Rückkehr in ein Land ohne Zukunft 

​Pakistan schiebt Afghanen ab

Menschen retten ihr Hab und Gut, nachdem die pakistanischen Behörden die von afghanischen Flüchtlingen errichteten Siedlungen ohne Papiere kurz vor Ablauf der Frist für die Ausweisung von Einwanderern ohne Papiere in I... Foto: epa/Sohail Shahzad
Menschen retten ihr Hab und Gut, nachdem die pakistanischen Behörden die von afghanischen Flüchtlingen errichteten Siedlungen ohne Papiere kurz vor Ablauf der Frist für die Ausweisung von Einwanderern ohne Papiere in I... Foto: epa/Sohail Shahzad

ISLAMABAD/KABUL: Jahrzehntelang lebten in Pakistan Millionen afghanischer Flüchtlinge, die vor den Kriegen in ihrer Heimat geflohen waren. Nun will Pakistan sie plötzlich mit Massenabschiebungen loswerden. Für viele ist es eine Rückkehr in die Ungewissheit.

Die Angst geht um in Peschawar Mor. Der ärmliche Ortsteil der pakistanischen Hauptstadt Islamabad mit seinen staubigen Straßen ist geprägt von den Flüchtlingen aus dem Nachbarland Afghanistan. Restaurants mit afghanischer Küche reihen sich an Geschäfte mit farbenfreudigen Trachten. Wo sonst buntes Treiben herrscht, ist heute eher Beklemmung zu spüren - die Furcht vor den pakistanischen Behörden, die seit Wochen hart gegen die Geflüchteten vorgehen. Und die Sorge über eine ungewisse Zukunft.

«Die Polizei kontrolliert ständig die Nachbarschaft», erzählt die 23-jährige Seyneb. Auch andere Bewohner des Viertels beklagen ein bedrohliches Vorgehen der Behörden. Sie zeigen Papiere, die sie als registrierte Flüchtlinge ausweisen. Wie viele sieht Seyneb seit der Ankündigung der Massenabschiebungen keine Zukunft mehr in Pakistan. Sie leidet unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen.

Wie ihr Leben nach einer Rückkehr in das von den islamistischen Taliban regierte Afghanistan aussehen soll, wisse sie nicht. «Ich hoffe, dass ich bald in die USA reisen kann», sagt Seyneb. Ihr Mann lebe schon dort. Jedoch warte sie bereits seit zehn Monaten auf die erhoffte Zusammenführung.

Anfang Oktober gab die pakistanische Regierung bekannt, Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus abschieben zu wollen, wenn sie nicht bis zum 1. November freiwillig ausreisen. Die Maßnahme zielt vor allem auf die Afghanen ab, die den größten Anteil irregulärer Migranten in Pakistan ausmachen. Nach Regierungsangaben leben etwa 4,4 Millionen afghanische Geflüchtete im Land, 1,7 Millionen davon ohne gültige Papiere.

«Pakistan hat rechtlich und ethisch jedes Recht, Ausländer zurückzuschicken, die sich illegal in dem Land aufhalten», wird Pakistans Premierminister Anwaarul Haq Kakar in Medien zitiert. Mehr als 250.000 Afghanen haben unter dem Druck der Massenabschiebungen bereits das Land verlassen, viele davon trotz gültiger Papiere.

Die pakistanische Anwältin Munisa Kakar setzt sich für Afghanen ein. Sie berichtet, dass vor allem die willkürliche Schikane durch Behörden viele Flüchtlinge aus dem Land dränge - auch wenn Regierungsvertreter betont hatten, keine Afghanen abschieben zu wollen, denen Verfolgung durch die Taliban drohe. Polizisten führten Razzien durch und verlangten Schmiergeld, berichtet die Anwältin. Viele Familien verließen kaum noch das Haus. Selbst Afghanen mit Aufnahmezusagen für andere Länder seien bereits festgenommen worden.

