Das Wrack von MH17 und die Suche nach der Wahrheit

Eine mächtige Explosion, Hunderte Metallteile durchsieben ein Flugzeug, das in 10.000 Metern Höhe auseinanderbricht. 298 Menschen sterben beim Abschuss von Flug MH17. Was geschah damals genau? Foto: epa/Robin Van Lonkhuijsen
Eine mächtige Explosion, Hunderte Metallteile durchsieben ein Flugzeug, das in 10.000 Metern Höhe auseinanderbricht. 298 Menschen sterben beim Abschuss von Flug MH17. Was geschah damals genau? Foto: epa/Robin Van Lonkhuijsen

GILZE-RIJEN: Als sich die Türen zu der großen Halle auf dem niederländischen Militärflughafen Gilze-Rijen öffnen, werden die rund 200 Journalisten plötzlich still. Mitten in der dunklen Halle ragt wie ein Mahnmal das Wrack eines Flugzeuges empor. Es sind die Reste der Boeing 777 mit der Flugnummer MH17, die am 17. Juli 2014 über der Ost-Ukraine abgeschossen worden war. Es ist die letzte fühlbare Verbindung mit den 298 Menschen, die damals über umkämpftem Gebiet starben.

Wie Puzzleteile hängen die Metallstücke an einem Stahlgerüst. Voller Schrammen, Dreck, Beulen und durchbohrt von unzähligen Einschusslöchern. Innen sieht man die zerfetzten Sitze der Piloten. Luftfahrt-Experten hatten aus den Trümmerteilen den vordersten Teil der Maschine der Malaysia Airlines rekonstruiert. Das Cockpit und einen Teil der Businessklasse.

Vor dieser fast schon gespenstischen Kulisse gibt der Vorsitzende des niederländischen Sicherheitsrates, Tjibbe Joustra, am Dienstag die Ergebnisse der internationalen Untersuchung zum Absturz von MH17 bekannt. Dreieinhalb Kilogramm schwer ist der Bericht. Es ist das Ergebnis von 15 Monaten akribischer Suche nach der Wahrheit.

Die Experten aus sieben Ländern konnten sich keinen Fehler erlauben. Zuviel steht auf dem Spiel. Die Katastrophe von Flug MH17 steht auch im Zentrum des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Beide Staaten machen sich gegenseitig verantwortlich.

Der niederländische Sicherheitsrat mühte sich um Neutralität. Er hatte schließlich nicht die Schuldfrage untersucht, sondern nur die technische Ursache. Die ist geklärt. Flug MH17 wurde von einer Buk-Rakete abgeschossen. Doch offen ist: Wer hat sie abgefeuert? Hatte das ukrainische Militär die Rakete lanciert? Oder waren es die pro-russischen Rebellen?

Der Bericht bleibt undeutlich. Doch später macht der Vorsitzende Joustra klar: Ja, die Rakete wurde vom Gebiet der Rebellen abgefeuert. Doch die Schuldfrage müssen die noch laufenden strafrechtlichen Ermittlungen klären.

Für die Angehörigen war dies erneut ein schwerer Tag. Fernab von dem Militärflugplatz waren sie in Den Haag über die Ergebnisse informiert worden. «Wieder nichts», sagte Wim van der Graaff später enttäuscht. Vieles sei nur bestätigt worden. «Doch keiner übernimmt die Verantwortung.»

Am bittersten war für viele die Schlussfolgerung, dass das Drama hätte vermieden werden können. «Die Ukraine hätte aus Vorsorge den Luftraum absperren müssen», stellt der Bericht fest. Denn zuvor waren bereits mehrere Militärmaschinen abgeschossen worden.

Doch andere Angehörige bewerten den Bericht auch positiv. «Es gibt mehr Klarheit», sagt ein junger Mann. Er hatte seine Eltern bei der Katastrophe verloren. «Jetzt weiß ich doch, was sie die letzten Momente mitgemacht haben.»

Für die Angehörigen war dies die wohl bewegendste Frage, die der Bericht beantworten sollte. Was haben die Menschen an Bord mitbekommen? Haben sie gelitten? Wohl kaum, lautete die tröstende Antwort des Vorsitzenden Joustra. «Die meisten haben sehr schnell das Bewusstsein verloren.»

Doch wie schnell? Um 15:19 Uhr und 56 Sekunden (mitteleuropäischer Sommerzeit) war der letzte Kontakt mit der MH17. Sieben Sekunden später stoppt die Aufnahme des Flugrekorders. Kurz zuvor war die Anzeige des Rekorders kurz, aber heftig nach oben ausgeschlagen. Kaum hörbar, es waren nur ein paar Millisekunden. Das muss die Explosion der Buk-Rakete gewesen sein. Das Cockpit bricht vom Flugzeugrumpf ab. Der Druck sinkt. Dann bricht der Rest der Maschine auseinander.

«Im Saal war es total still», erzählt eine junge Frau später über die Unterrichtung der Angehörigen. «Alle waren ergriffen.» Die meisten Menschen an Bord hätten wohl nichts mehr gespürt. «Es dauerte nur wenige Sekunden», fügt ein anderer Mann hinzu. Er ist deutlich angeschlagen. «Ein paar Sekunden können sehr lang sein.»

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