Selenskyj umwirbt die Wirtschaftselite

​Krisenforum Davos 

Der Präsident der Ukraine Volodymyr Zelensky (L) spricht neben dem Norweger Borge Brende, Präsident des Weltwirtschaftsforums (R). Foto: epa/Gian Ehrenzeller
Der Präsident der Ukraine Volodymyr Zelensky (L) spricht neben dem Norweger Borge Brende, Präsident des Weltwirtschaftsforums (R). Foto: epa/Gian Ehrenzeller

DAVOS: Der ukrainische Präsident Selenskyj nutzt das Weltwirtschaftsforum, um den kriegsmüden Westen aufzurütteln. Doch auf den Fluren in Davos ist am Dienstag ein anderer Name in aller Munde.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat seinem Ruf als geopolitisches Krisentreffen zum Auftakt alle Ehre gemacht. Der erstmals seit Kriegsbeginn persönlich angereiste ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte am Dienstag in dem Schweizer Skiort eindringlich vor einem «Einfrieren» des russischen Kriegs gegen sein Land. Zugleich bekräftigte er Hoffnungen auf einen Beitritt zur Nato. Beim Werben um weitere Milliarden und Waffenlieferungen bekam Selenskyj Unterstützung aus der EU und von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

«Jeder eingefrorene Konflikt wird irgendwann wieder aufflammen», warnte Selenskyj in seiner Rede vor Politikern und Wirtschaftsvertretern. Der Ukrainer spricht sich seit langem dafür aus, den Krieg auf dem Schlachtfeld zu entscheiden, um Russland eine strategische Niederlage zuzufügen. Sein Land verteidigt sich seit fast zwei Jahren mit westlicher Hilfe gegen die russische Invasion. Beinahe ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets steht unter russischer Kontrolle.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin warf Selenskyj einmal mehr vor, kein Interesse an einer Friedenslösung zu haben. «Putin ist ein Raubtier, das sich nicht mit Tiefkühlprodukten zufrieden gibt», betonte der Ukrainer. Er komme immer wieder zurück - für mehr.

Stoltenberg und von der Leyen werben für Ukraine-Hilfen

In den vergangenen Jahren hatte Selenskyj beim Weltwirtschaftsforum in Videoansprachen um Unterstützung für sein Land geworben. Diesmal reiste er selbst an, um den kriegsmüden Westen aufzurütteln. Bei Stoltenberg und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rannte er damit quasi offene Türen ein.

«Wir müssen der Ukraine nur beistehen - und irgendwann wird Russland verstehen, dass sie einen zu hohen Preis zahlen und einer Art gerechtem Frieden zustimmen», sagte Stoltenberg voraus. Die Nato-Staaten müssten ihr Möglichstes tun, um den Preis für Russland hochzutreiben. Paradoxerweise sei ein Ende des Krieges ausgerechnet mit mehr Waffen für die Ukraine zu erreichen.

Von der Leyen betonte, die Ukraine müsse in ihrem Widerstand weiter gestärkt werden. «Die Ukraine benötigt Planbarkeit bei der Finanzierung im gesamten Jahr 2024 und darüber hinaus», sagte sie vor dem Hintergrund noch ausstehender Zusagen auch der EU.

Eine Entscheidung über das neue Hilfsprogramm der EU mit 50 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre erwarte sie zum Sondergipfel Anfang Februar. Zuletzt hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban den Beschluss verhindert. Sie persönlich wünsche sich eine einstimmige Lösung, mache von der Leyen klar, ergänzte aber: «Wir bereiten uns auch dafür vor, dass das nicht gelingt.»

Kiew erwartet rasche Richtungsentscheidung über Nato-Beitritt

Selenskyj wünscht sich spätestens beim Nato-Gipfel im Juli in Washington Entscheidungen, die eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Allianz näherbringen. In Davos traf er mit Stoltenberg zusammen und dankte diesem nach eigenen Angaben für die unerschütterliche Unterstützung durch das Militärbündnis.

