Italiens Pläne zur Lockerung der Corona-Sperren

Premierminister Giuseppe Conte kündigte die neuen Regeln an, die ab dem 04. Mai für Reisen und kommerzielle Aktivitäten gelten werden. Foto: epa/Chigi Palace
Premierminister Giuseppe Conte kündigte die neuen Regeln an, die ab dem 04. Mai für Reisen und kommerzielle Aktivitäten gelten werden. Foto: epa/Chigi Palace

ROM: Der Stufenplan zur Öffnung Italiens war nach Wochen des Lockdowns voll Sehnsucht erwartet worden. Kaum ist er da, steht der Ministerpräsident im Feuer der Kritik. Conte jedoch warnt sein Land vor Übermut.

Trippelschritte in die Freiheit und bis Juni keine Restaurant-Besuche in Italien: Die Pläne der Regierung in Rom zur vorsichtigen Lockerung der Corona-Beschränkungen ab 4. Mai sind auf harsche Kritik in Teilen der Wirtschaft und bei Kirchen gestoßen. Rund sieben Wochen nach Erlass von Ausgangsverboten, die deutlich strenger als in Deutschland sind, hatten viele Menschen auf mehr und schnellere Erleichterungen gehofft. Solchen Wünschen erteilte Ministerpräsident Giuseppe Conte mit seinem Stufenplan eine Absage. Auf einen Friseur-Termin und spontane Wochenendausflüge in andere Regionen müssen die Italiener noch lange warten.

Die neue, sogenannte Phase zwei im Kampf gegen die Viruskrankheit soll im Mai mit dem Anlaufen der Arbeit in vielen Produktionsbetrieben, ob Mode, Textil, Bau oder Auto, beginnen. Für die 60 Millionen Menschen soll es dann etwas mehr Freiheiten geben: etwa beim Sportmachen draußen und für Besuche bei Verwandten in der eigenen Region. Für persönliche Treffen ebenso wie für das Nutzen von Bussen und Bahnen fordert Rom das Tragen von Atemschutzmasken. Selbst in Familienrunden bleibe der Abstand von einem Meter wichtig.

Weitere Etappen der Öffnung sind der 18. Mai, wenn zum Beispiel die Museen wieder zugänglich werden, und der 1. Juni.

Die Gastronomie protestierte am Montag gegen den Beschluss, dass Bars und Restaurants erst ab Anfang Juni voll loslegen dürfen. Noch einen Monat länger zu schließen, bedeute weitere neun Milliarden Euro an Verlusten. «Das Maß ist voll», schrieb der Verband Fipe, der über 300.000 Betriebe vertritt. Manche Italiener halten «ihre Bar» für beinahe überlebenswichtig. Nun erlaubte Rom den Lokalen ab Mai zumindest den Außerhaus-Verkauf. Das Menschen in größeren Gruppen zusammen kommen, müsse weiter verhindert werden, sagte Conte.

Ähnlich enttäuscht wie die Gastwirte äußerte sich der Einzelhandel. Die Masse der Geschäfte, zum Beispiel Modeläden, darf erst ab dem 18. Mai öffnen. Confcommercio-Verbandschef Carlo Sangalli warnte, jeder Tag mit Corona-Sperre koste die Branche Geld und Jobs.

Die katholische Kirche Italiens bemängelte, dass Gottesdienste mit Gläubigen weiter verboten sind. Die Regierung teilte dazu mit, dass die Frage der Messen «in den nächsten Tagen» überprüft werde.

Der Italien-Experte des Beratungsinstituts Teneo, Wolfango Piccoli, kritisierte: Die groß angekündigte zweite Phase zum Umgang mit dem Coronavirus sei auf eine «Phase 1,5» geschrumpft. Premier Contes Rede, die im Internet und TV zu sehen war, sei «schlecht vorgetragen» gewesen. Wie andere Experten bemängelte Piccoli das Fehlen von Angaben zu den viel diskutierten Warn-Apps und zum Nachverfolgen von Infektionsketten. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa, einige Lockerungen kämen zu spät und zu zaghaft.

Viele Menschen stöhnen nach Wochen im Lockdown am meisten, dass sich im Corona-Alltag zu wenig ändert. Zwar dürfen sie wieder ungehindert Joggen und Radfahren - doch nur alleine oder mit zwei Meter Abstand. Es gibt mehr Möglichkeiten, sich in der eigenen Region zu bewegen, aber nicht über Regionsgrenzen hinweg. Friseure öffnen erst im Juni, die Schulen sogar erst nach dem Sommerferien im September.

«Die Probleme der Kinder werden nicht mal erwähnt, dass sie bisher nicht raus dürfen, dass sie ihre Freunde nicht sehen dürfen. Das Recht auf Lernen wird nicht anerkannt», sagte Luisa Chiarelli, Leiterin eines Kindergartens in Rom. Vor allem für berufstätige Eltern ist kein Ende der Probleme in Sicht. «Ich arbeite vom Homeoffice und werde zwölf Stunden am Tag angerufen, dazwischen Haushalt und Einkauf und eine Flut von Hausaufgaben, die zu bewältigen sind», erzählte eine Mutter. Online-Unterricht für ihren Erstklässler gebe es nur 30 Minuten am Tag, wenn überhaupt.

Wann die Italiener ihre volle Bewegungsfreiheit zurück bekommen, war unklar. Das Land registrierte seit Februar mehr als 26.600 Corona-Tote. Nach Wochen des steilen Anstiegs der Infizierten-Zahlen gab es im April viele positive Signale. Der Regierungschef warnte, sich auch jetzt nicht über Verbote hinwegzusetzen. Sonst müsse das Rad der Lockerungen zurückgedreht werden. Rom hatte die Ausgangsbeschränkungen am 10. März verhängt.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Thomas Sylten 28.04.20 13:19
Interessant, wie sogar die Kirchen das Recht auf Leben hintanstellen, wenn es um "Coronapartys" in ihren Gotteshäusern geht. Die Lockerungen bergen die Gefahr der Zweiten Welle - wer das aus rein wirtschaftlichen Erwägungen ignoriert, macht sich daran mitschuldig.