Wird Vietnam für Thailand zur Konkurrenz?

Wird Vietnam für Thailand zur Konkurrenz?

Carlos hört und liest allenthalben: Immer mehr Farangs hätten sich von Thailand abgewandt und stattdessen Vietnam als neues Urlaubsland oder als Altersruhesitz für sich erkoren.

16 Jahre nach seinem ersten Besuch in Ho Chi Minh-City – bis 1975 Saigon – hat Carlos sich erneut aufgemacht, um das zu überprüfen. Tatsache ist: Das ganze Land und die Stadt erleben einen wirtschaftlichen Boom-Rausch. Okay, Saigon galt auch vor dem Krieg schon als das "Paris des Ostens", aber der bis 1975 währende Freiheitskampf der Vietnamesen und die anschließende innenpolitische Stagnation lähmten das Leben und den Wiederaufbau des Landes über viele Jahre hinweg. Mitte der 80er Jahre begriffen auch die letzten Hardliner unter den Kommunisten, dass ihre Planwirtschaft zum Scheitern verurteilt war. "Doi-Moi" hieß das neue Zauberwort, das den Weg in die Privatwirtschaft öffnete.

In den letzten 6 Jahren stieg die Zahl der Touristen jährlich um 35% , im letzten Jahr auf über 5 Millionen. Damals, als Carlos zum ersten Mal H.C.M.C. besuchte, dominierten Fahrräder den Verkehr, überfüllte Rikschas, hier und da ein paar Mopeds oder herunter- gekommene Uraltautos. Heute sind die Straßen verstopft von Tausenden Motorradfahrern. Das Chaos, das sie verursachen, ist unbeschreiblich. Es verunsichert den ausländischen Besucher, und es braucht einigen Mut, die Straße zu überqueren.

Carlos sah keinen einzigen Verkehrsunfall

Aber wunderbarerweise gewöhnt man sich schnell daran, indem man es den Einheimischen nachmacht, die einfach losmarschieren und es den Motorisierten überlassen, um sie herumzufahren. Eine ganze Woche lang ist Carlos durch H.C.M.C. geschlendert und hat keinen einzigen Unfall gesehen. Unübersehbar sind auch die vielen baulichen Veränderungen. Etliche der alten französischen Villen im 1. Distrikt mussten neuen Hochhäusern weichen. Zumindest die Boulevards und Alleen haben überlebt, in den Parks und in den Straßen-Cafes findet das Nachtleben statt, wo Familien und Freunde sich treffen, wo man Sport treibt und wo die Jugend sich im Flirten übt.

Sex ist auf diskrete Weise aus dem öffentlichen Leben ausgespart. Dass der natürlich auch irgendwo stattfindet, wird dem Besucher durch Taxifahrer vermittelt, die ihm zuraunen: "You like Ladies, Sir? Young and beautiful. I can show you". Carlos’ Interessen lagen woanders: Er bewunderte das neue, 270 Meter hohe Wahrzeichen der Stadt, den 68 Stockwerke hohen BITEXCO-Financial-Tower, auf dessen 56. Etage ein Helikopter-Landeplatz architektonisch höchst attraktiv ausgestülpt ist. Direkt darunter befindet sich eine Aussichtsplattform, die einen atemberaubenden Rundblick über die ganze Stadt erlaubt. Zum Abendessen ging Carlos auch diesmal wieder ins legendäre Rex-Hotel, von wo aus die Journalisten ihre Berichte während des Krieges in alle Welt absetzten. Die Preise sind mit denen in Thailand vergleichbar, selbst Backpacker genießen dieses schöne Ambiente. Im Speckgürtel der Stadt und am Ufer des Saigon-Rivers sind inzwischen massenweise Hochhäuser entstanden, in denen viele Farangs sich eingekauft haben. Im Gespräch mit Carlos bestätigten sie ihm die Vorteile dieser Stadt. Claus aus Bremen brachte es auf den Punkt: Er habe die "Hölle von Pattaya" gegen das "Paradies von Saigon" eingetauscht. Na ja…Carlos hat ihm da vehement widersprochen: Die Hölle macht sich jeder selbst.

Das fruchtbare Mekong-Delta

Ein Ausflug ins fruchtbare Mekong-Delta galt der Ruhe und Entspannung: Bootsfahrten durch von Wasserpalmen und Mangroven gesäumte schmale Kanäle, Exkursionen in Pferdekutschen und Lunchpausen in versteckten Restaurants. Auch hier traf Carlos auf Farangs, die jetzt hier leben und sich offensichtlich sehr wohl fühlen. Während der Rückfahrt fielen Carlos die mitten in den Reisfeldern errichteten Grabmäler auf. Der Chauffeur erklärte ihm: "Die Bauern begraben ihre Ahnen gerne in der Nähe, damit ihre Seelen sie öfters besuchen können und gleichzeitig die Reisfelder bewachen".

Auch ein Abstecher nach Mui Ne durfte auf dieser Reise nicht fehlen. Die Fahrt zu diesem etwa 220 km, nordöstlich von H.C.M.C. gelegenen Badeort dauert mindestens vier Stunden. In Mui Ne ist Deutsch die vorherrschende Sprache. Viele Deutsche leben oder arbeiten hier. Auch Carlos hat sich hier sehr wohl gefühlt, ebenso wie die vielen Kitesurfer und andere Wassersportler, die hier voll auf ihre Kosten kommen. Deutsche Restaurants, deutsche Residenten und Touristen, sogar das Personal spricht häufig deutsch, dazu die roten und weißen Wanderdünen, die sich zum Teil bis zum viele Kilometer weiten, fast menschenleeren Strand erstrecken. Wer sich hier in die klaren Wellen stürzt, wird die Strände von Thailand nie wieder vermissen.

Und so bleibt zum Schluss die Frage: Wo kann man besser leben? In Thailand oder in Vietnam? Carlos hat auf seiner privaten Werte-Skala von 1 bis 10 sorgfältig aufgelistet, was ihm wichtig erscheint: Preis-Leistungsverhältnis, Verkehrsverhältnisse, Sicherheit, Infrastruktur, medizinische Versorgung, Freundlichkeit, Sauberkeit, Klima, kulturelle Möglichkeiten, persönliche Interessen. Und letztlich waren nicht nur die unbarmherzigen Sandfliegen in Mui Ne der Grund dafür, dass schließlich Thailand mit 6:4 vorne lag. Aber dieses Ergebnis ist vorläufig und könnte auch einmal anders ausgehen.

Carlos meint: Wenn die für den Tourismus in Thailand Verantwortlichen und die Politiker nicht dafür sorgen, dass die von den Urlaubern am häufigsten beklagten Probleme endlich gelöst werden, dann wird Vietnam über kurz oder lang eine ernsthafte Konkurrenz für dieses Land werden. Vielleicht ist es das schon.

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