Erstes Essen in Freiheit

​Entführungsopfer schwach, aber glücklich

MANILA: Sechs Monate saßen die beiden Deutschen in der grünen Hölle fest: feuchte Böden, kaum Essen, ständig Angst um ihr Leben. Nach der Freilassung duschten die beiden erst einmal. Und aßen Brot.

Das erste Essen in Freiheit: Gelöst sitzen die beiden deutschen Entführungsopfer nach ihrer Freilassung in einem Büro der philippinischen Marine, vor sich ein ganzer Teller voller Brotscheiben und Tee. Der 72-Jährige und seine 55 Jahre alte Partnerin greifen zu, essen mit großen Bissen und plaudern mit den Soldaten. Zuvor konnten sie auf dem Stützpunkt in Zamboanga bereits duschen, wie Konteradmiral Reynaldo Yoma am Samstag erzählt. Ihre dreckige Kleidung tauschten sie gegen frische Sachen ein.

Doch das Paar ist gezeichnet von den sechs Monaten, in denen es sich in der Hand der islamistischen Gruppe Abu Sayyaf befand. Der 72-Jährige, das ist in dem Video der Marine ebenfalls zu sehen, hat Blutergüsse am rechten Auge. Er ist wackelig auf den Beinen und muss sich vor dem Einsteigen ins Auto an einer Wand abstützen. Hinter ihm trägt jemand einen Infusionsbeutel - die Kanüle in seiner Hand versorgt ihn mit zusätzlichen Nährstoffen. Beide sehen ausgemergelt aus.

«Ich bin sehr schwach», hatte der aus dem Rheingau stammende Arzt bereits Anfang des Monats gesagt, als ihn die Entführer mal wieder im Radio vorführten. Er bekomme Reis am Morgen und Mittag, aber keine Mahlzeit am Abend, berichtete er bei dem Interview mit dem lokalen Sender DXRZ. Die 55-Jährige fügte hinzu, dass sie unter freiem Himmel schlafen müssten - ständig bewacht von bewaffneten Männern.

Für die beiden Deutschen muss der Dschungel auf der Insel eine grüne Hölle gewesen sein. Tagsüber hat es um die 32 Grad, mit hoher Luftfeuchtigkeit, so dass es sich noch wärmer anfühlt. Nachts kühlt es bis auf 22 Grad ab. Mehrmals pro Woche regnet es, also bleibt der Boden immer feucht. Hinzu kommt die Gefahr durch Malaria. Und die permanenten Drohungen. «Ich kam zum Urlaubmachen her, aber ich erlebe hier das Gegenteil davon», sagte der Mann in dem Interview.

Als das Ultimatum der Geiselnehmer abläuft, fürchten die Deutschen um ihr Leben. Die Abu-Sayyaf-Mitglieder hatten mehrfach gesagt, sie würden die Geiseln enthaupten, wenn bis zum Ablauf der Frist kein Geld gezahlt werde. Um ihre Aussagen zu unterstreichen, verbreiteten sie Fotos, wie sie die beiden mit Messer bedrohen und eine Waffe auf sie richten.

Kurz vor Ende der Frist rückt die Armee auf das Versteck der Entführer im Wald vor. Die Soldaten - in Tarnkleidung und Helmen - umstellen die Zelte, die zwischen den Bäumen stehen. Noch einmal rufen die Entführer beim Sender DXRZ an. «Die Truppen stehen direkt an unserem Camp», ruft der Sprecher der Terrorgruppe, der sich Abu Rami nennt. Er reicht das Telefon an den Deutschen weiter. Dieser richtet seine Nachricht an seine von ihm getrennt lebende Frau im Rheingau: «Wir waren immer sehr, sehr glücklich. Ich möchte ihr danken, und freue mich darauf, sie im Himmel zu sehen.»

Wenige Stunden später sind die Geiseln frei - und der 72-Jährige wird seine Frau wohl bald in Deutschland treffen können. Per Boot geht es zur Erstversorgung nach Zamboanga, dann fliegen die beiden noch in der selben Nacht in die philippinische Hauptstadt Manila, 875 Kilometer weiter nördlich. Direkt an der Flugzeugtür werden sie - noch in rote Decken gehüllt - vom Krisenbeauftragten der Bundesregierung empfangen. Auf den Fotos lächeln beide zaghaft. (Foto: epa)

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