Christentum und Buddhismus Teil 6

Die Vielfalt der Lehrmeinungen

Links: Boddhisattva Avalokiteshvara als Guan yin mit Buddha Amithaba auf dem Kopf (Bangkok, Bang Kapi / Khlong San Saep). Rechts: Schutzmantelmadonna (Heiligen-Geist-Hospital Lübeck).
Links: Boddhisattva Avalokiteshvara als Guan yin mit Buddha Amithaba auf dem Kopf (Bangkok, Bang Kapi / Khlong San Saep). Rechts: Schutzmantelmadonna (Heiligen-Geist-Hospital Lübeck).

Wer als Christ für längere Zeit in Thailand lebt, wird unweigerlich auf die Zeugnisse buddhistischen Glaubens stoßen. Gerade die Legenden zur Lebensgeschichte des Gautama Buddha zeigen streckenweise überraschende Ähnlichkeiten zu dem, was die Bibel über die Lebensgeschichte Jesu Christi berichtet. Bei näherem Hinsehen werden dann aber auch Unterschiede deutlich, die bei allem Respekt gegenüber anderen Religionen zum Nachdenken darüber einladen, was die Besonderheit der christlichen Botschaft ausmacht.

Aus den Botschaften von Buddha und Christus entwi­- ck­el­ten sich nach ihrem Tod eine Fülle von Lehrmeinungen, die vor allem um zwei Themenbereiche kreisen.

Zum einen: in wie weit waren Buddha und Christus menschliche Lehrer und Vorbilder, und in wie weit waren sie göttliche Wesen, die angebetet werden können?

Und zum anderen: sind die Erlösungswege des Buddha und des Christus nur für besonders auserwählte Menschen (zum Beispiel Mönche) geeignet, oder können sie auch von normalen Menschen (Laien) gegangen werden?

Der südliche Buddhismus („Theravada“-„die Lehre der Alten“) sieht Buddha vor allem als philosophischen Lehrer, der den achtgliedrigen Pfad der Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten gezeigt hat. Jeder Einzelne ist aufgerufen, diesem Weg zu folgen und schließlich als „arhat“ („Würdiger“) das „Verlöschen“ zu erreichen. In der Praxis ist das ein Weg, der nur von Mönchen (und nur von Männern) gegangen werden kann. Den Laien (und den Frauen) bleibt demgegenüber nur, durch gutes Tun und Gaben an die Mönche gutes Karma anzusammeln, um in einer späteren Existenz den Weg zum „Verlöschen“ zu finden.

Im Unterschied dazu entstand im nördlichen Buddhismus („Mahayana“ – „das große Fahrzeug“) die Vorstellung, dass der irdische Buddha nur ein Aspekt einer umfassenderen Wirklichkeit ist, die untrennbar mit jenseitigen, geis­tigen Formen des Buddha und der absoluten Wahrheit verbunden ist. Und aus dieser geistigen Welt kommt den suchenden Menschen Hilfe in Form von Boddhisattvas entgegen, von Wesen, die sich auf dem Weg zur Buddhaschaft befinden.

Die bekannteste dieser Figuren ist der Boddhisattva Avalokiteshvara („der liebevoll auf alle Wesen blickt“), der manchmal auch weibliche Züge trägt (als Prajnaparamita, oder als Guanyin in China) und mit der Figur des Buddha Amithaba („Buddha des grenzenlosen Lichtes“) verbunden ist. Hier steht der Weg zur Befreiung nicht nur Mönchen offen, sondern allen Menschen, und verbindet dabei Weisheit und Mitgefühl. Die Buddha-Natur ist dabei nicht etwas, das durch Anstrengung erreicht werden muss. Die erleuchtende Erkenntnis besteht vielmehr darin, dass alle Erscheinungen „leer“ sind und gerade darin immer schon Buddha-Natur haben.

In der Geschichte des Chris­tentums sind überraschend ähnliche Entwicklungen zu beobachten: So gab es von den ersten Jahrhunderten an bis zur Gegenwart immer wieder Streit um die Frage, wie Menschen zur „Erlösung“ kommen. Wenn Christus „nur“ Lehrer und Vorbild ist, hängt es am Ende von den Fähigkeiten des Menschen ab, ob er es schafft, diesem Lehrer zu folgen – oder nicht. Und umgekehrt: wenn Christus „nur“ göttlich, übernatürlich ist, dann bleibt dieses Göttliche dem Menschen fern, kann ihn nicht erreichen, nicht verwandeln. Aus diesem Grund spricht das christliche Glaubensbekenntnis von einem drei-einigen Gott: „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ – um eben die beiden Ebenen des „irdisch-menschlichen“ und des „überweltlich-göttlichen“ zusammenzuhalten.

Gleichzeitig aber geht es in der jüdisch-christlichen Tradition nicht nur um „Himmel“ und „Erde“, sondern auch um das Thema „Gerechtigkeit“ – wie kann ein Menschenleben, wie kann eine ganze Welt erlöst werden, wenn so viel Gutes wirkungslos bleibt, wenn so viel Schlechtes sich durchsetzt, wenn so viele Rechnungen offen bleiben?

Wenn an dieser Stelle in der jüdisch-christlichen Tradition von einem „letzten Gericht“ gesprochen wird, ist damit nicht einfach eine individuelle „Belohnung“ der „Guten“ und eine „Bestrafung“ der „Bösen“ gemeint, sondern die Verwandlung und Wiederherstellung einer ursprünglich guten Schöpfung. Und diese Verwandlung beginnt nicht in einem fernen Jenseits, sondern schon jetzt, in der Gegenwart.

In der Sprache des Mahayana-Buddhismus: die Buddha-Natur ist schon längst da, sie muss nur realisiert werden.

Und welche Rolle spielt der Christus, der „Gesalbte Gottes“ in dieser Verwandlung der Welt?

Das traditionelle Bild beschreibt die Rolle des Christus so, dass er in seiner Kreuzigung ein Opfer darbrachte – wobei der Sinn dieses Opfers unter Chris­ten durchaus umstritten ist: musste (mittelalterlich gedacht) ein zorniger Gott durch dieses Opfer gnädig gestimmt werden? Oder besteht das Geheimnis von Gerechtigkeit und Verwandlung gerade darin, dass Menschen – und Gott! – bereit sind, sich hinzugeben?

Ein Gedanke, der der Bodhisattva-Vorstellung des Mahayana-Buddhismus überraschend nahe kommt. Und eine Herausforderung, die sich Buddhisten und Christen gleichermaßen stellt.


Über den Autor:

Ulrich Holste-Helmer (56) lebt und arbeitet – auf geteilter Stelle mit seiner Ehefrau Annegret Helmer – seit 2011 als Pastor der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Thailand.

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