Mehr als zwei Jahre nach dem Fall Kabuls an die Taliban warten in Pakistan auch weiterhin noch Tausende Afghanen, die für die internationalen Truppen in Afghanistan tätig waren, auf eine Weiterreise in die USA, Großbritannien, Deutschland oder Kanada.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International weist darauf hin, dass ein Aufenthalt in Pakistan für viele afghanische Frauen und Mädchen die einzige Chance auf höhere Bildung sei. Dennoch seien sie nicht vor Abschiebungen und Willkür durch Behörden sicher. In Afghanistan sind unter den Taliban die Universitäten und die Schulen ab der siebten Klasse für Frauen und Mädchen geschlossen.

Offiziell nennt Pakistan Sicherheitsbedenken als Grund für die Abschiebungskampagne, die nur wenige Monate vor den Parlamentswahl im Februar stattfindet. Die Atommacht kämpft neben einer schweren Wirtschaftskrise mit einem Erstarken der pakistanischen Taliban (TTP) und macht dafür auch afghanische Geflüchtete verantwortlich.

Der politische Analyst Irfan Shahzad sieht in den Abschiebungen vor allem eine Methode, die Taliban-Regierung im Nachbarland unter Druck zu setzen. Die Regierung in Islamabad wirft den Machthabern in Kabul vor, der TTP auf ihrem Boden Schutz zu gewähren. Außerdem lasten pakistanische Behörden afghanischen Geflüchteten an, Dollar nach Afghanistan zu schmuggeln und damit in Pakistan die lokale Währung zu destabilisieren.

250 Kilometer von Islamabad entfernt, am Grenzübergang Torcham, steht für viele Familien die Rückkehr nach Afghanistan unmittelbar bevor. Braune Berge zeichnen sich gegen den blauen Himmel ab. Männer laden gefüllte Säcke und Decken auf buntbemalte Lastwagen. In Burkas gehüllte Frauen sitzen mit ihren Kindern auf Bänken und auf dem Boden. Auch Ismail Khan wartet mit seiner Frau und seinen drei Kindern darauf, die Grenze Richtung Afghanistan zu überqueren.

In Pakistan sei er geboren worden, erzählt der junge Mann, seine Frau sei Pakistani. In Afghanistan habe Khan keinen Ort, den er Zuhause nennen könnte. Als Behörden mithilfe der örtlichen Moschee Afghanen dazu aufriefen, das Land zu verlassen, wusste Khan jedoch, dass auch seine Familie in Pakistan nicht mehr willkommen sei. Seiner Frau Tansila, die wenige Meter entfernt auf einem Feldbett sitzt, fällt es besonders schwer, ihrem Heimatland und ihrer Familie den Rücken zu kehren. «Ich muss ständig weinen», sagt sie.

Hilfsorganisationen warnen angesichts der sinkenden Temperaturen vor dramatischen Bedingungen für die Rückkehrer. Afghanische Behörden haben Flüchtlingslager mit Zelten, Schulen und Krankenstationen aufgebaut. Jede afghanische Familie soll laut Aussage der Regierung bei ihrer Rückkehr eine örtliche Sim-Karte für das Handy und umgerechnet etwa 127 Euro erhalten.

Dennoch habe Afghanistan kaum Ressourcen, die große Anzahl an Rückkehrern aufzufangen und ihnen langfristig zu helfen, ein neues Leben aufzubauen, warnt die Hilfsorganisation World Vision. Die humanitäre Lage in Afghanistan gilt als prekär. Ein Großteil der Bevölkerung ist ohnehin auf Hilfe angewiesen. Eine Serie von Erdbeben im Westen des Landes zerstörte ganze Ortschaften und setzte dem geschundenen Land zusätzlich zu.

Sorgen macht sich auch Kamran Khan, der in der Stadt Peschawar im Nordwesten Pakistans Gemüse auf dem Markt verkauft. Der Sohn afghanischer Eltern bangt angesichts der Massenabschiebungen vor allem um die Zukunft seiner Kinder. In Pakistan sei er registriert, dennoch habe ihn die Polizei einmal willkürlich aufgegriffen. «Meine Familie und mein Haus sind in Pakistan, in Afghanistan war ich hingegen noch nie», sagt der Mann. «Dorthin zu müssen, wäre für mich, wie ins Gefängnis zu gehen.»

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