Iraks Premier in den USA

​Heikler Besuch nach Irans Angriff auf Israel

Der irakische Premierminister Mohammed Shia' Al Sudani. Foto: EPA-EFE/Justin Lane
Der irakische Premierminister Mohammed Shia' Al Sudani. Foto: EPA-EFE/Justin Lane

WASHINGTON/BAGDAD: Iraks Premier reist zum offiziellen Besuch nach Washington - kurz nach Irans Angriff auf Israel. Der rückt die Bedeutung der US-Truppen im Irak wieder in den Fokus.

Einen unpassenderen Zeitpunkt für einen Besuch in den USA, um mit Präsident Joe Biden über den Verbleib der US-Truppen im Irak zu sprechen, hätte sich dessen Ministerpräsident Mohammed al-Sudani kaum aussuchen können. Kurz nachdem Al-Sudani in Washington aus dem Flugzeug gestiegen war, begann der Iran am Samstagabend seinen Angriff auf Israel, der den Nahen Osten an den Rand eines neuen Abgrunds getrieben hat. Dutzende Raketen und Drohnen wurden in der Nacht zum Sonntag abgefeuert - aus dem Iran, nach US-Darstellung aber auch aus Syrien, Jemen und eben dem Irak.

In der Region stationierte US-Truppen halfen nach Angaben aus Washington maßgeblich dabei, den Angriff abzuwehren, fingen Drohnen und Raketen ab, noch bevor sie Israels Territorium erreichten. Al-Sudani dürfte nun nur noch schwer glaubhaft machen können, dass er die proiranischen Milizen in seinem Land im Zaum halten kann - und weiter auf einen Abzug der US-Streitkräfte aus seinem Land pochen.

An deutlichen Worten aus Bagdad gegenüber der US-Regierung mangelte es zuvor nicht. Öffentlich forderte Al-Sudani wiederholt den Abzug der rund 2400 verbliebenen US-Soldaten im Irak. Die im Irak und Syrien von den USA angeführte Militärkoalition gegen den Islamischen Staat (IS) sei nicht länger notwendig, die Terrororganisation besiegt, sagte Al-Sudani etwa im Januar. Beim Treffen mit Biden im Weißen Haus am Montag dürfte die Frage der Truppen ganz oben auf der Agenda stehen.

Seit Beginn des Gaza-Krieges wurden die von den USA genutzten Stellungen, oft kleine Stützpunkte im Wüstengebiet, selbst verstärkt Ziel von Attacken proiranischer Milizen. Als wichtigster Verbündeter Israels wurden die USA für den Iran und seine Stellvertreter noch mehr zum Feindbild als zuvor. Im Gegenzug griff das US-Militär die Standorte der Gruppierungen im Irak an. Al-Sudani bemängelte, dass das Vorgehen der Amerikaner auf irakischem Boden nicht mit der irakischen Führung abgesprochen worden sei, und bezeichnete es als eine «inakzeptable Verletzung der irakischen Souveränität».

Abzug würde Vakuum für den Iran schaffen

Offizielles Mandat der US-Truppen im Irak und Syrien ist die Unterstützung der irakischen Regierung im Kampf gegen den IS. Beobachtern zufolge geht es den USA aber vor allem darum, mit ihrer Truppenpräsenz in der Region den Einfluss ihres Erzfeindes Iran zu begrenzen. Sie sind überzeugt, dass der Einsatz eigentlich dazu dient, die Versorgungslinien für den Iran zu unterbrechen und die vom Iran unterstützten Milizen in der Region abzuschrecken.

Trotz des großen Risikos, dem die US-Truppen in der Region ausgesetzt sind, dürfte Biden gerade nach den jüngsten Entwicklungen kein ernsthaftes Interesse daran haben, seine Leute zurückzuholen. Durch einen Abzug der Truppen aus dem Irak würde ein «Vakuum» entstehen, das die irakischen Sicherheitskräfte, die Polizei und das Militär nicht ausgleichen könnten, sagt Nahost-Experte Benjamin Radd von der University of California. Dies berge die Gefahr, dass proiranische Gruppen, Überbleibsel des IS und andere Gruppierungen den Irak als Operationsbasis für Angriffe gegen die USA und ihre Verbündeten nutzen könnten.

Und es dürfte eigentlich auch im Interesse Bagdads sein, wenn die US-Militärpräsenz vorerst erhalten bleibe, meint Radd. Al-Sudani müsse nach außen zwar die Position für einen Abzug vertreten, um sein «Gesicht zu wahren» und zu zeigen, dass die irakische Führung unabhängig von den USA agiere. Innerhalb der irakischen Regierung gebe es aber durchaus die Auffassung, dass der Irak von der US-Militärpräsenz als «Sicherheitsschirm» profitiere. Schließlich sehe es auch für den Irak nicht gut aus, wenn nicht staatliche Akteure von irakischem Boden aus Angriffe planten und durchführten.

Auch andere Experten kommen zu dem Schluss, dass die US-Regierung ihre Strategie mit Blick auf ihre Militärpräsenz im Irak und Syrien wohl erst einmal beibehalten dürfte. Im Irak selbst gebe es viele Unterstützer für die US-Truppen im Land, sagt Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis (INEGMA). Viele Gruppen im Land, darunter vor allem auch die kurdische Bevölkerung, seien völlig gegen einen solchen Abzug. «Sie wollen nicht unter die Kontrolle des Irans gelangen», sagt der Analyst.

US-Militärpräsenz in der Region als «kalkuliertes Risiko»

Im Zuge der Angriffe auf Israel in der Nacht zum Sonntag gab es nach Angaben der US-Regierung keine Attacken auf US-Truppen in der Region. Man bleibe aber «wachsam», um mögliche Bedrohungen zu erkennen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, am Sonntag. Dem Iran habe man deutlich gemacht, wie ernst die USA jede potenzielle Bedrohung gegen US-Soldaten in der Region nehmen würden.

Für Biden sei es angesichts der fragilen Lage in der Region zwar mit einem Risiko verbunden, seine Truppen in der Region zu lassen, aber es sei ein «kalkuliertes Risiko», sagt Radd.

Ob ein Machtwechsel in Washington die Verhältnisse ändern würde, lässt sich schwer abschätzen. Im November dieses Jahres stehen in den USA Präsidentenwahlen an. Der Republikaner und Ex-Präsident Donald Trump will wieder ins Weiße Haus einziehen. Zwar gab es unter den traditionellen republikanischen US-Regierungen eine starke Unterstützung für die amerikanischen Streitkräfte in verschiedenen Teilen der Welt. Doch unter den Trump-Anhängern gibt es viele Isolationisten, die glauben, dass weniger Einmischung besser sei. Die könnten im Parlament auf eine Verkleinerung der Militärpräsenz drängen, meint Radd.

Trump selbst hatte schon im Jahr 2020 von einem Abzug aus dem Irak und Afghanistan gesprochen. Doch die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass die Politik des Republikaners von Unberechenbarkeit geprägt ist. Und schließlich hängt vieles davon ab, wie sich der Iran positioniert und was Israel als Nächstes tut.

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