Schlafentzug, Spitzel und ein heimlicher Star

​Der Klimagipfel

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, M), Außenministerin, verfolgt beim UN-Klimagipfel COP27 eine Pressekonferenz. Daneben spricht Frans Timmermans (l), Vizepräsident der Europäischen Kommission. Foto: Christophe Gateau/dpa
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, M), Außenministerin, verfolgt beim UN-Klimagipfel COP27 eine Pressekonferenz. Daneben spricht Frans Timmermans (l), Vizepräsident der Europäischen Kommission. Foto: Christophe Gateau/dpa

SCHARM EL SCHEICH: Auf der Weltklimakonferenz ist es leicht, zwischen dramatischen Appellen, bunten indigenen Trachten und Fachjargon den Überblick zu verlieren. Erst gegen Ende zeigt sich, wo auf dem größten Treffen zur Rettung der Welt die wirklich dicken Bretter gebohrt werden.

Verrammelte Burger-Stände, leere Konferenzräume und dazwischen übernächtigte Politiker, die bis zu letzten Minute ausharren wollen: Ausgerechnet als es um alles geht bei der Weltklimakonferenz im Ägypten, wird der bis dahin wuselige Tagungsort weitgehend zur Geisterstadt. Mit einem Minimum an Infrastruktur verhandeln die Vertreter von knapp 200 Staaten am Samstag über die Eindämmung der gefährlichen Erderwärmung und Hilfen für Länder, die von ihren Folgen am härtesten getroffen werden. Die Mission: runter vom «Highway zur Klima-Hölle», auf dem die Welt UN-Chef António Guterres zufolge derzeit fährt - mit dem Fuß auf dem Gaspedal.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans klingen am Samstagmorgen nach einer durchverhandelten Nacht gleichermaßen kämpferisch und entgeistert. «Die Nachricht an unsere Partner ist klar: Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad-Ziel hier und heute stirbt», erklärt Timmermans. Baerbock betont: «Da macht die Europäische Union nicht mit.» Es ist der dramatische Endspurt einer Konferenz, die schon vorher reichlich Kopfschütteln ausgelöst hat.

Schleppende Konferenzleitung, horrende Preise

Zur ägyptischen Präsidentschaft der Konferenz gibt es ähnlich viel Kritik wie Sand in der ägyptischen Wüstenstadt Scharm el Scheich. Es sei das am schlechtesten organisierte UN-Treffen seit Jahren, befanden alte Klimagipfel-Hasen - und das nicht nur wegen zwischenzeitlicher Ebbe in den Wasserspendern, überteuerten Sandwiches für zweistellige Dollarbeträge und einem Abwasser-Leck. Tatsächlich hinkte Konferenzleiter Samih Schukri auch damit hinterher, Texte beschlussreif zu bündeln und rechtzeitig vorzulegen.

Dunkler Schatten

Ohnehin war das mit eiserner Hand regierte Ägypten, dessen Menschenrechtssituation Kritiker als haarsträubend bezeichnen, das erwartet schwierige Gastgeberland. Der Fall des inhaftierten Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, einer Führungsfigur der Revolution von 2011, warf einen dunken Schatten über das Treffen. Er drohte, im Hunger- und Durststreik in seiner Zelle zu sterben. Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und andere baten Präsident Abdel Fattah al-Sisi vergeblich um seine Freilassung.

Auf dem UN-Gelände selbst filmten und fotografierten Dutzende mutmaßliche Sicherheitsleute, die sich teils als Technik-Helfer oder freiberufliche Journalisten ausgaben, Aktivisten und Demos. Ein regierungsnaher Abgeordneter störte eine Pressekonferenz mit Abdel Fattahs Schwester, ehe UN-Sicherheitsleute ihn schließlich aus dem Saal eskortierten. Auch die deutsche Delegation beschwerte sich, an ihrem Pavillon beobachtet und gefilmt zu werden.

