Diplomatische Gratwanderung

Wiens spezielles Verhältnis zu Moskau

Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.). Foto: epa/Michael Gruber
Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.). Foto: epa/Michael Gruber

WIEN (dpa) - Beim Putin-Besuch in Wien spielte auch die Kunst eine Rolle - ein Beispiel für wichtige Gesten und politische Geschmeidigkeit in ruppigen Zeiten. Aus Moskauer Sicht eine Visite mit Signalcharakter.

Im Kunsthistorischen Museum in Wien hängen sie nun einträchtig nebeneinander: Die Zarin Katharina die Große und die österreichische Herrscherin Maria Theresia. Die Porträts der beiden «Polit-Stars» des 18. Jahrhunderts sind Glanzlichter einer Ausstellung mit Gemälden aus der Eremitage in St. Petersburg. Die Kunst hat eine Botschaft: Österreich und Russland, das ist eine spezielle Geschichte. Sie reicht von den Dynastien der Romanows und der Habsburger bis in die politisch höchst heikle Gegenwart. Die Alpenrepublik versucht aktuell eine Gratwanderung. Als Teil der EU die Wirtschaftssanktionen gegen Moskau mitzutragen, aber auch eigene, diplomatisch geschmeidige Akzente zu setzen.

Bei seinem Arbeitsbesuch am Dienstag in Wien, der ersten Auslandsreise als wiedergewählter Präsident, lobte Putin: «Auch in den letzten Jahren ist der Dialog trotz aller Schwierigkeiten nicht abgerissen.» Österreichs Sonderrolle im Fall des vergifteten russischen Ex-Spions Sergej Skripal war besonders gut in Moskau angekommen. «Wien hat sich nicht unter die anderen Länder Europas eingereiht und in der Sache Skripal russische Diplomaten ausgewiesen. Das zeigt, dass Österreich ein zuverlässiger Partner ist», sagte der Vizevorsitzende im Wirtschaftsausschuss der Staatsduma, Wladimir Gutenjow.

«Österreich ist einer unserer engsten Partner nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im politischen Bereich», sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Die in Österreich mitregierende rechte FPÖ dürfte sich durch solche Äußerungen in ihrer Linie bestätigt sehen: Sie setzt auf die Annäherung an Russland, in dem sie ein wesensverwandtes, vor allem anti-islamisches Bollwerk sieht. 2016 schloss die FPÖ einen fünfjährigen Partnervertrag mit der Putin-Partei «Geeintes Russland». FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will ein Ende der wegen der Annexion der Krim erfolgten Sanktionen.

Anlass der Visite von Russlands mächtigstem Mann und seiner hochkarätigen Delegation war die gemeinsame Energie-Geschichte. Vor 50 Jahren hatten Österreich und die damalige Sowjetunion den ersten Gas-Liefervertrag unterzeichnet. Ein guter Anlass für Putin, für eine europaweite Fortsetzung dieser Tradition zu werben - und zwar durch Verwirklichung des umstrittenen Acht-Milliarden-Projekts Nord Stream 2. Die Ostsee-Pipeline soll künftig noch mehr russisches Gas nach Europa transportieren.

Einer der Investoren ist der teilstaatliche österreichische Energiekonzern OMV. Dessen deutscher Chef Rainer Seele sieht den Umstand steigender Abhängigkeit von Moskau ganz nüchtern. «Russland hat sich jahrzehntelang als äußerst verlässlicher Partner erwiesen. Eine Abhängigkeit ist dann kein Problem, wenn sie gegenseitig ist - wie in diesem Fall. Russland braucht diesen Markt», sagte Seele vor dem Besuch.

Die Visite fällt in eine Zeit tiefer Entfremdung zwischen Europa und den USA. Nach dem US-Ausscheren aus dem Atom-Deal mit dem Iran und der Verhängung von Strafzöllen für Stahl sowie Aluminium aus der EU sind die Beziehungen zu Washington kühl wie selten zuvor. «Naiv ist es, auf die Zeit nach Donald Trump und eine Rückkehr zu alten Mustern zu setzen. Der noch viel größere Irrtum ist die Fortsetzung einer alternativlosen transatlantischen Politik», schreibt der österreichische Historiker Michael Gehler von der Universität Hildesheim in der «Wiener Zeitung». Ein sorgfältig vorbereiteter Strategiewechsel sei das Gebot der Stunde.

Für Putin war der Besuch in Wien der dritte ranghohe Kontakt mit Staaten der EU binnen weniger Tage. Erst hatte er die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi zu Besuch, dann den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in St. Petersburg. Doch eine Annäherung brachten diese Gespräche nicht. Beide blieben hart gerade bei den Sanktionen.

Umso größer waren die russischen Hoffnungen auf den Besuch bei Kurz, den die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti nicht ein Wunderkind, aber einen «Wunderkanzler» nannte. Wenn Österreich am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, bekommt es auch eine führende Rolle in der Sanktionsdiskussion. Putins Besuch in Wien schließe vorerst die Kette von Gesprächen mit Europa ab, sagte der Experte Wladislaw Below von der Moskauer Akademie der Wissenschaften. «Russland hofft, über Österreich ein Signal an Brüssel zu senden.»

Kurz hat sich im Zusammenhang mit den Sanktionen immer für ein schrittweises Vorgehen ausgesprochen. Kleine Schritte der einen Seite sollten mit kleinem Entgegenkommen der anderen Seite belohnt werden. Ein generelles Ausscheren aus der EU-Position wird es aber mit dem 31-jährigen Ex-Chefdiplomaten Österreichs nicht geben. Wobei auch die Wirtschaft mit der aktuellen Situation nicht zufrieden ist. Seele, nebenbei Präsident der deutsch-russischen Außenhandelskammer, sagt es so: «Der Baukasten der Diplomatie enthält mehr als Sanktionen.»

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