Wie Reform UK den Premier unter Druck setzt

​Angriff von Rechtsaußen 

Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak in London. Foto: epa/Hollie Adams
Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak in London. Foto: epa/Hollie Adams

LONDON: In einigen Umfragen liegt die ehemalige Brexit-Partei nur noch wenige Punkte hinter den Konservativen von Premier Sunak. Die Tories sitzen in der Klemme.

Es ist gut möglich, dass Reform UK bei der britischen Parlamentswahl keinen Sitz gewinnt. Und trotzdem dürfte die rechtspopulistische Partei die Abstimmung beeinflussen. 41 Mandate könnte Reform, wie sich die vor ziemlich genau fünf Jahren als Brexit-Partei gegründete Kraft mittlerweile nennt, die Konservativen von Premierminister Rishi Sunak kosten, haben die Zeitung «Times» und das Meinungsforschungsinstitut Yougov analysiert.

Denn es sind vor allem frustrierte Wähler der Konservativen, die ihre Stimme bei der bisher nicht terminierten Wahl den Rechten geben dürften. Im britischen Wahlsystem erhält nur der Sieger eines Wahlkreises einen Sitz im Unterhaus. Wenn aber wegen der Stimmen für Reform das konservative Lager gespalten wird, profitiert davon vor allem die andere große Partei: Labour. Eine Opinium-Umfrage für die Sonntagszeitung «Observer» ergab, dass nur 41 Prozent der Tory-Wähler von 2019 nun wieder für die Partei stimmen wollen. 14 Prozent würden zu Reform wechseln und 12 Prozent zu Labour.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist eng mit einem Namen verbunden: Nigel Farage. Nachdem der Brexit-Vorkämpfer 2019 die Partei mit gegründet hatte, wurde sie kurz darauf bei der Europawahl mit 30,5 Prozent der Stimmen zur stärksten Kraft in Großbritannien. Derzeit hat Farage keinen Posten inne und noch nicht erklärt, ob er bei der Wahl antritt. Als gut bezahlter Moderator einer Politsendung im rechten Sender GB News sowie jüngst als Teilnehmer des britischen TV-«Dschungelcamps» steht er aber regelmäßig im Rampenlicht.

«Reform UK hat allein deshalb erhebliche Unterstützung erhalten, weil Farage bekanntermaßen mit der Partei verbunden ist», sagt der Politologe Mark Garnett. Seit kurzem 60 Jahre alt, kokettiert Farage immer wieder damit, den Vorsitz der Konservativen übernehmen zu wollen. Es gibt nicht wenige Experten, die dieses Szenario nach der erwarteten Wahlniederlage Sunaks für realistisch halten.

In den Augen vieler Tory-Wähler stehen Farage und Reform für vieles, was ihnen an den Konservativen fehlt, wie Experte Garnett von der Universität Lancaster sagt. «Reform lebt von dem weitverbreiteten Gefühl, dass sich Großbritannien bis zur Unkenntlichkeit verändert hat und die Konservativen trotz ihrer 14-jährigen Regierungszeit seit 2010 nichts unternommen haben, um diesen Prozess zu stoppen.» Vor allem das Versprechen, nach dem Brexit die Zuwanderung drastisch zu reduzieren, sei gebrochen worden. Mit Ex-Vizegeneralsekretär Lee Anderson ist ein prominenter Tory bereits zu Reform übergelaufen - damit ist die Partei erstmals überhaupt im Parlament vertreten.

Farage ist aber nicht nur an der konservativen Basis beliebt, wie die Gästeliste zu seinem 60. Geburtstag zeigt. Es kamen mehrere Tory-Hardliner wie die Abgeordneten Andrea ­Jenkyns und Mark Francois sowie Sunaks Kurzzeit-Vorgängerin Liz Truss, die jüngst mit sehr rechten und verschwörungstheoretischen Äußerungen für Aufsehen sorgte. Als «Zukunft des rechten Flügels in Großbritannien» bezeichnete der Chefreporter der Boulevardzeitung «The Sun», Harry Cole, die Partygäste und urteilte: «Nigel Farage kommt zurück - und dieses Mal könnte es den K.o. für die Tories bedeuten.»

Auch Ex-US-Präsident Donald Trump, den Farage schon mehrmals interviewt hat, schickte Grüße: «Ich freue mich sehr darauf, zu sehen, was Dein nächster Schritt sein wird, Nigel. (...) Du bist noch nicht fertig, und hoffentlich kommt das Beste noch.»

Premier Sunak steht ohnehin unter enormem Druck. Die Tories liegen in Umfragen abgeschlagen hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei. Experten rechnen mit einer erdrutschartigen Niederlage. Schon jetzt hat Sunak die Partei weit nach rechts geführt, zum Beispiel beim Demonstrationsrecht oder in der Migrationspolitik. Mehr geht kaum, meint Experte Garnett. «Falls Sunak die Parteipolitik noch weiter in die Richtung von Reform rückt, wird er die verbliebenen moderaten Tory-Wähler vor allem in Südengland vergrätzen.»

Sollte die Partei bei den Kommunalwahlen in England am 2. Mai nicht nur Hunderte Sitze verlieren, sondern auch die Bürgermeisterposten der Region West Midlands um Birmingham oder Teesside im Nordosten, gilt es sogar als möglich, dass Sunak noch vor der Parlamentswahl abgelöst wird.

Wechselt Farage dann tatsächlich als Parteichef die Partei? Angesichts der vielen Wendungen des Bierliebhabers, der in den 2000er Jahren die Anti-EU-Partei Ukip anführte und lange im EU-Parlament saß, ist das nicht ausgeschlossen. Doch auch ein neuer Haken gilt als möglich - Farage könnte auf einen Posten in den USA hoffen, falls Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt, berichtete die «Mail on Sunday»

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