Geopolitische Machtspielchen

Bremsen die USA beim Geld? Schafft es China sich in der Logik der Klimakonferenz weiter als Entwicklungsland einordnen zu lassen, was aus Sicht des Westens längst überholt ist? Wo fast alle Staaten der Welt um einen Tisch sitzen, sind geopolitische Machtspiele nicht weit. Eddy Perez vom Climate Action Network, das etliche Klimaschutzorganisationen vereint, wirft den großen Playern vor, ihre Kämpfe auf dem Rücken kleiner Staaten auszutragen. Bei allen verhärteten Fronten dann doch überraschend: Der Ukraine-Krieg blockierte anders als befürchtet weniger die Verhandlungen, die russische Seite blieb weitgehend still.

Ein heimlicher Star

Während mehr als 100 Staats- und Regierungschefs über den Klimaschutz verhandelten, wurde ein noch gar nicht vereidigter Spitzenpolitiker zum heimlichen Star: Bei Terminen des gewählten brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva drängelten sich Fans und Schaulustige, Indigene mit Federschmuck stimmten Lula-Gesänge an und machten Stimmung. Seine erste offizielle internationale Rede seit seiner Wahl im Oktober wurde zur Lula-Party. Er versprach, den Schutz des Amazonasgebiets in seiner Regierungsarbeit ganz oben auf die Agenda zu setzen. Unter Noch-Präsident Jair Bolsonaro waren Abholzung und Brände der für das Weltklima wichtigen Waldregion stark angestiegen. Randnotiz: Lula flog im Privatjet eines millionenschweren Unternehmers zur COP27.

Aktivisten aus Afrika zeigen Präsenz

Für viel Kritik sorgte europäische Investitionen in fossile Projekte in Afrika. «Afrika darf nicht die Tankstelle Europas werden», so die Botschaft der Aktivisten, die bei einem Protest zur Halbzeit der Konferenz zu den auffälligsten Demonstranten zählten. Protest richtete sich auch gegen die Ankündigung von Kanzler Scholz (SPD) bei einer Senegal-Reise, die Erschließung eines Gasfeldes vor der Küste des Landes zu unterstützen. «Man kann nicht Menschen in einem Land retten und dabei Probleme für Menschen in einem anderen Land verursachen», warnte der Gründer von Fridays for Future im Senegal, Yero Sarr. Die prominente ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate warnte mit Blick auf fossile Projekte auf ihrem Kontinent: «Kinder können keine Kohle essen, Kinder können kein Öl trinken, Kinder können kein Gas atmen.»

Hunderte Öl- und Gaslobbyisten - und Coca-Cola als Sponsor

Tabakfirmen auf einem Gesundheitskongress? Oder Waffenhändler auf einem Friedenstreffen? Ähnlich undenkbar sollten Öl- und Gaslobbyisten auf Klimakonferenzen sein, meinten die Aktivisten von Urgewald und NGO-Partner. Mindestens 636 solcher Branchenvertreter waren nach einer Zählung der Aktivisten in Scharm el Scheich unterwegs, deutlich mehr als im Vorjahr in Glasgow. Ein Verhandler quittierte das mit verbalem Schulterzucken: Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Interessen sei nun mal politisches Geschäft. Weiterer Aufreger, nicht nur für Gesundheitsorganisationen: Coca-Cola war ein Hauptsponsor - was nichts daran änderte, das auch die Getränkekühlschränke des Konzerns am Ende gähnend leer waren.


Entwurf für Abschlusspapier der COP27

SCHARM EL SCHEICH: Fast 24 Stunden nach dem geplanten Ende des Weltklimagipfels in Ägypten liegt den Verhandlern aus rund 200 Staaten ein weiterer offizieller Entwurf für eine Abschlusserklärung vor. In dem elfseitigen Papier der ägyptischen Konferenzleitung von Samstagmittag wird von allen Ländern ein schrittweiser Kohleausstieg gefordert. Nicht aufgegriffen wird aber weiterhin die Forderung etlicher Staaten und Klimaaktivisten, auch den Abschied von Öl und Gas festzuschreiben.

Martin Kaiser von Greenpeace sagte der Deutschen Presse-Agentur, es müsse aber unbedingt der Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern inklusive Öl und Gas im Text verankert werden. In den letzten Stunden müsse nun Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sicher stellen, dass die EU die Ergebnisse nur dann akzeptiere, wenn auch die Abhängigkeit von klimazerstörenden Energieträgern beendet wird.

