Geht's noch schlimmer? Europa blickt sorgenvoll auf 2017

Foto: epa/Juan Carlos Hidalgo
Foto: epa/Juan Carlos Hidalgo

BRÜSSEL (dpa) - Vom Brexit-Referendum bis zum Trump-Sieg: In der Europäischen Union ist 2016 ein Schock auf den nächsten gefolgt. Es war ein «Annus horribilis» - ein schreckliches Jahr - für die EU. Aber wird das gleich das Ende der Gemeinschaft einläuten? Ein genauer Blick zeigt, dass es nicht nur Schatten gibt. Ein Rück- und Ausblick nach Schlagzeilen:

Die Niederlande und eine «große kontinentale Krise»:

Völlig unerwartet gewinnen am 6. April in den Niederlanden EU-Kritiker eine Volksabstimmung gegen das neue europäisch-ukrainische Partnerschaftsabkommen. Das sicher geglaubte Projekt steht auf einmal auf der Kippe. Vor der Abstimmung hatte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch optimistisch geäußert. Er denke nicht, dass die Niederländer mit Nein stimmen würden, sagte er: «Das würde die Tür zu einer großen kontinentalen Krise öffnen.» Und jetzt? Ist die EU noch handlungsfähig?

Ausblick: Es sieht so aus, als könnte das Partnerschaftsabkommen 2017 trotzdem in Kraft treten. Beim letzten EU-Gipfel des Jahres soll eine Zusatzerklärung ausgehandelt werden, die Bedenken der niederländischen Kritiker Rechnung trägt. Zentraler Inhalt: Das Abkommen ist kein Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft der Ukraine.

Der Brexit-Schock:

Am frühen Morgen des 24. Juni gibt es für alle EU-Befürworter die traurige Gewissheit: Die Briten haben bei einem Referendum für den Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt. Die EU steht nach dem britischen «No» vor der tiefsten Zäsur ihrer Geschichte. Erstmals will ein Mitglied die Union verlassen.

Ausblick: Im kommenden Jahr sollen die von den Briten hinausgezögerten Austrittsverhandlungen starten. Für sie ist zwei Jahre Zeit - nur wenn alle EU-Staaten zustimmen, kann die Frist verlängert werden. Was passiert, wenn die Gespräche für Großbritannien nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen, ist völlig unklar - manch einer schließt nicht aus, dass die Briten dann vielleicht doch noch ins Zweifeln kommen und eine neue Volksabstimmung organisieren. Die Austrittsverhandlungen könnten jederzeit abgebrochen werden, kündigte EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits an.

Das Ceta-Debakel:

27. Oktober 2016: Dieses Datum sollte eigentlich ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Handelspolitik werden. Doch Globalisierungsgegner aus der belgischen Wallonie lassen den Zeitplan zum Abschluss des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens Ceta scheitern. Der Vertrag kann erst nach einer Hängepartie und mit dreitägiger Verspätung unterzeichnet werden. Für die EU ist das international eine Blamage, wieder stellt sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit.

Ausblick: Große Teile von Ceta werden vermutlich im nächsten Jahr vorläufig in Kraft treten - nach einer Abstimmung im Europaparlament, die für die erste Februarwoche vorgesehen ist. Wirklich unter Dach und Fach ist der Vertrag aber noch nicht. Damit er vollständig angewendet werden kann, braucht es noch die Zustimmung zahlreicher nationaler und regionaler Parlamente.

Der USA-Irrtum:

Kein Spitzenpolitiker der EU hatte es für denkbar gehalten, dass die Amerikaner tatsächlich Donald Trump zu ihrem neuen Präsidenten wählen. Dies hat nun Konsequenzen: Weil es mit Trump und seinen Mitarbeitern vor der Wahl keine Kontakte gab, müssen diese nun erst aufgebaut werden. Und die Voraussetzungen dafür sind nicht die besten. Etliche EU-Politiker gaben im Wahlkampf zu verstehen, dass sie nichts von Trump halten. «Trump ist nicht nur für die EU ein Problem, sondern für die ganze Welt», sagte beispielsweise EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Ausblick: Dass gute Beziehungen zur EU auf Trumps Prioritätenliste nicht ganz oben stehen, darf als sicher gelten. Dass der Republikaner besonders nachtragend ist, glauben allerdings in Brüssel auch nicht viele. Trump sei durch und durch Geschäftsmann, heißt es. Wenn es nützlich für ihn sei, werde er mit der EU reden. Gilt das auch für das Freihandelsabkommen TTIP? Im Wahlkampf hatte sich Trump nicht explizit zu dem europäisch-amerikanischen Jahrhundertprojekt geäußert.

Das Ende des großen Flüchtlingszustroms:

Strenge Grenzkontrollen an der Balkanroute und das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei haben den Zustrom von Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak drastisch reduziert. 2015 kamen mehr als eine Million Menschen nach Europa. Im ersten Halbjahr 2016 waren es weniger als 200 000.

