Stinkende Rekordblume aus dem Dschungel

​Faszination Rafflesie

Foto: epa/Wong Solo
Foto: epa/Wong Solo

JAKARTA: Der Regenwald ist ein endloses Geflecht aus Grünschattierungen. Da fallen Farbtupfer auf. Die Rafflesie allerdings ist mehr als ein Tupfer - sie ist ein Koloss von einer Blume. Auch ihr Geruch ist, gelinde gesagt, speziell. Aber die Pflanze gibt noch Rätsel auf.

Wer in den Dschungeln Südostasiens schon einmal eine Rafflesie gesehen hat, wird das Erlebnis vermutlich nie vergessen. Die rotbraune Riesenpflanze sticht aus all dem Grün heraus wie eine Frau im Ballkleid in der Fußgängerzone - nur riecht sie nicht so gut. Die Schmarotzergewächse sind wohl die größten Blumen der Welt, und vermutlich auch die übelriechendsten. Mit ihrem Gestank ahmen sie Aas nach - eine extrem clevere Art, sich das Überleben zu sichern. Rafflesien leben schon seit Millionen von Jahren auf der Erde. Forscher bezeichnen sie als Wunder der Evolution, während sie weiter versuchen, ihre Geheimnisse zu lüften.

Bei Charles Davis, US-Botaniker vom Herbarium der renommierten Harvard-Universität, hält die Faszination für die Rekordblume schon seit mehr als 20 Jahren an. «Zum ersten Mal habe ich Rafflesien 1995 im Norden von Borneo gesehen, als ich als Student half, botanische Expeditionen zu koordinieren», erzählt er. Damals habe er aber nie gedacht, dass er einmal Jahrzehnte damit verbringen würde, die Blumen zu studieren.

Die Harvard-Webseite spricht von einer «geheimnisvollen, schönen Blüte, die Fliegen mit ihrem überraschenden Geruch von verfaulendem Fleisch anzieht». Und das bringt es eigentlich schon auf den Punkt.

Der Rafflesie fehlen im Grunde alle Merkmale einer «normalen» Blume: Sie hat keine Blätter, keinen Stiel und keine Wurzel, sondern lebt komplett als Parasit und verankert sich an ihrer Wirtspflanze. Meist sind das Lianen- oder Rebengewächse. «Lediglich die Blüten der Rafflesien sind gut entwickelt und bilden die typischen nach Aas riechenden Riesenformen», erklärt WWF-Südostasien-Experte Stefan Ziegler. Dabei ist die kolossale Pracht extrem kurzlebig. Schon nach drei bis sieben Tagen verwelken die mehrere Zentimeter dicken, ledrigen Blüten.

«Selbst die kleinste Rafflesie hat etwa die Größe eines großen Tellers», schrieb das «Harvard Magazine» 2017. Viele verfügen aber über einen für Blumen-Verhältnisse schier unfassbaren Durchmesser von bis zu einem Meter. Noch gewaltiger wird die Rafflesia tuan-mudae.

Den Rekord dieser Spezies mit ihren weißen blasenartigen Flecken hielt lange ein Exemplar in West-Sumatra mit einer 107 Zentimeter großen Blüte. Im vergangenen Jahr wurde das noch getoppt: Ebenfalls in Sumatra entwickelte ein Rafflesia-tuan-mudae-Exemplar einen Durchmesser von 111 Zentimetern. «Damit ist das physikalisch Mögliche aber bald erreicht», betont Ziegler. «Blütendurchmesser von zwei bis drei Metern werden wir wohl nicht sehen.»

Das Verbreitungsgebiet reicht von Thailand über die Philippinen bis nach Malaysia und Indonesien. In vielen Gebieten werden die Blumen geschützt - denn Rodungen aller Art, die die Regenwälder bedrohen, gefährden auch die Rafflesien. Auch wenn sie derzeit an manchen Orten noch üppig gedeihen, «so bleibt die größte Bedrohung der Verlust ihres Lebensraums, speziell der Primärregenwälder», so Davis.

Aber warum hat die Parasitenpflanze in Millionen Jahren eine solche Größe und einen derartigen Gestank ausgebildet? WWF-Experte Ziegler erklärt: «Eine plausible Vermutung besagt, dass große Blüten auch mehr Pollen produzieren und mehr Fliegen anlocken, die den Pollen ja von einer männlichen zu einer weiblichen Blüte verfrachten.» Je größer die Blüte und je mehr Gestank nach verwesendem Fleisch, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Bestäubung.

Erstmals dokumentiert wurde eine Rafflesie vor mehr als 200 Jahren vom Naturforscher James Arnold im Regenwald von Sumatra - und es handelte sich gleich um eine der größten bisher bekannten Arten, die so genannte Riesenrafflesie. Heute ist die Blume nach ihm und dem Naturforscher und späteren Gründer von Singapur, Sir Stamford Raffles, benannt: Rafflesia arnoldii. Raffles (1781-1826) war damals Gouverneur im Westen von Sumatra.

Bis heute zieren die farbenfrohen Pflanzen in Südostasien Briefmarken und Geldscheine. In Indonesien gehört die Rafflesie zu den drei Nationalblumen. «Die Blüten sind ikonisch und sinnbildlich für die majestätischen Regenwälder der Region», sagt Davis.

Bis heute wurden etwa 40 Arten entdeckt, Tendenz steigend. «Allein auf den Philippinen wurden im letzten Jahrzehnt mehr als zehn neue Arten beschrieben», erklärt Davis. Aber erst 2007 gelang es ihm mit seinem Team, für die äußerst spezielle Blume einen Platz im Stammbaum des Lebens zu finden. Demnach gehören die «Rafflesia arnoldii» und ihre engen Verwandten zu den Wolfsmilchgewächsen (Euphorbiaceae) - die aber fast alle sehr kleine Blüten haben. In diese Gruppe fallen unter anderem auch der Weihnachtsstern, der Kautschukbaum und Maniok.

Die Rafflesien hingegen legten im Laufe der Evolution ein sehr schnelles Wachstum vor: In den vergangenen sechs Millionen Jahren seien sie auf das 79-fache angewachsen, so die Studie. Dieser Riesenwuchs innerhalb einer Pflanzengruppe mit durchweg winzigen Blüten vergrößere nur noch das Rätsel Rafflesia, «das größte Wunder der Pflanzenwelt», wie Davis damals schrieb.

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