Ebenfalls noch ungeklärt ist die Streitfrage, ob unter dem Dach der Vereinten Nationen ein Fonds eingerichtet wird, der arme und besonders gefährdete Länder für unabwendbare Klimaschäden entschädigt. Gemeint sind fatale Folgen der Erderwärmung wie Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme, aber auch der steigende Meeresspiegel.

Zu dem Thema Verluste und Schäden lag ein separater Vorschlag der Konferenzleitung vor. Er sieht vor, einen solchen Fonds bis 2024 einzurichten. Jan Kowalzig von Oxfam sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: «Das wäre ein wichtiger Schritt nach vorne für die von der Klimakrise gebeutelten Menschen in den ärmeren Ländern.»

Friederike Röder von Global Citizen nannte es «schockierend», dass in dem Entwurf für die Abschlusserklärung kein klarer Zeitplan für die Einlösung des Versprechens festgelegt werde, 100 Milliarden US-Dollar für die Klimafinanzierung an Länder des Globalen Südens bereitzustellen. «Dieses Versprechen wurde nun zwei Jahre hintereinander gebrochen, und es ist nicht klar, ob es 2023 erfüllt wird.»

In dem Entwurf werden die Staaten auch aufgefordert, ihre größtenteils unzulänglichen Klimaschutzpläne bis spätestens zur nächsten Klimakonferenz nachzubessern, die Ende 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet. Dies bleibt freiwillig, eine Verpflichtung gibt es nicht.

Das UN-Treffen COP27 in Scharm el Scheich mit etwa 34.000 Teilnehmern sollte eigentlich am späten Freitagnachmittag enden, wurde aber ins Wochenende verlängert.


UN-Klimakonferenz vor dem Scheitern? EU will 1,5-Grad-Ziel retten

SCHARM EL SCHEICH: Frustrierte Minister, versteinerte Mienen, flammende Appelle: Nach zwei Wochen sind viele Streitpunkte immer noch ungelöst auf der UN-Klimakonferenz. Die Kritik an den ägyptischen Gastgebern wächst. Fährt das Treffen vor die Wand?

Die UN-Klimakonferenz in Ägypten steckt in einer Sackgasse und droht zu scheitern. EU-Kommissionsvize Frans Timmermans und Außenministerin Annalena Baerbock warnten am Samstag, dass sie notfalls auch ein Platzen des zweiwöchigen Treffens in Scharm el Scheich in Kauf nehmen. «Wir werden keinen Vorschlägen zustimmen, die das 1,5-Grad-Ziel zurückdrehen», stellte Baerbock nach ergebnislosen nächtlichen Verhandlungen klar. Und Timmermans sagte, gewisse rote Linien werde der Staatenverbund nicht überschreiten. «Es ist besser, kein Ergebnis zu haben als ein schlechtes.»

Die Weltklimakonferenz, zu der etwa 34.000 Teilnehmer angereist sind, war am Freitagabend in die Verlängerung gegangen. COP-Präsident Samih Schukri sagte am Morgen danach: «Es gibt ein gleiches Maß an Unzufriedenheit von allen Seiten.» Die Vertreter der rund 200 Staaten wollten nun weiter über eine Abschlusserklärung beraten. Der Frage nach einem möglichen Scheitern wich er aus. «Jede Partei hat das volle Recht, sich einem Konsens anzuschließen oder nicht anzuschließen.»

In Verhandlungskreisen brach in der Nacht tiefe Beunruhigung aus, nachdem Delegationen für nur wenige Minuten von der ägyptischen Präsidentschaft vorgelegte Textentwürfe zum Stand der Verhandlungen zu sehen bekamen. «Das ist extrem ungewöhnlich», sagte ein Verhandler über den Endspurt. Die Delegationen hätten den Text nicht mitnehmen, sondern nur 20 Minuten anschauen und dann kurz kommentieren dürfen.

