Raumstation in Rente? Russland, die USA und die Zukunft der ISS

Foto: Pixabay/Wikiimages
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MOSKAU/WASHINGTON: Seit mehr als 20 Jahren kreist die Raumstation ISS um die Erde. 2024 soll die internationale Zusammenarbeit enden. Was danach passiert, ist völlig unklar. Ist die ISS zum Spielball der Politik geworden?

Wenn der deutsche Astronaut Matthias Maurer im Herbst zur Internationalen Raumstation fliegt, dann ist die Zukunft der ISS ungewisser denn je. Russland hat zuletzt wenig Interesse gezeigt an einem Weiterbetrieb. Moskau will eine eigene Station ins All schicken. Wann? Das ist noch unklar. Andere Länder sollen dort allenfalls noch zu Gast sein, aber nicht mitreden dürfen. Die ISS ist längst zum Spielball in den von vielen Konflikten belasteten amerikanisch-russischen Beziehungen geworden.

Wie angespannt die Zusammenarbeit mittlerweile ist, zeigen die Drohungen des Chefs der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos. «Entweder arbeiten wir zusammen - und dann müssen die Sanktionen sofort zurückgenommen werden», sagte Dmitri Rogosin kürzlich. Oder wenn nicht, dann sei Washington dafür verantwortlich, dass Moskau aus der Kooperation aussteige. Lange galt die Raumfahrt als eines der wenigen Beispiele, wo es noch gut läuft zwischen Moskau und Washington.

Der neue Chef der US-Raumfahrtbehörde Nasa, Bill Nelson, versucht zu besänftigen. Er habe schon mehrere «sehr freundliche» Gespräche mit Rogosin gehabt, sagte Nelson jüngst in einem Interview. «Ich möchte, dass die Russen unsere Partner bleiben. Sie sind ein sehr wichtiger Partner bei der ISS.»

Aber Russland ärgert sich schon lange über US-Strafmaßnahmen, von denen sich russische Raumfahrtunternehmen auf den internationalen Märkten ausgebremst sehen. Dabei geht es um lukrative Aufträge, um die sich die Russen gebracht sehen. Die USA hatten Strafmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ostukraine verhängt. Auch Rogosin selbst wurde auf die US-Sanktionsliste gesetzt. Die Nasa hatte vor zwei Jahren eine Einladung an Rogosin für einen Besuch nach Texas auf politischen Druck hin zurückgezogen.

Immerhin bleiben die Chefs der beiden großen Raumfahrtbehörden im Gespräch. Und es solle auch Fortschritte bei den Verhandlungen über Lieferungen russischer Raketenantriebswerke an die USA geben, hieß es zuletzt. Erst vor kurzem hat Russland ein neues Forschungsmodul mit dem Namen «Nauka» (Wissenschaft) zur ISS geschickt. Es sollte eigentlich schon seit Jahren im All arbeiten. Dass es nun doch vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur abgehoben ist, deuten einige Beobachter als Zeichen, dass Russland an der ISS festhalten könnte.

In Moskau ist die ISS zuletzt oft als anfällig und altersmüde abgestempelt worden. Seit Monaten werden im russischen Sektor undichte Stellen untersucht. Experten glauben, dass kleine Teile im All gegen die Außenhülle geprallt sind und deshalb die Lecks entstanden sind.

Ein Grundstein für den Außenposten der Menschheit in 400 Kilometer Höhe wurde am 20. November 1998 gelegt, als eine russische Proton-Rakete das erste Bauteil ins All brachte. Bis 2024 haben die internationalen Partner ihre Zusammenarbeit verabredet. Roskosmos teilt nun der Deutschen Presse-Agentur mit: Eine Entscheidung über die Zukunft werde nach 2024 getroffen auf der Grundlage des technischen Zustands der einzelnen Module, die «schon größtenteils das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben». «Wenn wir die Entscheidung getroffen haben, dann werden wir mit unseren Partnern Verhandlungen über die Bedingungen und Formen der Zusammenarbeit nach 2024 aufnehmen.» Neben den USA, Russland, Kanada und Japan sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa an der ISS beteiligt.

Manche sehen eine Kommerzialisierung als Zukunftsperspektive für die ISS - nach dem Motto: vermieten statt versenken.

So soll es schon bald zwei Missionen mit Weltraumtouristen geben. Für Dezember ist ein Sojus-Flug mit zwei japanischen Besuchern zur Station geplant. Und im Januar sollen drei Gäste aus den USA, Israel und Kanada mit einem «Crew Dragon» der privaten Firma SpaceX zur ISS starten. Bereits im Oktober will eine russische Filmcrew ins All fliegen und in den Modulen drehen. Das US-Unternehmen Axiom Space, das an einer eigenen All-Station baut, will Teile davon zunächst an der ISS andocken.

Für andere verstellt das zähe Ringen um die Zukunft des Labors die Frage nach den nächsten Zielen der bemannten Raumfahrt. Soll der Mensch erstmals seit 1972 wieder auf den Mond? Oder auf den Mars? Lassen sich die Kräfte der Raumfahrtmächte USA, China und Russland sowie von Esa, Japan und Kanada bündeln? 20 Jahre nach dem kontrollierten Absturz der Station «Mir» in den Pazifik binde die ISS wichtige Ressourcen, meinen Kritiker. Es fehle eine Vision, wie es weitergehe.

Auch die neue US-Regierung unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden hat in dieser Hinsicht noch keine genaue Vision durchscheinen lassen. Von Vorgänger Donald Trump wurde die Vorgabe geerbt, bis 2024 wieder zum Mond und dann zum Mars zu fliegen und am Mond auch eine eigene fliegende Basis aufzubauen. Das wurde erstmal - wenn auch mit flexiblerem Zeitplan - übernommen und würde in den kommenden Jahren viele finanzielle Mittel binden.

Nasa und auch der kommerzielle Partner Boeing betonen allerdings anders als Russland, dass die ISS zumindest vom Material her theoretisch noch bis mindestens 2028 aber auch über 2030 hinaus einsatzfähig sei. «Meiner Meinung nach wäre es eine Tragödie, wenn wir nach all dieser Zeit und all diesen Anstrengungen die niedrige Umlaufbahn der Erde verlassen und das Territorium aufgeben würden», gab Jim Bridenstine, vor Nelson Chef der Nasa, seinem Nachfolger mit auf den Weg. «Wir werden die ISS nicht mit einer neuen 100-Milliarden-Dollar-Station ersetzen. Der Übergang muss kommerzielle Stationen bedeuten. Nicht nur eine, sondern mehrere.»

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