Scholz im G20-Gewitter am Silberfluss

Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.), Horst Seehofer (M.) und Olaf Scholz (r.). Foto: epa/Clemens Bilan
Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.), Horst Seehofer (M.) und Olaf Scholz (r.). Foto: epa/Clemens Bilan

BUENOS AIRES (dpa) - 15 Stunden hin, 15 Stunden zurück, 36 Stunden Abtasten auf der G20-Bühne - Olaf Scholz hat als Bundesfinanzminister dicke Bretter zu bohren - der drohende Handelskrieg schwebt als dunkler Schatten über Buenos Aires.

Olaf Scholz kommt in Turnschuhen und im Pullover. Der Airbus A340 «Konrad Adenauer» steht bereit, er geht die Gangway herauf, 11 930 Kilometer liegen vor dem neuen deutschen Vizekanzler. In Buenos Aires, der Stadt der Einwanderer aus aller Welt, mit einem Hafen, der als Symbol für freien Handel steht, wird er konfrontiert mit dem neuen Konflikt auf globaler G20-Ebene.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert mit Chinas Staatschef Xi Jinping, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist auf Charmeoffensive in Washington - und der Bundesfinanzminister Scholz beim G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs am Rio de la Plata, dem Silberfluss. Als er ankommt, tobt ein Gewitterunwetter über der Stadt der guten Lüfte. Land unter. Das passt etwas zur Stimmung bei den G20 - auch hier braut sich ja etwas zusammen.

Die drei Großkoalitionäre kämpfen gegen ein Problem, das im 177-seitigen Koalitionsvertrag von Union und SPD gar nicht enthalten ist - die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium zum Schutz der US-Industrie. Und er droht bereits mit mehr, auch mit Zöllen gegen Autobauer.

Beim Stahl sind die hohen Überkapazitäten wegen einer Stahlschwemme aus China ein Problem - da so weltweit die Preise gedrückt werden. Argentinien hat von Deutschland die G20-Präsidentschaft übernommen. In Buenos Aires steht es praktisch 19:1, Scholz pocht auf freiem und fairen Handel. «Das ist die Sprache von Hamburg».

Das bezieht er auf die Beschlüsse des G20-Gipfels der Staats- und Regierungschefs im Juli 2017. Darin heißt es: «Wir werden die Märkte in dem Bewusstsein offenhalten, wie wichtig auf Gegenseitigkeit beruhende und für alle Seiten vorteilhafte Handels- und Investitionsrahmen (...) sind; werden Protektionismus einschließlich aller unfairen Handelspraktiken weiterhin bekämpfen und erkennen die Rolle rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente an.»

Nun können die USA argumentieren, wegen der Stahlkrise sei ein Schutzinstrument dringend geboten. Die Reminiszenz auf Hamburg, wo der damalige Bürgermeister Scholz Gastgeber war, ist natürlich nur auf das Politische gemünzt, nicht auf die «Sprache der Straße» damals. Als Scholz versprach, die Sicherheit zu garantieren - und ganze Straßenzüge im Chaos versanken und Geschäfte geplündert wurden. Auch beim G20-Gipfel in Buenos Aires dürfte es heiß hergeben; hier ist eine nicht minder aktive linke Szene unterwegs.

Nun ist er selbst Mitspieler auf dieser G20-Bühne. Die große Gefahr bei Trumps Drohungen ist, dass eine Spirale in Gang gesetzt wird. Produkte werden teurer, viele Arbeitsplätze könnten weltweit in Gefahr geraten. Scholz ist keiner für die schnelle Schlagzeile, der irgendwo wie ein Westernheld in den Saloon marschiert und die Sache im Handumdrehen regeln will. «John Wayne ist kein Vorbild für die Politik.» Scholz will reden, überzeugen mit Argumenten, hält nichts von fiktionalen «Nebenkriegsschauplätzen», wie Debatten, ob der Islam zu Deutschland gehört. Er ist tief in den Details, will aber keine falschen Erwartungen wecken. Es ist ein wenig die Methode Merkel.

Für Scholz ist der Protektionismus, die Abschottung «eine Erfindung des 19. Jahrhunderts». Er joggt in der knappen Freizeit, hier wird man langem Atem brauchen. «Alleine können wir die Welt nicht bestimmen». Daher müsse man bei solchen Foren wie G20 reden, reden, reden. Aber keiner weiß, ob Trump G20-Beschlüsse beeindrucken, wieviel Prokura sein Finanzminister Steven Mnuchin hat. Für das Scholz-Team ist es gar nicht leicht, ein Treffen zu vereinbaren.

15 Stunden ist er hingeflogen, 15 zurück, 36 Stunden ist er am La Plata. In den 1980er Jahren war er schon einmal hier als Vizechef der Union der Jungsozialisten, damals mit Anna Lindh, der 2003 ermordeten schwedischen Außenministerin. 2013 traf er in Buenos Aires den damaligen Bürgermeister und heutigen Präsidenten Mauricio Macri. Damals machte er noch einen Abstecher zur Galionsfigur der hiesigen Linken, dem damaligen uruguayischen Staatspräsidenten und Blumenzüchter José Mujica - dort trank man gemeinsam Mate-Tee.

Scholz war schon immer weit über Hamburg hinaus aktiv - er ist ein Regierungsprofi, doch eine Schonzeit hat er nicht. In Berlin muss rasch ein Bundeshaushalt aufgestellt werden, er will wegen des Abschieds der Briten aus der EU mehr Geld geben, aber auch nicht unbegrenzt. «Ich bin nicht aufgeregt, ich freue mich auf die Aufgabe als Bundesfinanzminister, die ich für unser Land übernommen habe», sagt er auf dem Flug nach Argentinien über dem Atlantik.

Aller Anfang ist schwer; die Termine sind zahlreich. Bei der ersten Pressekonferenz muss sich Scholz erstmal einen Zettel reichen lassen. Aus dem Kopf kann er nicht aufzählen, wen er hier in Buenos Aires eigentlich treffen will. Scholz liest vom Zettel ab: Den Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Angel Gurría, mehrere Amtskollegen, dazu die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Die macht klar: «Bei Handelskriegen gibt es keine Gewinner.»

Er steht im Keller des Hotels Intercontinental in einem kleinen Raum, zusammen mit dem argentinischen Finanzminister Nicolás Dujovne. Beide üben den Schulterschluss: gemeinsam gegen Trumps Strafzölle ankämpfen. Scholz mag solche Verlässlichkeit. Es wird sich noch zeigen müssen, was er mit seinem Stil der Kraft des Arguments derzeit bewegen kann. Denn Sprunghaftigkeit wird unter Trump zum Status Quo. Er ist ein echter John Wayne der Politik.

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