Tausende Kanadier fliehen vor Waldbränden

​Menschenleere Städte 

Canadian Armed Forces zeigt Mitglieder der kanadischen Streitkräfte bei der Errichtung von Brandschneisen. Foto: epa/Master Corporal Alana Morin
Canadian Armed Forces zeigt Mitglieder der kanadischen Streitkräfte bei der Errichtung von Brandschneisen. Foto: epa/Master Corporal Alana Morin

VICTORIA: In Kanada bewegen sich heftige Waldbrände unerbittlich auf zwei Städte zu. In West Kelowna gibt es erste Berichte von zerstörten Gebäuden. Die Stadt Yellowknife am nördlichen Polarkreis ist unterdessen schon fast komplett verlassen.

In mehreren Provinzen Kanadas zerstören verheerende Waldbrände derzeit Häuser und vertreiben Tausende Menschen aus ihrer Heimat. Im Zentrum des Geschehens standen am frühen Samstagmorgen (Ortszeit) zwei Städte, auf die sich die Flammen immer weiter zubewegten: Die Region um die Stadt Kelowna in der Provinz British Columbia und die Stadt Yellowknife in den Nordwest-Territorien, einem dünn besiedelten Gebiet am nördlichen Polarkreis.

Die Regierung von British Columbia an der Pazifikküste rief am Freitagabend für die gesamte Provinz den Notstand aus. «In diesem Jahr erleben wir in British Columbia die schlimmste Waldbrandsaison aller Zeiten», hieß es in einer Mitteilung. Die Lage in der Provinz habe sich in den vergangenen 24 Stunden rasant verändert, hieß es. «Wir stehen in den kommenden Tagen vor einer äußerst herausfordernden Situation.»

Das sogenannte McDougall Creek Fire, das am Freitag mehrere Gemeinden an dem bei Touristen beliebten Okanagan-See erreicht hatte, erstreckte sich am Samstagmorgen über eine Fläche von etwa 10.500 Hektar - fast zehnmal so viel wie noch 24 Stunden zuvor.

In der Umgebung der Stadt West Kelowna auf der Westseite des Sees wurden nach Angaben des Senders CBC mehrere Gebäude zerstört, darunter auch das historische Lake Okanagan Resort, das schon Gäste wie die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher beherbergt hatte. Die genaue Anzahl der vom Feuer zerstörten Gebäude war zunächst nicht bekannt.

Bislang gebe es keine Berichte über Tote, sagte der Leiter der örtlichen Feuerwehr, Jason Brolund, am Freitagabend auf einer Pressekonferenz. Jedoch seien Einsatzkräfte zeitweise von den Flammen eingeschlossen gewesen, als sie Anwohner retten mussten, die trotz Evakuierungsanordnungen ihre Häuser nicht verlassen wollten. In der Stadt, für die bereits seit Donnerstag der Notstand galt, leben 36.000 Menschen.

Auch die Stadt Kelowna mit fast 150.000 Einwohnern auf der gegenüberliegenden Seite des Sees ist von Bränden betroffen. Behördenangaben zufolge wird erwartet, dass sich die Feuer noch weiter ausbreiten. In der gesamten Provinz seien 15.000 Menschen aufgefordert worden, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen, hieß es nach Angaben der Behörden, für mehr als 20.000 weitere Menschen in dem Gebiet galt eine Evakuierungswarnung.

Auch in den nördlich angrenzenden Nordwest-Territorien Kanadas wüten heftige Waldbrände nur noch wenige Kilometer vor der Stadtgrenze der Gebietshauptstadt Yellowknife. Nach Angaben des regionalen Umweltministers Shane Thompson war die Stadt am Freitagabend nahezu vollständig verlassen. «Wir haben in den vergangenen 48 Stunden mehr als 19.000 Menschen aus Yellowknife evakuiert», schrieb er auf der Online-Plattform X, die bislang unter dem Namen Twitter bekannt war. Mehr als 15.000 Menschen seien auf dem Landweg geflüchtet, etwa 3800 seien ausgeflogen worden. Etwa 1000 Menschen mit systemrelevanten Tätigkeiten seien in der Stadt und ihrer Umgebung zurückgeblieben.

Dem Feuerökologen Johann Georg Goldammer zufolge sagen Fachleute für Kanada schon seit Jahrzehnten vermehrte Brände voraus. «Das ist vorprogrammiert durch die Austrocknung der Böden, der Wälder und der Feuchtgebiete.» In nördlichen Breiten gebe es in vielen Gebieten eine Grundwasserabsenkung. «Früher gab es Feuerrückkehr-Intervalle von 300 bis etwa 900 Jahren.» Belege dafür seien in Jahrringen von Bäumen und den datierbaren Ablagerungen von Holzkohle zu finden. «Wir sehen jetzt schon eine erhebliche Verkürzung dieser Intervalle.»

«Wir hatten in Kanada ein Klima, das vorwiegend kalt und feucht war», sagt Goldammer, der das Zentrums für Globale Feuerüberwachung am Max-Planck-Institut für Chemie und an der Universität Freiburg leitet. Das verändere sich vor allem durch die Wetterextreme. «Die Ausreißer wie längere Dürreperioden sind entscheidend. Sie versetzen den Wald in höhere Brennbereitschaft.» Weitere Faktoren seien die Dauer der Schneeauflage, die Niederschlagsverteilung und die Temperatur. Kurzfristig spiele zudem Wind eine ganz wichtige Rolle.

Goldammer sprach sich für mehr Vorsorge aus: In Städten wie Lahaina auf Hawaii oder im kanadischen Yellowknife sollten mehr Stein- statt Holzhäuser gebaut werden. «Zudem muss die Stadtrandlage genauso gesichert werden, wie einzelne Häuser.»

Kanada kämpft bereits seit Monaten gegen Waldbrände in mehreren Teilen des Landes. Waldbrände sind in vielen Teilen Kanadas ein jährlich auftretendes Phänomen, bei dem auch immer wieder Menschen in Sicherheit gebracht werden müssen. In diesem Jahr handelt es sich allerdings um die schlimmste bekannte Waldbrand-Saison in der Geschichte des Landes. In den Prärieprovinzen im Westen Kanadas stieg die Durchschnittstemperatur nach Angaben des Ministeriums für Umwelt und Klimawandel seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 1,9 Grad Celsius.

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