Ausblick: Länder wie Deutschland oder Österreich brauchen nach derzeitigen Erkenntnissen keinen neuen Massenandrang zu fürchten - selbst dann nicht, wenn die Türkei das Flüchtlingsabkommen aufkündigt: Es hat sich herumgesprochen, dass beliebte Asylländer wie Deutschland über Griechenland und die Balkanroute kaum noch zu erreichen sind. Für diejenigen, die in ein bestimmtes Land in Mittel- oder Nordeuropa wollen, hat es daher kaum noch Sinn, die Überfahrt von der Türkei auf die griechischen Inseln zu wagen. Sorgen bereitet der EU aber die Mittelmeerroute von Libyen nach Italien. Denn vorerst ist es undenkbar, Migranten in das vom Bürgerkrieg gezeichnete Land in Nordafrika zurückzuschicken.

Stabilisierung in Griechenland:

Grexit? War da mal was? 2016 wurde erstmals seit Jahren nicht mehr über einen möglichen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone diskutiert. Das Land erhielt nochmals Milliardenhilfen der Euro-Partner, der Höhepunkt der Schuldenkrise scheint aber überwunden.

Ausblick: Griechenland wird weiter die Unterstützung der Europartner brauchen. Bis 2018 sollen über das dritte, 2015 vereinbarte Hilfspaket bis zu 86 Milliarden Euro nach Athen fließen. Mit Spannung wird erwartet, ob - und wenn ja, wie - der Internationale Währungsfonds dabei weiter finanziell mitmacht. Eine Beteiligung des IWF war eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Bundestag dem dritten Hilfspaket für Athen zugestimmt hat. Als größter Unsicherheitsfaktor gilt mittlerweile Italien. Dem hoch verschuldeten Land stehen nach dem Anfang Dezember gescheiterten Verfassungsreferendum schwierige Zeiten bevor.

Aufschwung am Arbeitsmarkt:

Auch wenn die Lage in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Italien noch immer nicht gut ist: Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit in der EU 2016 deutlich zurückgegangen. Im Oktober wurde mit 8,3 Prozent die niedrigste Quote seit Februar 2009 verzeichnet.

Ausblick:

Für das kommende Jahr rechnen Experten der EU-Kommission mit weiter steigenden Beschäftigungszahlen und Löhnen. Das Wirtschaftswachstum soll bei 1,6 Prozent liegen, nur geringfügig weniger als die für dieses Jahr erwarteten 1,7 Prozent. Wetten dürfte von den Experten darauf allerdings kaum einer. Unsicherheit prägt alle EU-Vorschauen für 2017. Was, wenn Rechtspopulisten wie Geert Wilders oder Marine Le Pen die anstehenden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich gewinnen? Oder wenn mit Kanzlerin Angela Merkel vielleicht sogar die dienstälteste Regierungschefin der EU abtreten muss?

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Ingo Kerp 08.12.16 14:33
Die EU 2017
wird es definitiv noch schlimmer haben als bisher. Der weinselige Herr Juncker hat, wie viele EU Politiker, die Zeichen der Zeit nicht erkannt und geglaubt, das alles im Sinne der EU laufen würde. Falsch gedacht. Wer weiß denn, was jetzt alles ans Ruder kommt, nachdem Merkels Freunde alle verschwunden sind. Cameron wegen dem Brexit, Obama ist am Ende, Hollande hat sich, ebenso wie Renzi, aus dem Rennen genommen. Es dauert nicht mehr lange und der IWF macht nicht mehr mit und einige EU Länder ebenso nicht mehr. Dann ist der Geldsegen für Griechenland weg und Tsipras wird verschwinden. Was wird, wenn Marine le Pen gewinnt oder ein Geert Wilders? Was man inzwischen weiß ist, es gibt einen Trump aber was der will, weiß bisher keiner. Man kann sich noch auf etliche Überraschungen einrichten.
Michael Ritsche 08.12.16 10:37
Ja,es geht noch Schlimmer.
Wenn es den EU Bürokraten und den Politikern der EU-Länder es weiterhin nicht gelingt den Verwaltungsaufwand zu verschlanken und den Bürgern die Vorteile der EU zu Vermitteln,sehe ich für die Zukunft keinen Optimismus.
Und dann noch eine alte Weisheit:Eine Gemeinschaft ist immer nur so Stark wie ihr schwächstes Mitglied.
Jürgen Franke 08.12.16 00:09
Es wird bestimmt spannend werden
in Europa, zumal auf den Brexit noch nicht besonders reagiert werden konnte. Aber wartet doch erst einmal die Regierungserklärung vom Trump ab. Dann wird es in Europa nochmal richtig heiter werden.