Eine Klassenzusammenkunft – Abschied von Europa

Ein Pattayaner auf Sommereise, Teil 7:

Eine Klassenzusammenkunft – Abschied von Europa

Odysseus kehrt ins geliebte Lotterstädtchen zurück

Ich bin ungewöhnlich nervös, als ich mein ehemaliges Schulhaus im Zürcher Seefeld betrete. Ich habe hier das Freie Gymnasium besucht, eine teure Privatschule für die verwöhnten Kinder des Zürichbergs. Im Dachgeschoss wird für die Teilnehmer an der Klassenzusammenkunft – es ist die erste nach dreissig Jahren - ein Umtrunk durchgeführt. Auch nach so vielen Jahren ist es schwer, dieses Haus zu betreten, etwas wie Prüfungsangst setzt ein. Der eine Lift funktioniert immer noch nicht, es ist der Lehrerlift, man braucht einen Schlüssel dafür.

Auf den ersten Blick hat es nur alte Männer in diesem Raum. Einige der Lehrer leben noch und nehmen an diesem Umtrunk teil, alle sind in den frühen oder späten Achtzigern. In einem Greis erkenne ich plötzlich diesen strengen Mathematiklehrer, der, immer wenn man eines dieser mathematischen Rätsel nicht begriff und seine wertvolle Zeit über die Gebühr in Anspruch nahm, den Rat gab, man könne ja gleich auf den Bau arbeiten gehen. Der uralte Klassen- und Englischlehrer war immer schon ein Gentleman und sagt zu mir: "Du bist jetzt ja bestimmt ein Schriftsteller. Hast Du denn in Thailand eine Frau und Kinder?" Ich sage ihm, dass ich einen Freund habe, und der alte Herr ist weder überrascht noch schockiert. Er ist der Vater des gegenwärtigen Zoodirektors, eine Institution in Zürich. Der Mann da drüben war unser Chemielehrer, der immer so nervös war, dass ihn seine Frau am Morgen mit dem Auto in die Schule fuhr und am Abend wieder abholte. Er war ein Choleriker, der manchmal Ausbrüche hatte und zu schreien anfing. Danach sprach er jeweils ganz leise weiter, wie wenn er sich wegen seines Ausbruchs schämen oder schuldig fühlen würde. Und der da drüben unterrichtete Biologie, ein witziger, intelligenter Mann, der mit einem anderen Biologielehrer zusammen lebte, der immer einen schwarzen Regenmantel aus Leder trug, wie die Nazis in den Filmen. Die waren sicher ein schwules Paar, denke ich. Ob er wohl noch lebt? Und per Zufall sehe ich die beiden am nächsten Tag zusammen am Bahnhof Stadelhofen, der andere trägt keinen schwarzen Ledermantel mehr. Sie sehen mich nicht.

Ich schaue mir meine ehemaligen Klassenkameraden an. Oft sehe ich hinter diesen Männern die jugendliche Ausgabe. Nur einer ist gestorben. Zwei sind mit Drogen verkommen, haben ihr Leben vergeudet und nehmen an diesem nostalgischen Abend nicht teil. Sie ersparen sich und uns eine peinliche Begegnung. Meine ehemalige Freundin – das einzige weibliche Wesen in unserer Klasse - dieses so unsichere Mädchen hat sich in eine sexy Frau verwandelt, die eine grosse, gesunde Selbstsicherheit ausstrahlt. Sie ist Psychiaterin geworden und ist offensichtlich mit sich selber im Reinen. Viele hier sind Ärzte, oder Zahnärzte, es hat je einen Banker, Architekten, zwei Juristen, einen Matheprofessor und Ingenieur. Als sich die Gesellschaft zu Fuss ins nahe gelegene Fischrestaurant am Zürichsee verschiebt, besteigt einer, der Psychiater geworden ist, wie vor dreissig Jahren sein Fahrrad und fährt dorthin. Er ist noch immer ungemein sympathisch und gescheit, aber ich stehe nicht mehr auf ihn wie vor dreissig Jahren. Bruno, mein geheimer Schwarm während der Mittelschule, ist immer noch unglaublich toll und so sexy. Aber ich sitze weit entfernt von ihm und kann an diesem Abend nur wenig mit ihm reden. Später lädt er mich und ein paar andere noch auf ein paar Drinks zu sich nach Hause ein. In den frühen Morgenstunden küss ich ihn und die anderen die ortsüblichen drei Mal auf die Wange und gehe.

Am neuen Flughafen von Bangkok anzukommen ist kein reines Vergnügen. Erstens legt man wahnsinnig weite Strecken zurück, und es hat immer noch zu wenige Toiletten. Und dann muss man auch noch durch den Zoll, die Schlangen bei der Immigration sind schier endlos. Ich stehe mehr als eine Stunde an, bis ich mich dann vor einem Beamten legitimieren kann. Das ist für viele der allererste Eindruck von Thailand, gar nicht gut für ein Land, das vom Tourismus lebt. Sie lassen mich doch wieder rein, die Papiere sind ja in Ordnung. Noch schnell lächeln für den Grossen Bruder, alle werden hier fotografiert. So sexy.

Amorn holt mich ab. Umarmungen und Küsschen. Er hat wieder einmal viel mehr Geld ausgegeben als geplant, es hat in der Grossfamilien Krankheiten und Unfälle gegeben, nicht sonderlich überraschend. Castelgandolfo, mein Haus etwas ausserhalb von Pattaya, steht noch, trotz Windstürmen. Die fünf Hunde kämpfen heftig miteinander. Lilli ist läufig, so dass Stefan Bobby beisst und Bobby Stefan. Sehr hässliche Bisswunden entstehen, wir reden hier ja von Sex. Die Autoversicherung ist schon vor zwei Monaten ausgelaufen. Ich wechsle die Versicherungsgesellschaft, weil ich mit deren Leistungen ohnehin nicht zufrieden war. Die neue Police ist erst noch 2000 Baht billiger als die alte, die Deckung höher. Das ist Thailand. Die Mia Noi ist erblondet. Der übliche Sex. Dann ein Besuch im nahe gelegenen Tukcom, dem Computer Center von Pattaya. Wolf in Kyoto braucht eine gewisse Software. In Japan würde die 500 $ kosten, hier nur 150 Baht. Ich kaufe ein paar Filme. Die Simpsons, Oceans Thirteen, Die Hard 0.4, I Vitelloni von Federico Fellini und Columbo, die erste und zweite Saison. Das ist hier ein Paradies, denke ich etwas verfrüht, denn etliche Filme sind von miserabler Qualität, und ich tausche sie ein paar Tage später um.

Samstag. Nach meinen üblichen Internetritualen hetze ich an den Strand. Die neue Ausgabe des Economist ist pünktlich bei Bookazine Jomtien angekommen. Sie haben den neuen Roman von John Burdett, der wiederum in Thailand spielt. Ich kaufe "Bangkok Haunts”. Burdett ist ein ausgezeichneter Schreiber, ein profunder Thailand- und Asienkenner. Der dünne Bettler mit HIV ist in den Ferien, vielleicht. Lud ist auf seinem üblichen Wachtposten. Ich trinke einen Kaffee mit ihm. Yvon, der Frankokanadier, ist noch da, wird aber morgen nach Chiang Mai gehen, seine Stirnnebenhöhlen halten das feuchte Klima von Pattaya nicht gut aus, sind immer entzündet. Aber es wird ihm in Chiang Mai immer rasch langweilig, der kommt zurück.

Die Jungs spielen immer noch Volleyball.

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