«Neustart» der EU

Linke will Programm für Europawahl beschließen

Delegierte der Linkspartei sitzen im Plenum vor dem Logo der Partei. Foto: Oliver Berg/Dpa
Delegierte der Linkspartei sitzen im Plenum vor dem Logo der Partei. Foto: Oliver Berg/Dpa

BONN (dpa) - Mehr, weniger oder gar keine Europäische Union: Die Positionen zu Europa gehen in der Linken weit auseinander. Am Samstag muss eine gemeinsame Linie gefunden werden.

Drei Monate vor der Europawahl stellt die Linke am Samstag die Weichen für ihren Wahlkampf. Auf einem Parteitag in Bonn stimmen die 580 Delegierten über das Wahlprogramm mit der Forderung nach weitgehenden Reformen der Europäischen Union ab und wählen die beiden Spitzenkandidaten. Der Vorstand hat dafür mit dem 43-jährigen Europaparlamentarier Martin Schirdewan und der 34-jährigen Gewerkschaftssekretärin Özlem Alev Demirel zwei relativ unbekannte Politiker aufgestellt. Gegenkandidaten gibt es nicht.

Zum Auftakt des Parteitags hatte Parteichefin Katja Kipping am Freitag ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union abgegeben. «Wir wollen kein Auseinanderbrechen der EU», sagte sie. «Wenn wir die konkrete EU-Politik kritisieren, dann niemals mit dem Ziel, dass es zurück in das Nebeneinanderher von Nationalstaaten geht.»

Die Sätze waren auch Mahnung an die EU-Kritiker vom linken Flügel der Partei, die teilweise einen harten Anti-EU-Kurs einfordern. Nur mit Mühe konnte die Parteispitze vor dem Parteitag verhindern, dass der EU in der Präambel des Wahlprogrammentwurfs «militaristische, undemokratische und neoliberale» Grundlagen zugeschrieben werden. Der Satz findet sich nun in abgeschwächter Form in der Einleitung wieder. Es wird aber weiterhin ein «Neustart» der EU gefordert.

In der Linken gibt es eine große Bandbreite von Positionen zur EU: Vertreter des radikalen linken Flügels halten die Staatengemeinschaft für ein Produkt des Kalten Krieges und für nicht reformierbar. Andere aus dem gemäßigten Reformerlager wollen dagegen sogar eine Republik Europa - und damit viel mehr europäische Zusammenarbeit als bisher. Sozial- und Arbeitsrechte, Steuern und Außenpolitik sollen ihrer Meinung nach europäisch geregelt werden.

Die Debatte über das Wahlprogramms begann bereits am Freitagabend. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich warnte seine Partei davor, sich von der EU abzuwenden. «Wir dürfen doch Europa nicht den Nationalisten überlassen», sagte er. «Unser Job ist es, die Europäische Union zu retten und nach links zu verschieben.»

Der Bremer Delegierte Sebastian Rave setzte sich dagegen für eine Abschaffung der EU ein: «Die EU kann nicht neu gestartet werden, sondern muss überwunden werden und durch ein solidarisches Europa von unten ersetzt werden.»

Die prominenteste Vertreterin der EU-Kritiker fehlt auf dem Parteitag allerdings. Die Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat ihre Teilnahme wegen einer Erkrankung abgesagt. Neben dem Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch werden am Samstag auch der Vorsitzende der Europäische Linken, Gregor Gysi, und Parteichef Bernd Riexinger sprechen.

Das Programm für die Wahl am 26. Mai soll den Titel «Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine Europäische Union der Millionäre» tragen. Das sind die Kernpunkte:

ARBEIT Die Linke will alle EU-Staaten verpflichten, Mindestlöhne von 60 Prozent des Durchschnittsgehalts einzuführen. Für Deutschland würde das einen Mindestlohn von 12 Euro bedeuten. Staaten, deren Arbeitslosenquote über fünf Prozent liegt, sollen ein öffentliches Beschäftigungsprogramm starten und Arbeitszeiten verkürzen.

MIETEN Die Mitgliedsstaaten sollen verpflichtet werden, für bezahlbare Wohnungen für alle zu sorgen, die sie brauchen.

STEUERN Internetgiganten wie Apple, Amazon, Facebook und Google sollen die gleichen Steuern zahlen wie andere Unternehmen - Profite sollen sie in den Ländern versteuern, in denen es Nutzer gibt. Außerdem soll es EU-weite Mindeststandards für die Besteuerung von Spitzenverdienern geben.

UMWELT Die Linke will einen größeren Anteil erneuerbarer Energien. Der Kohleausstieg soll europaweit sofort beginnen und bis 2030 oder 2035 abgeschlossen sein. Auch Atomkraft und Fracking erteilen die Linken eine Absage.

VERKEHR Bus und Bahn soll man in der Städten kein Ticket mehr benötigen. Finanziert werden soll das beispielsweise durch Steuern, eine Abgabe ähnlich des Rundfunkbeitrags, die Umlage auf Unternehmen oder Parkgebühren. Autofreie Innenstädte sollen gefördert und ein Großteil des innereuropäischen Flugverkehrs auf die Schiene verlagert werden.

FLÜCHTLINGE und MENSCHENRECHTE Die Linke will ein europäisches Seenot-Rettungsprogramm auflegen. Die Kommunen sollen für jeden aufgenommenen Flüchtling eine Pauschale für Bildung, Wohnen und Infrastruktur bekommen. Asylbewerber sollen nicht in Rückkehr-, Transitzentren oder ähnlichem untergebracht werden.

ABRÜSTUNG Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete sollen sofort gestoppt werden.

DEMOKRATIE Die Linke will EU-weite Volksbegehren und -entscheide. Die EU soll eine neue Verfassung bekommen. Das Europäische Parlament soll selbst Gesetzesprozesse anstoßen dürfen.

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