Pakistan demoliert Flüchtlingslager

Zehntausende vor der Ausreise

Menschen retten ihr Hab und Gut, nachdem die pakistanischen Behörden die von afghanischen Flüchtlingen errichteten Siedlungen ohne Papiere in Islamabad zerstört haben. Foto: epa/Sohail Shahzad
Menschen retten ihr Hab und Gut, nachdem die pakistanischen Behörden die von afghanischen Flüchtlingen errichteten Siedlungen ohne Papiere in Islamabad zerstört haben. Foto: epa/Sohail Shahzad

ISLAMABAD: Nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban im August 2021 flüchteten Tausende Afghanen ins Nachbarland Pakistan. Denjenigen, die keinen Aufenthaltsstatus haben, droht nun die Abschiebung. Die Behörden treiben ihre Pläne trotz massiver Kritik voran.

Pakistans Behörden haben angesichts geplanter Massenabschiebungen Flüchtlingslager demolieren lassen. In der Hauptstadt Islamabad rückte die Stadtverwaltung am Mittwoch in einem Randbezirk mit Bulldozern an, wie Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichteten. Zarhgey Gul, Vater von sechs Kindern sagte: «Ich bin in Islamabad geboren und aufgewachsen.» Er gehöre nicht zu den Flüchtlingen, die ohne Papiere hier sind. Zu einer Rückkehr nach Afghanistan werde er nun trotzdem gedrängt. «Meine Kinder haben Angst», sagt der Mann. «Sie wissen, dass wir uns auf eine schreckliche Reise aufmachen.»

Unter dem Druck der angedrohten Massenabschiebung verließen in den vergangenen Tagen bereits Tausende afghanische Flüchtlinge das Land. «Mehr als 10.000 Afghanen haben gestern die Grenze überquert und wir erwarten, dass weitere 25.000 heute folgen werden», sagte ein Vertreter der pakistanischen Flüchtlingsbehörde am Mittwoch. 50 Lastwagen voller Menschen warteten nach Angaben eines Grenzbeamten in Torkham, an einem der wichtigsten Grenzübergänge zwischen beiden Ländern.

In weiten Landesteilen Pakistans wurden unterdessen Abschiebezentren eingerichtet. In der Grenzprovinz Baluchistan seien Razzien von «Tür zu Tür» erfolgt, sagte der regionale Informationsminister Jan Achakzai vor Reportern. Auch in der Hafenmetropole Karachi und in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa erfolgten laut Behörden zahlreiche Festnahmen.

Die pakistanische Regierung hatte jüngst angekündigt, Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus abzuschieben, wenn sie nicht bis Ende Oktober freiwillig das Land verlassen haben. Die Maßnahme zielt vor allem auf Afghanen aus dem von den islamistischen Taliban beherrschten Nachbarland, die in Pakistan den größten Anteil irregulärer Migranten ausmachen. Die Regierung macht mit den Plänen Stimmung vor der für Januar geplanten Parlamentswahl in dem südasiatischen Land.

Die Taliban forderten unterdessen mehr Zeit für die Ausreise Geflüchteter. «Wir fordern Sie erneut auf, Afghanen nicht ohne Vorbereitung zwangsweise abzuschieben, sondern ihnen genügend Zeit zu geben», hieß es in einer von der autoritären Taliban-Regierung veröffentlichten Erklärung am Mittwoch. Talibansprecher Sabiullah Mudschahid versicherte Afghanen Sicherheit, die das Land «wegen politischer Streitigkeiten» verlassen hatten. Eine hochrangige Delegation reiste demnach in die Grenzregion, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Aktivisten warfen der pakistanischen Polizei vor, selbst Geflüchtete mit Ausweispapieren zu schikanieren. «Jeder wird verdächtigt», sagte Moniza Kakar, eine Anwältin aus der östlichen Millionenmetropole Karatschi, die Flüchtlinge vor Gericht vertritt. Dutzende von Flüchtlingen mit legalen Papieren, deren provisorische Lehmhäuser von der Verwaltung unter Aufsicht der Polizei abgerissen werden, um sie zu vertreiben, schlossen sich ihrer Meinung an.

Die Pläne der Regierung waren zuvor auf breite Kritik gestoßen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte den Umgang der Behörden mit afghanischen Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus. Diese würden durch Drohungen, Missbrauch und Verhaftungen dazu gedrängt, nach Afghanistan zurückzukehren. UN-Experten warnten, dass vielen geflüchteten Afghanen in ihrer Heimat Misshandlungen drohten. In der Provinzhauptstadt Quetta demonstrierten am Dienstag Tausende gegen die Abschiebungspläne, wie der Abgeordnete Mohsin Dawar auf X, ehemals Twitter, mitteilte.

Nach Regierungsangaben leben etwa 4,4 Millionen afghanische Geflüchtete im Land, 1,7 Millionen davon ohne gültige Papiere. Seit Beginn der Ankündigung haben laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereits mehr als 120.000 Afghanen das Land verlassen.

Menschenrechtler warnten, dass von diesem Mittwoch an nun auch Afghanen die Abschiebung drohe, die in Pakistan auf eine Weiterreise in die USA, Großbritannien, Deutschland oder Kanada warteten. Großbritannien hatte vor Ablauf der Frist nach pakistanischen Behördenangaben Afghanen mit Aufnahmezusage aus dem Land ausgeflogen.

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