Diese Schweizer lassen wirklich jeden rein

Ein Pattayaner auf Sommerreise in Europa, Teil 2, München - Zürich


Der Haupteingang des Zürcher Hauptbahnhof
Der Haupteingang des Zürcher Hauptbahnhof

Nach 16 Jahren Pattaya oder Thailand habe ich momentan etwas genug von Land und Leuten. Der Dauerregen, der Putsch, die wirtschaftliche und politische Unsicherheit, mühselige Visa-Regeln, Langeweile, die Unsicherheit auf dem Immobilienmarkt, die Hitze, der hohe Bahtkurs, alles das sind Faktoren, die meine Stimmung verhageln. Also beschliesse ich, Pattaya für zwei bis drei Monate den Rücken zu kehren und auf einer grossen Sommerreise durch Europa aufzutanken. Und wo kann man das besser tun in als in Städten, denn urban ist Pattaya ja nun wirklich nicht? Hamburg, Berlin, Dresden, Brüssel, Amsterdam, Paris, Marseille, Nizza, Zürich und München will ich mindestens besuchen. Und am 29. Juni ist – 30 Jahre nach der Matur – Klassenzusammenkunft in Zürich. Das sind die Eckdaten, der Rest Improvisation.

Als vorsichtiger Schweizer begebe ich mich schon am Tag vor meiner Abreise von München auf den dortigen Hauptbahnhof und kaufe ein Billett. Der Zug – an einem Sonntag – soll gegen 13 Uhr irgendwas abfahren, das ist doch angenehm. Doch als ich dann einen Platz einnehmen will, merke ich erst, dass alle reserviert sind. Das ist ein langes Wochenende mit irgendeinem christlichen Feiertag, die wir Pattayaner ja längst nicht mehr spüren, gewöhnt an all unsere Chakri-, Verfassungs, Songkran-Tage und all die anderen Feiertage zu Ehren von Buddha und dem König. Warum hat mich der bajuwarische Kartenverkäufer am Vortag nicht darauf aufmerksam gemacht, dass eine Reservierung mindestens empfohlen ist? Mai di! Man könnte auch von einem Depp reden.

Ich frage den Kondukteur um Rat. Der schüttelt nur den Kopf über den offensichtlich arglosen Pattayaner, sie hätten 700 Reservierungen auf diesem Zug, aber vielleicht werde irgend jemand ja nicht kommen. Ich werde vier Mal vertrieben, bevor ich schliesslich einen Platz finde, der von seinem "echten" Besitzer offensichtlich nicht in Anspruch genommen wird. Wahrscheinlich ist er am Vorabend in einem Puff abgestürzt. Andere Passagiere sind nicht so glücklich und müssen fast die ganze Fahrt stehend verbringen. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf die mittelschöne Landschaft, die draussen vorbei fliegt, und höre Bob-Dylan-Lieder vom MP3 Player, ein leicht autistisches Vergnügen, den Stefan (ja, der liebe Matter) als Geschenk mit auf die grosse Europatournee gegeben hatte. Zugfahrten sind eine so geile Fortbewegungsart. Ich bin fast besoffen vor Glück, (und ein paar Bieren, Löwenbräu, kein Weissbier diesmal).

Als der Zug die Grenze von Deutschland nach Österreich überquert, kommt kein Zöllner, keine Immigration will irgend etwas wissen und von Österreich in die Schweiz genau dasselbe. Null Stempel. Die lassen also auch Leute aus Pattaya rein, die lassen wirklich jeden rein. Und so komme ich schliesslich vollkommen unbehelligt in Zürich an. Nur die Nachbarn stören natürlich ein wenig: "Gell, Toni", "Häsch geseh, Toni", "Weisch no, Toni", "Was meinsch, Toni?" Ich rege mich nur minimal auf, denn ich kann schliesslich froh sein, noch einen Sitzplatz gefunden zu haben, da nimmt man diese Bergstämme und ihr Gebrabbel in Kauf.

Zürich steht immer noch, Tsunamis sind hier vollkommen unbekannt. Das Limmatquai ist jetzt verkehrsberuhigt, das hat ja nur um die 35 Jahre gebraucht, in dieser Zeit bauen sie in Pattaya ungefähr 350 View Talays. Das Kobra-Tram ist tadellos, man sehnt sich nicht zurück nach den Bahtbussen. Man kann beim Cafe Rathaus jetzt unbehelligt draussen sitzen, etwas ruhiger als beim Italiener auf dem Hügel. Ist die Strasse dort wohl schon breiter und fertig? Wie geht es Martin Rüegsegger und seiner lieben Frau Bussaba? Mit Danielle meiner guten Freundin aus Bangkok, jetzt – wie es sich in Zürich wohl gehört – eine Bankerin bei der Gotthard Bank, gehe ich Mittagessen. Wer die vielen Millionen, die er in Pattaya mit seiner klugen Investition in eine Go-Go verdient hat, gewinnbringend investieren will, wende sich an Danielle. Wir kaufen bei dieser Metzgerei am Anfang der Bahnhofstrasse, wo immer Bell war, jetzt heisst sie aber plötzlich anders, tempora mutantur, ein paar Sandwichs und steigen auf den Lindenhof, wo wir die Aussicht geniessen und quatschen und quatschen. Ich trinke zwei Feldschlösschen, Danielle, die brave Bankerin, Mineral. Es hat noch keine Wespen, zum Glück. Christian Fotsch, der war mal bei der Schweizer Botschaft in Bangkok, ist nicht erreichbar, sein Handy ist immer tot und nimmt nicht mal Meldungen in der sogenannten Combox entgegen. Der ist fast wie gewisse Leute in Pattaya. Christian, Du bist obermühsam!