Insbesondere bei den Passagen, in denen es um die Eindämmung der Erderwärmung geht, sei der Text «das Gegenteil von dem, was passieren muss», berichtete ein besorgter Delegierter. Baerbock verwies auf kursierende Vorschläge, wonach kein Staat in den nächsten zehn Jahren seine Klimaschutz-Ambitionen steigern müsste. «Dann würde das 1,5 Grad Ziel hier auf dieser Konferenz sterben. Und da macht die Europäische Union nicht mit», betonte sie.

2015 hatte die Weltgemeinschaft in Paris vereinbart, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Welt hat sich nun schon um gut 1,1 Grad erwärmt, Deutschland noch stärker. Ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke erhöht nach Warnungen der Wissenschaft deutlich das Risiko, sogenannte Kippelemente im Klimasystem und damit unkontrollierbare Kettenreaktionen auszulösen.

Baerbock sagte, die Erderhitzung und ihre Folgen wie häufigere Dürren, Stürme und Überschwemmungen brächten schon jetzt viele der verletzlichsten Staaten an den Rand des Kollaps - und diesen müsse geholfen werden. Man sei nicht nur in Ägypten «um Papier zu produzieren». Die Konferenz müsse einen großen Schritt vorankommen.

Timmermans äußerte sich ebenfalls sehr besorgt über die Verhandlungen. Man werde bis zum Ende um eine Einigung ringen, sei aber notfalls auch bereit, ohne eine Erklärung abzureisen. «Die Nachricht an unsere Partner ist klar: Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad Ziel hier und heute stirbt.»

Angesichts der Verzögerungen und einem Verhandlungsprozess, den Teilnehmer als chaotisch beschreiben, wuchs auch die Kritik an den ägyptischen Gastgebern. COP-Präsident Schukri gestand den Unmut der Teilnehmer am Samstag zwar ein, spielte den Ball aber zurück und sagte, die Verantwortung für eine Einigung liege bei den Ländern. Auch sein Sonderbeauftragter für die COP27, Botschafter Wael Abulmagd, wies Kritik zum schleppenden und teils umständlichen Verhandlungsprozess zurück und spielte Sorgen herunter. «Ich glaube, wir müssen uns keine großen Sorgen machen», sagte Abulmagd.

Ein wichtiger Streitpunkt ist auch, ob ein extra Finanztopf für Klimaschäden in besonders gefährdeten Staaten eingerichtet werden und wer in diesen Fonds einzahlen soll. Die EU ist hier offen für eine Einigung, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Gelder nur ärmeren, sehr bedrohten Ländern zugutekommen. Zudem soll alles an ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen gebunden sein. Ein Durchbruch bei der Frage, im UN-Jargon «loss and damage», wäre Experten zufolge ein Hoffnungsschimmer am Ende des Treffens.

Umstritten ist dabei unter anderem die Rolle Chinas. Das Land will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden, so wie 1992 im Kyoto-Protokoll festgelegt. Westliche Staaten aber wollen China wegen seiner Wirtschaftskraft und der Rolle als größter Verursacher von Treibhausgasen nicht länger als Empfängerland für Gelder einstufen.

Der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, sagte zu dem Hickhack: «Am letzten Tag der COP prallen Klimakrise und Geopolitik mit voller Wucht aufeinander. Anstatt eine kurz- und langfristige Lösung für die Übernahme der Schäden und Verluste im Interesse der am meisten getroffenen Menschen durch alle reichen Superemittenten zu finden und die Welt weiter auf einen 1,5-Grad-Pfad zu bringen, werden hoffnungsgebende Ergebnisse zwischen den Staatenblöcken der UN zerrieben.»

Zur Rolle der ägyptischen Konferenzleitung sagte Kaiser: «Es ist inakzeptabel und noch nie dagewesen, dass eine COP-Präsidentschaft völlig intransparent operiert und Zivilgesellschaft und Staaten Tische und Stühle wegräumt, bevor die Konferenz zu Ende ist.»

In einem am Freitagmorgen von der Konferenzleitung veröffentlichten ersten Entwurf für die Abschlusserklärung wird zwar ein schrittweiser Kohleausstieg gefordert. Die Forderung etlicher Staaten, darin auch den Abschied von Öl und Gas festzuschreiben, wurde aber nicht aufgegriffen - was für Kritik von Klimaschützern sorgt und auch vielen Staaten nicht gefällt.

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