Defatigatio

Defatigatio

Ich lag am Dongtan-Strand, wurde schläfrig, das Buch fiel mir aus der Hand und die Augen fielen mir zu. Ein vorübergehender FARANG-Leser erkannte mich, blieb stehen und sprach mich an.

„Entschuldigung, Sie sind doch...“ Ich kannte den Mann nicht. „Ich lese Ihre Kolumnen immer mit großer Freude. Am meisten bewundere ich Sie dafür, dass Sie fast nie Fremdwörter benutzen.“ Ich bedankte mich und schloss wieder die Augen. Aber der Fremde ließ nicht locker: „Wissen Sie, nicht jeder Leser hat studiert und versteht solche fremden Wörter.“ Ich wollte höflich bleiben und erwiderte: „Ja, da haben Sie recht.“ Der Mann gab nicht auf. „Ihre letzte Kolumne war eigentlich recht schwierig, aber alle Achtung, nicht ein einziges Fremdwort.“

Etwas genervt setzte ich mich aufrecht und sah mir den Störenfried näher an. Er trug nur eine enge Badehose, war an beiden Armen tätowiert, und seine Glatze glänzte im Sonnenlicht. Ich schätzte ihn auf Mitte sechzig. Er sah sich um. „Gestatten Sie, dass ich mich einen Augenblick zu Ihnen setze?“ Er wartete meine Antwort nicht ab und nahm links von mir auf einer freien Liege neben mir Platz. „Mein Name ist Heribert. Ich komme aus Stuttgart und lebe schon über fünf Jahre hier in Pattaya. Ich hatte nur eine einfache Schulbildung. Deshalb ärgere ich mich über die vielen Fremdwörter, wenn ich lese. Ich besitze zwar ein Fremdwörterlexikon, aber wer will sich schon beim Lesen dadurch stören, indem er ständig im Lexikon rumblättert.“ – „Das verstehe ich.“

In der Hoffnung, er würde mich in Ruhe lassen, legte ich mich wieder lang. Aber diese Geste übersah er oder verstand sie nicht. Nach einer kurzen Pause nahm er das Gespräch wieder auf: „Ich verstehe Ihren Verzicht auf Fremdwörter als Höflichkeit gegenüber Ihren Lesern. Sehe ich das richtig?“ Der Mann bemerkte wirklich nicht, dass er mich störte. „Hallo, Bernd“, rief er einem Mann entgegen und winkte ihn herbei. „Das ist mein Freund Bernd. Der liest auch gerne Ihre Kolumnen.“ Es reicht, dachte ich. Aber der Angesprochene blieb stehen, trat näher heran, grüßte höflich und sah mich freundlich an. Was blieb mir übrig? Ich nahm wieder eine sitzende Haltung ein und grüßte ihn ebenfalls. Heribert zeigte auf mich und sagte: Das ist der Ce-eff, Du weißt doch, der die Kolumnen im FARANG schreibt. Ich habe ihn gerade zufällig getroffen.“ – „Sehr angenehm“, erwiderte der als Bernd angesprochene Mann und setzte sich auf eine freie Liege rechts neben mir.

Er trug lange blonde Locken, eine viel zu enge Badehose, und auf seinen rechten Oberarm war ein Herz tätowiert. Darunter stand „Für immer Angela“. Als er bemerkte, dass ich auf sein Tattoo blickte, sagte er: „Das war voreilig. Angela gibt es nicht mehr.“ Ich nickte nur und überlegte, wie ich meine ungebetenen Besucher wieder loswerden konnte, ohne unhöflich zu werden. Ein Verkäufer blieb stehen und bot gebratene Shrimps an. Heribert winkte ab und meinte: „Diese Leute können richtig lästig werden.“ Ich konnte mein Grinsen nur schwer unterdrücken, und beinahe wäre mir herausgerutscht: „Ja, aber andere auch.“ Heribert wandte sich an seinen Freund: „Ich habe Herrn Ce-eff gerade ein Kompliment dafür gemacht, dass er fast nie Fremdwörter in seiner Kolumne verwendet.“ – „Stimmt“, stimmte Bernd ihm zu, „er wird sicher dafür Gründe haben.“ Beide starrten mich fragend an. Ich überlegte eine passende Antwort. Dann sagte ich: „Meine Herren, Sie müssen sich nicht länger meinen Kopf zerbrechen. Ich habe es nicht nötig, mit meiner Bildung zu protzen. Schließlich gibt es für jedes Fremdwort ein passendes Wort in unserer Sprache oder eine entsprechende Umschreibung.“ Dann fügte ich, jede Silbe betonend, hinzu: „Defatigatio“. Jetzt waren sie sprachlos. Dann fragte Heribert: „Was bedeutet das denn?“ Mit meiner Antwort ließ ich mir Zeit. Dann sagte ich „Müdigkeit“. Heribert schien plötzlich aufzuwachen: „Sind Sie müde? Haben wir Sie etwa gestört?“ Ich lächelte nur. Beide sprangen gleichzeitig auf. „Verzeihen Sie vielmals. Das lag nicht in unserer Absicht. Einen angenehmen Tag noch.“

Weg waren sie. Manchmal kann ein Fremdwort doch ganz hilfreich sein.

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