Bei der Migros fragen sie immer noch nach der Cummulus-Karte, als ich ein paar Cosano-Pariser mit Erdbeergeschmack kaufe. Vielleicht ist der Blowjob in Zürich ja auch bekannt? Ich zweifle daran, aber man weiss ja nie, und sicher ist der Blowjob nicht so günstig wie in Pattaya les bains zu haben. Nein, immer noch keine Cummulus-Karte, ich nehme die Rabattmärkli bei Carrefour in Pattaya ja auch nicht. Cervelats und Bratwürste sind flächendeckend zu haben, sogar in irgendeinem Baumarkt in Suberbia, wo der "Güggeliexpress" gerade gastiert, der nicht nur garantiert echte Schweizer Hähnchen grillt – gibt es hier denn keine Vogelgrippe? -, sondern auch Cervelats und Bratwürste hat. Die besten gibt es natürlich immer noch beim Vorderen Sternen am Bellevue, der, Sterneföifi, jetzt auch plötzlich anders heisst. Man ist hier in Zürich nicht vom Metzger Bodenmann abhängig, und sein bekannter Wursttreff am Freitag und Samstag findet in Zürich flächendeckend und täglich statt. Im Odeon ist Nicolas Baerlocher wieder einmal total blau und sieht grauenhaft aus, wie ein tödlich verletztes Reh. Die Leute in Zürich sind lieb, aber etwas naiv, reden immerzu vollkommen korrekt und wollen niemanden stören. Man kann sogar das Telefon (Landlinie) unterbrechen lassen, dann kommt eine unterkühlte Ansage: "Der Teilnehmer möchte nicht gestört werden." Das ist ein wenig sehr ga-ga, oder nicht?

Ich treffe mich mit meinem Freund Christoph Müller – eine Art alter ego - zum Essen im "Sydespinner", einem bekannten Lokal in Kreis 4. Christoph hat verschiedene hervorragende Reporterbeiträge (und etliche Dokumentarfilme) für das Schweizer Fernsehen in Thailand produziert, der bekannteste ist vielleicht "Der Lauf des Lebens", der die Geschichte der Alzheimer kranken Margrit Woodtli erzählt, die von ihrem Sohn, Martin, in Chiang Mai zu Hause im Dreischichtbetrieb gepflegt wurde (der FARANG hat darüber berichtet). In der Schweiz wäre sie mit Bestimmtheit institutionalisiert und medikamentös ruhiggestellt worden. Margrit Woodtli ist inzwischen gestorben. Andy Stutz, der Besitzer des "Sydespinner", auch als Seidenkönig von Zürich bekannt, empfängt uns. Er hat schon einen gigantischen Zacken in der Krone – wie man in Zürich für "mau, mak, mak" sagt – weil er schon seit 14 Uhr Champagner mit einer steinreichen Russin und einem (schwulen) steinreichen Russen – einem enorm schönen Mann - gesoffen hat. Stutz wäre an diesem Abend eigentlich beim früheren Stadtpräsidenten von Zürich, Josef Estermann, eingeladen, der, wenn er für seine Gäste kocht, immer ein sogenanntes Geköch veranstaltet, das heisst, stundenlang in der Küche steht. Und das letzte Mal, als Stutz beim früheren Stadtpräsidenten eingeladen war, war er doch auch schon so besoffen und konnte gar nichts essen und wurde deshalb vom früheren Stadtpräsidenten und seiner Frau Maggy zusammengeschissen, er erinnert sich vage. Und jetzt kommt er wieder so dort an. Zustände fast wie in Pattaya, nur dass dort mehr Beer Chang und weniger Champus getrunken wird, im allgemeinen. Vermisse ich Dich schon, liebes Pattaya? Bis jetzt noch nicht. Mehr Kultur hier in Europa, weniger Shophäuser. Bald werden wir in Südfrankreich sein.

Wer an den schwulen Aspekten dieser europäischen Reise interessiert ist, wende sich an: www.stickyrice.ws Dort ist ein täglicher Blog auf Englisch und Deutsch von dieser Reise aufgeschaltet. Hier beim FARANG (dem Familienblatt) pflegen wir die deutschsprachigen (und allgemeinen) Aspekte.

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Leserkommentare

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