Eskalation der Bandengewalt in Haiti

Regierungschef unter Druck

Anscheinende Normalität in den Straßen von Port-au-Prince nach heftigen Schießereien. Foto: epa/Johnson Sabin
Anscheinende Normalität in den Straßen von Port-au-Prince nach heftigen Schießereien. Foto: epa/Johnson Sabin

PORT-AU-PRINCE: Mit der Befreiung Tausender Häftlinge erreicht die Bandengewalt in Haiti eine neue Stufe. Der Druck auf den Regierungschef steigt, auch aus dem Ausland. Offenbar kann er derzeit nicht ins Land zurück.

Nach der Befreiung Tausender Häftlinge aus Gefängnissen durch Banditen nimmt der Druck auf die Regierung in Haiti zu. Die US-Regierung forderte den haitianischen Interims-Ministerpräsidenten Ariel Henry auf, den Prozess hin zu freien und fairen Wahlen zu beschleunigen, wie Matthew Miller, Sprecher des US-Außenministeriums, am Mittwoch in Washington sagte. Henry hatte die Regierungsgeschäfte kurz nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 übernommen. Seitdem gab es in dem Karibikstaat keine Wahlen.

Nach einer Reise vergangene Woche nach Guyana und Kenia kehrte Henry bislang nicht nach Haiti zurück, am Dienstag reiste er nach Puerto Rico. Henry wollte eigentlich in Haitis Nachbarland Dominikanische Republik einen Zwischenstopp einlegen, wie der dominikanische Regierungssprecher Humberto Figueroa am Mittwoch mitteilte. Das habe die Dominikanische Republik wegen eines fehlenden Flugplans abgelehnt. Von und nach Haiti fielen wegen Bandengewalt alle Flüge aus.

Am Samstag hatten Banditen Häftlinge aus zwei Gefängnissen befreit. Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk, flüchteten mehr als 4500 Gefangene, darunter bekannte Bandenmitglieder und Verdächtige im Zusammenhang mit der Moïse-Ermordung. Der Anführer der Bandenkoalition, der Ex-Polizist Jimmy «Barbecue» Chérizier, warnte nach einem Bericht der Zeitung «Le Nouvelliste» vor einem Bürgerkrieg, wenn Henry nicht zurücktrete und die internationale Gemeinschaft ihn weiter unterstütze.

Brutal agierende Banden kontrollieren nach UN-Schätzung rund 80 Prozent von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Nach Angaben der haitianischen Menschenrechtsorganisation RNDDH vereinten sich am 29. Februar die zwei wichtigsten bewaffneten Gruppen.

UN-Generalsekretär António Guterres rief nach Angaben seines Sprechers dazu auf, den Einsatz einer multinationalen Truppe zur Unterstützung der haitianischen Polizei zu finanzieren. Diesen hatte der UN-Sicherheitsrat im Oktober genehmigt, Kenia wollte die Federführung übernehmen.

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