umweltpläne durchzusetzen, touristische Einschränkungen, das heißt, mehrmonatige Sperrungen der Naturschutzgebiete zu verfügen, Fangpausen im Golf von Siam festzulegen und den Schutz der Korallen zu gewährleisten. Das wäre ein Anfang, um den Klimawandel aufzuhalten.

Meine realistische Beschreibung unserer Gegenwart und Zukunft mag viele nachdenklich stimmen und erschre­cken. Auch mich erschreckt sie. Aber es nützt nichts, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen und sich die Welt schön zu malen.

Ich werde, solange meine Gesundheit es erlaubt, immer wieder nach Thailand kommen. Ich weiß, das ist nicht nachhaltig. Aber was soll ich machen:

Ich hab' mein Herz nicht in Heidelberg sondern an Thailand verloren.

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