Christentum und Buddhismus Teil 2

Die erleuchtende Erkenntnis

Buddhafiguren im Wat Mahathat, Bangkok (links). Rembrandt van Rijn, Das Gleichnis Jesu von der Umkehr des verlorenen Sohnes, 1666-69 (rechts).
Buddhafiguren im Wat Mahathat, Bangkok (links). Rembrandt van Rijn, Das Gleichnis Jesu von der Umkehr des verlorenen Sohnes, 1666-69 (rechts).

Wer als Christ für längere Zeit in Thailand lebt, wird unweigerlich auf die Zeugnisse buddhistischen Glaubens stoßen. Gerade die Legenden zur Lebensgeschichte des Gautama Buddha zeigen streckenweise überraschende Ähnlichkeiten zu dem, was die Bibel über die Lebensgeschichte Jesu Christi berichtet. Bei näherem Hinsehen werden dann aber auch Unterschiede deutlich, die bei allem Respekt gegenüber anderen Religionen zum Nachdenken darüber einladen, was die Besonderheit der christlichen Botschaft ausmacht.

Buddha („der Erwachte“) lebte und wirkte von 624 bis 544 vor der christlichen Zeitrechnung in Nordostindien. Mit 29 Jahren verließ er seine adelige Familie und wurde unter dem Namen „Gautama der Asket“ und „der Weise aus dem Stamm der Shakyas“ (Shakyamuni) Wanderprediger und Weisheitslehrer. Nachdem er zunächst verschiedene Wege der Meditation bis hin zu einem extremen Fasten geht, entdeckt er für sich schließlich den „mittleren Weg“ und findet so zur erleuchtenden Erkenntnis.

Christus („der Gesalbte“) lebte und wirkte von ca. 7 vor der christlichen Zeitrechnung bis ca. 30 nach der christlichen Zeitrechnung unter dem Namen Jeshua in Nordisrael und Jerusalem. Im Alter von etwa 30 Jahren schließt er sich dem Jüngerkreis des Wüstenpropheten Johannes an, bricht aber dann mit der drohenden Gerichtsbotschaft dieses Propheten und findet in der „guten Botschaft“ von einer neuen, von Gott verwandelten Welt seine erleuchtende Berufung.

Für Buddha entsteht Leiden dadurch, dass Menschen gefangen sind in Begehren, Leidenschaften und Unwissenheit.Worin aber besteht die erleuchtende Erkenntnis und Berufung? Buddha wie Christus beginnen mit der Frage, wie Erlösung aus dem menschlichen Leiden möglich ist.

Erlösung und Befreiung sind nur dadurch möglich, dass Begehren, Leidenschaften und Unwissenheit aufgehoben werden: durch Entschlossenheit, ethisches Handeln und Meditation.

Wie schon der Hinduismus, so geht auch Buddha davon aus, dass sich Menschen in einem unendlichen Kreislauf der Wiedergeburten befinden, in dem die jeweils früheren Existenzen Auswirkungen auf die folgenden Existenzen haben (Karma) – zum Guten wie zum Schlechten. Erlösung bedeutet vor diesem Hintergrund letztlich, aus diesem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen – indem Begehren, Leidenschaften und Unwissenheit zum „Verlöschen“ gebracht werden. Im Unterschied zum Hinduismus geht Buddha dabei von einem vollständigen Verlöschen aus, in dem nicht einmal so etwas wie eine die Wiedergeburten überdauernde „Seele“ bleibt.

Für Christus entsteht Leiden dadurch, dass Menschen gefangen sind in der Macht der Sünde.

Wobei „Sünde“ nicht einfach moralische Verfehlungen meint, sondern „Bruch von Beziehung“ – im Blick auf mich selbst, im Blick auf andere Menschen, im Blick auf Gott. Doch die Macht der gebrochenen Beziehungen kann aufgehoben und geheilt werden: durch Zuwendung, Umkehr und Vergebung.

Wie schon das Judentum, so geht auch Christus davon aus, dass Menschen sich über Generationen mit dem auseinandersetzen müssen, was sie „ererbt“ haben – zum Guten wie zum Bösen. Dabei sind die Menschen aber eingebettet in eine unendliche Befreiungsgeschichte, die mit dem Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei begann, und die durch das Wirken der göttlichen Geisteskraft bis zum heutigen Tag andauert. Diese Geschichte ist verbunden mit dem Erscheinen eines von Gott gesandten „Gesalbten“ (Messias / Christus), und sie schließt ausdrücklich auch die Überwindung von sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit mit ein – mit dem Ziel eines umfassenden Friedens (shalom) in einer neuen, verwandelten Welt.

Die Wege des Buddha und des Christus müssen keine Alternativen sein. Auch im Buddhismus gibt es die Zuwendung zu den Leidenden und das Ziel eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Und umgekehrt gibt es auch im Christentum die mystische Versenkung, die Meditation, die auf die Überwindung des Alles-Selber-Machen-Wollens zielt.

Aber die Ausgangspunkte und die Logiken beider Wege sind verschieden. Und ihre Verschiedenheit ist vielleicht am ehesten zu erklären aus den elementaren Lebenserfahrungen der Menschen in der westlichen und in der östlichen Welt: wo es, wie im tropischen Asien, in der Natur ein dauerndes Neben- und Ineinander von Keimen, Wachsen, Frucht bringen und Verrotten gibt, ist eine Deutung der Welt und des menschlichen Lebens als ein unendlicher, ineinander verknüpfter Kreislauf unmittelbar einleuchtend. Und umgekehrt: wo es, wie im Vorderen Orient oder in Europa, im Jahreslauf einen deutlich unterscheidbaren Wechsel von Fruchtbarkeit und lebensfeindlichen (kalten oder heißen) Wüstenzeiten gibt, da ist es nachvollziehbar, dass von einem Anfang und einem Ende des Lebens und der Welt geredet wird und von der Vision, dass das „Alte“ verändert und verwandelt werden kann in etwas „Neues“, das so noch nie da gewesen ist.


Über den Autor:

Ulrich Holste-Helmer (56) lebt und arbeitet – auf geteilter Stelle mit seiner Ehefrau Annegret Helmer – seit 2011 als Pastor der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Thailand.

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