Türkei wählt Kommunalpolitiker

Gewinnt Erdogans AKP Istanbul zurück?

Foto: Pixabay/Vedat Zorluer
Foto: Pixabay/Vedat Zorluer

ISTANBUL: 2019 bescherte die Opposition Erdogan und seiner Partei einen herben Verlust in Istanbul und Ankara. Nun hofft die AKP auf Erfolge. Im Südosten werden die Wahlen von tödlicher Gewalt überschattet.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP haben sich bei landesweiten Kommunalwahlen einem Stimmungstest gestellt. Rund 61 Millionen Menschen in 81 Provinzen waren an diesem Sonntag dazu aufgerufen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Rund zehn Monate nach der Wiederwahl Erdogans wird mit Spannung erwartet, ob es der islamisch-konservativen AKP gelingen wird, die Metropole Istanbul und die Hauptstadt Ankara von der Opposition zurückzugewinnen. In Istanbul, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Landes, wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem AKP-Kandidaten Murat Kurum (47) und dem amtierenden Bürgermeister Ekrem Imamoglu (53) von der Mitte-Links-Partei CHP erwartet. Im Südosten des Landes überschatteten tödliche Zwischenfälle die Abstimmung.

Die landesweite Wahl findet unter schwierigen Vorzeichen statt: Die hohe Inflation könnte Erdogans Partei Stimmen kosten. Viele haben mit den steigenden Preisen für Lebensmittel und explodierenden Mieten zu kämpfen; viele junge Menschen würden einer Umfrage zufolge am liebsten das Land verlassen. Die Opposition, die bei der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 noch im Bündnis antrat, gilt als zerstritten und tritt nicht mehr geschlossen an.

Imamoglu hatte Erdogans regierender AKP 2019 die Macht in Istanbul entrissen und damit 25 Jahre der Regierung islamisch-konservativer Parteien beendet. Die AKP ließ die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann Imamoglu mit noch größerem Abstand - der Erfolg gilt als schwerster Rückschlag in Erdogans politischer Karriere. In Istanbul hatte einst auch Erdogans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.

Erdogan sagte am Sonntag bei seiner Stimmabgabe, er hoffe die Wahl nun werde den Beginn einer «neuen Ärä» markieren. 20 Prozent aller Stimmen werden in Istanbul abgegeben.

Sollte Imamoglu erneut gewinnen, wird seine Position als möglicher künftiger Präsidentschaftsanwärter gestärkt. Sollte hingegen der AKP-Kandidat siegen, warnen Beobachter, dass Erdogan sich bestärkt fühlen könnte, neue Grenzen auszuloten. Er könnte demnach etwa eine Verfassungsänderung anstreben, um sich eine weitere Amtszeit zu sichern, was die aktuelle Verfassung verbietet.

Die Wahl ist auch bedeutend für die Zukunft der kurdischen Minderheit im Land. Die prokurdische Partei DEM hofft auf Wahlsiege im Südosten, wo sie traditionell große Unterstützung hat aber einer starken AKP gegenüber steht. Die Partei hatte unter dem Namen HDP bei den vergangenen Kommunalwahlen 65 Bürgermeisterposten gewonnen - die Regierung in Ankara ließ ein Großteil der Politiker aber wegen Terrorvorwürfen des Amtes entheben und durch Zwangsverwalter ersetzten. Erdogan unterstellt der prokurdischen Partei Terrorverbindungen, was diese zurückweist. In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir wurde am Sonntag ein Mensch getötet und elf weitere verletzt, nachdem ein Streit über die Wahl eines Gemeindevorstehers ausgeartet war, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Auch in der Provinz Siirt sei ein Streit rund um die Wahl eskalisert und dabei ein Mensch getötet worden.

Der Wahlkampf galt als unfair - ein Großteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Größere Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung wurden zunächst nicht gemeldet. Die Partei DEM teilte mit, in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa hätten Regierungsbeamte versucht, an mehr als einer Urne abzustimmen. Man habe dies verhindert und dokumentiert.

Eine Delegation des Europarats und der Partei die Linke beobachtete die Wahlen vor Ort. Einen geordneten Ablauf sollen auch Tausende Freiwillige gewährleisten. Der Verein Oy ve Ötesi erklärte kurz vor der Abstimmung, man habe 30.000 Menschen rekrutieren können. Das seien mehr als bei den Kommunalwahlen 2019, aber deutlich weniger als bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023, zu denen sich 200.000 Menschen als Wahlhelfer gemeldet hätten.

Die letzten Wahllokale sollten am Nachmittag deutscher Zeit schließen. Mit ersten offiziellen Ergebnissen wird am späteren Sonntagabend gerechnet.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.