Russland begründet seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch mit dem Streben des Landes in die Nato. Eine Aufnahme der Ukraine in das Bündnis ist bisher jedoch nicht in Sicht.

Auch Habeck trifft Selenskyj

Der ukrainische Präsident nutzte das Forum mit hochkarätigen Wirtschaftsvertretern auch, um für Investitionen in sein Land zu werben - vor allem mit Blick auf den Wiederaufbau. Die ukrainische Wirtschaft wachse, sagte er.

Wirtschaftsminister Robert Habeck betonte vor einem Treffen mit Selenskyj, die Bundesregierung gebe Firmen Investitionsgarantien, die sie ähnlich wie einer Versicherung absicherten. Das sei «ein ungeheuer erfolgreicher Schritt, der zeigt, dass wir daran glauben und darauf vertrauen, dass die Ukraine diese schwierige Situation erfolgreich besteht, aber auch, dass deutsche Unternehmen in die Ukraine investieren werden». In Davos wollte er dafür werben, dass auch andere Staaten dieses Instrument nutzten.

Donald Trump: der Elefant im Raum

US-Präsident Joe Biden steht nicht auf der Gästeliste des Weltwirtschaftsforums. Dafür war sein Vorgänger Donald Trump nach dem Vorwahlsieg in Iowa am Dienstag in aller Munde. Politiker und Wirtschaftsvertreter äußerten die Sorge, dass die amerikanischen Ukraine-Hilfen zusammengestrichen werden, sollte Trump bei der Präsidentschaftswahl im Herbst das Rennen machen. Offen ist zum Beispiel, ob die EU dann in die Bresche springen kann.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte dem US-Sender ABC News in einem Interview, auch unter schwersten Bedingungen werde sich die Ukraine Russland nicht ergeben. «Selbst wenn uns die Waffen ausgehen, werden wir mit Schaufeln kämpfen.»

Hochkarätiger Besuch aus China

China war in den vergangenen Jahren wegen der Corona-Pandemie nur mit kleinen Delegationen in Davos vertreten. Nun reiste mit Ministerpräsident Li Qiang die Nummer zwei hinter Staatschef Xi Jinping an. Der Wirtschaftsgigant steht im Zugzwang: Nach schwachen Wirtschaftsjahren infolge der Coronapandemie muss China wirtschaftspolitisch erst einmal wieder internationales Vertrauen aufbauen.

In seiner Eröffnungsrede warb Li um ausländische Investitionen und kündigte an, das Land wolle sich weiter öffnen. Ausländische Firmen klagen immer wieder über undurchsichtige gesetzliche Regelungen oder Absprachen zum Vorteil chinesischer Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen.

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Strauss 18.01.24 14:29
Dies muss es uns auch wert sein
nicht nur schwächen, das sind sie schon genug.
Nein völlig deren Grenzen aufzeigen, wo es lang geht, und den Tarif durchgeben.
Strauss 18.01.24 08:20
So ist es wohl bei den Russen, Ingo
vor allem wegen der Gefahr Trump, muss jetzt Europa mächtig aufrüsten. Und zwar wie es auch Frankreich und England fordert, sowie auch Deutschland und der Norden schon tut. Es ist sehr schnell Januar 2025......
Ingo Kerp 17.01.24 12:40
Nachdem es im Nahen Osten an allen Ecken und Enden brennt, macht sich ganz offensichtlich eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit, was die Unterstützung der UKR anbelangt. Die leidet nicht nur unter ausbleibender Hilfe von außen, sondern auch unter Soldatenmangel durch Verluste. Ein großer Teil der Bevoelkerung, immerhin mehr als 4,2 Mio Menschen, wollen dem Krieg nicht beitreten und sind inzwischen geflohen. Soweit die Verbundenheit des Volkes zum Land.