Frankreich steht vor nächster Wahl

Kaum Wahlkampf, kaum Leidenschaft 

Foto: Pixabay
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PARIS: Emmanuel Macron ist zwar als Frankreichs Präsident wiedergewählt. Doch wie viel Macht der Mitte-Politiker in den kommenden Jahren haben wird, entscheidet sich erst noch in einer weiteren Wahl. Die interessiert aber kaum jemanden. Warum?

Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass im Nachbarland am Sonnag das Parlament gewählt wird. Und den Französinnen und Franzosen selbst geht es kaum anders, denn der leidenschaftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassierende Desinteresse, wie Umfragen belegen. Nicht mal mehr jeder Zweite will abstimmen. So viel Politikverdrossenheit gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltener denn je und die Unzufriedenheit groß.

Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron mit Ach und Krach für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Zähneknirschend gaben auch viele von ihm enttäuschte und frustrierte Wählerinnen und Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnationale Herausforderin Marine Le Pen auszubremsen.

Nun ist diese taktisch motivierte Unterstützung aber vorbei. Alles steht wieder auf Anfang - zumindest theoretisch. Denn die Parlamentswahl liegt ganz bewusst nur wenige Wochen nach der Präsidentschaftswahl. Sie soll dem neugewählten Staatsoberhaupt ein Durchstarten mit eigener Mehrheit in der Nationalversammlung ermöglichen und wird in Frankreich quasi als Bestätigung der vorangegangenen Abstimmung gesehen. Entsprechend gehen vor allem die Anhänger des Gewinners wählen, während die Wählerschaft der unterlegenen Kandidaten in Scharen zu Hause bleibt.

Dass es dieses Mal anders läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidentschaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtliche knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatzierter raus. «Wählt mich zum Premierminister», wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidentschaftswahl der Coup gelang, die zersplitterte Linke mit den am Boden liegenden Sozialisten, Grünen und Kommunisten hinter sich zu vereinen.

Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündnis enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Mit diesem Hebel zur Macht wirbt Mélenchon gezielt und macht sich zum Gegenspieler von Macron. Doch der Linke, der bemüht war, Schwung in den Wahlkampf zu bringen, trifft mit seinen Hieben ins Leere. Denn Macron verschwendete öffentlich kaum einen Gedanken an die Abstimmung und ließ seinen Kontrahenten so auflaufen. Auch Beobachter bilanzieren: Ein Wahlkampf fand quasi nicht statt.

Erst in dieser Woche brach der Präsident zu Wahlkampfterminen vor den Toren von Paris und im Süden auf, wo er auf die Bedeutung einer «starken und klaren Mehrheit» pochte, um seine Politik voranzutreiben. «Wenn die Präsidentschaftswahl entscheidend ist, dann ist die Wahl der Abgeordneten ausschlaggebend», sagte Macron am Donnerstag. Zumindest für ihn trifft das zu - ohne eine Parlamentsmehrheit wird es mit seinen Vorhaben schwierig werden.

Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für Macron erwarten, der nicht mehr wie 2017 Hoffnungsträger, sondern von fünf Jahren Amtszeit voller Krisen deutlich gezeichnet ist. Doch letztlich gehen die Umfrageinstitute davon aus, dass Macrons Lager zumindest eine relative Mehrheit im Parlament erneut schafft. Vergeben werden die 577 Sitze nach einem komplizierten Mehrheitswahlrecht. Ins Gewicht fallen am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Stimmbezirk.

Ist das ein Grund für die Wahlmüdigkeit? «Die Franzosen haben sehr deutlich andere Dinge im Kopf», sagte der Chef des Umfrageinstituts Ipsos, Brice Teinturier, dem Sender France Inter.

Auffällig ruhig geworden ist es dabei um die Rechte Le Pen, die innerhalb weniger Wochen von Mélenchon als Hauptkonkurrentin Macrons abgelöst wurde. Grund dafür ist aber kein plötzlicher Stimmungswandel in Frankreich - die Rechtsnationalistin hat weiterhin beträchtliche Unterstützung - sondern die Besonderheit der Parlamentswahl. Im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl zählt hier auch die lokale Verankerung, und die ist keine Stärke Le Pens.

Die politische Dreiteilung, die bereits in der Präsidentschaftswahl deutlich sichtbar wurde, dürfte sich auch in der Parlamentswahl abzeichnen. Ein linker Block, ein weit rechter Block und Macron in der Mitte. Die konservativen Républicains, einst Volkspartei und noch stärkste Oppositionskraft in der Nationalversammlung, müssen mit herben Verlusten rechnen. Die zweite traditionelle Volkspartei der Sozialisten, die nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, hat sich im Linksbündnis Mélenchon untergeordnet und dabei selbst einer eurokritischen Linie zugestimmt, die den Verstoß von EU-Regeln billigt.

Das Ergebnis der Parlamentswahl entscheidet maßgeblich darüber, welchen Kurs Frankreich in den kommenden Jahren nehmen wird. Kann Macron mit seinem Kabinett quasi durchregieren, zwingen ihn die Machtverhältnisse dazu, Premier und Regierung aus einem anderen Lager zu bilden, oder wird das Parlament es ihm zumindest unbequem machen? Dass trotz der Unzufriedenheit im Land und der neuen Dynamik mit dem Linksbündnis kaum Interesse an der wichtigen Abstimmung besteht, dürfte auch daran liegen, dass Unmut in Frankreich traditionell eher auf der Straße als an der Wahlurne ausgedrückt wird.

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