Die Knackpunkte vor der Frankreich-Wahl

Foto: epa/Etienne Laurent
Foto: epa/Etienne Laurent

PARIS (dpa) - Anschläge und Jobmangel: Frankreich ist schon lange ein Land im Krisenmodus. Das führt zu einer brisanten Stimmungslage und hilft der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Doch nicht alles ist grau.

Wenn die Franzosen in einem Monat an die Wahlurnen gehen, steht viel auf dem Spiel. Die hohen Umfragewerte für die EU-feindliche Rechtspopulistin Marine Le Pen machen die Präsidentschaftswahl zu einer Abstimmung über Frankreichs Platz in Europa. Viele Menschen sind enttäuscht von den als gescheitert wahrgenommenen Amtszeiten des Konservativen Nicolas Sarkozy und des Sozialisten François Hollande. Ein Überblick über die Lage Frankreichs vor der Wahl:

ARBEITSLOSIGKEIT Die dramatische Situation am Arbeitsmarkt ist seit Jahren eins der größten Probleme Frankreichs. Die Arbeitslosenquote liegt nach Vergleichszahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat bei 10 Prozent, und damit rund zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Vor allem junge Leute haben es schwer, einen Job zu finden - hier liegt die Quote der Arbeitssuchenden bei fast 24 Prozent. Dass der scheidende Präsident François Hollande es trotz wiederholter Versprechen nicht schaffte, den Trend umzudrehen, wird ihm schwer angekreidet. Nach immer neuen Höchstständen ging die Zahl der Arbeitslosen 2016 erstmals seit neun Jahren leicht zurück. Aber das ist bislang nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

WACHSTUM Frankreichs Wirtschaft kommt nicht richtig in die Gänge, die Konjunktur hinkte in den vergangenen drei Jahren in der Eurozone hinterher. 2016 lag das Wachstum bei 1,1 Prozent, die Euro-Zone kam dagegen nach OECD-Schätzungen auf 1,7 Prozent. Allerdings zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab: Für dieses und das kommenden Jahr sagen etwa Experten der EU-Kommission voraus, dass der französische Motor etwas an Fahrt aufnimmt und sich dem robusten Tempo der deutschen Wirtschaft annähert. Eine Reihe von Konjunkturindikatoren sind positiv. Und in manchen Wirtschaftsbereichen ist Frankreich richtig stark, etwa in der Luxusindustrie, der Luftfahrtbranche oder dem Tourismus.

SCHULDENBERG Um die Jahrtausendwende lagen Frankreich und Deutschland beim Schuldenstand noch gleichauf - doch seitdem ist Frankreichs Staatsverschuldung durch die Decke gegangen. Inzwischen türmt sich der Schuldenberg auf mehr als 96 Prozent der Wirtschaftskraft, Tendenz weiter steigend. In Deutschland sind es gut 68 Prozent, Tendenz sinkend. Mit großen Mühen hat Frankreich in den vergangenen Jahren sein jährliches Haushaltsdefizit zurückgefahren und will 2017 erstmals seit 2007 unter der europäischen Grenze von maximal drei Prozent der Wirtschaftskraft bleiben. Der Pariser Rechnungshof hat kürzlich aber Zweifel geäußert, ob das zu schaffen ist. Die Staatsausgaben liegen bei 56 Prozent der Wirtschaftskraft, so hoch wie kaum irgendwo in der EU.

REFORMSTAU Versuche, das Land zu reformieren, stoßen in Frankreich oft auf heftigen Widerstand. Das zeigten etwa die monatelangen Proteste gegen eine gar nicht mal sonderlich weitreichende Arbeitsmarktreform im vergangenen Frühjahr. Unternehmer klagen immer wieder über viel Bürokratie und hohe Abgaben. Allerdings hat sich durchaus etwas getan, unter Präsident Hollande wurden Firmen entlastet und das Arbeitsrecht gelockert.

Auch bei der Wettbewerbsfähigkeit bewegt sich etwas, die OECD sieht Fortschritte bei Arbeitskosten und Investitionsklima. Falsch ist das Klischee, dass Beschäftigte in Frankreich weniger arbeiten als in Deutschland - obwohl die Regelarbeitszeit bei 35 Wochenstunden liegt, arbeitet jeder französische Beschäftigte pro Jahr durchschnittlich 100 Stunden mehr als seine deutschen Kollegen. Und auch die Produktivität (die Wirtschaftsleistung pro Arbeitsstunde) ist ähnlich hoch wie in Deutschland.

TERROR Die beispiellose Serie islamistischer Anschläge seit Anfang 2015 hat Frankreich tief erschüttert, 238 Menschen wurden ermordet. Im Land gilt der Ausnahmezustand; an Bahnhöfen, Flughäfen, Touristenwahrzeichen und anderen gefährdeten Orten patrouillieren Soldaten. Befugnisse und Mittel der Sicherheitskräfte wurden gestärkt. Die Sicherheitspolitik bleibt eine große Herausforderung, rund 2300 Menschen aus Frankreich sollen in dschihadistischen Netzwerken aktiv oder aktiv gewesen sein oder es versucht haben - so viele wie in keinem anderen EU-Land.

EINWANDERUNG UND IDENTITÄT Einwanderung und Integration, der Platz der Religion (und vor allem des Islam) in der Gesellschaft und die Werte der Republik sind in Frankreich seit Jahren ein Reizthema. Das zeigte etwa die bizarre, aufgeheizte Debatte um lokale Verbote von «Burkinis» (Ganzkörper-Schwimmanzüge für Musliminnen) im vergangenen Sommer: Die eine Seite sah in ihnen ein Symbol radikaler Gesinnung, die andere in den Verboten eine Stigmatisierung.

Dahinter stecken echte Probleme: Die soziale Abkopplung mancher Vorstädte, die überwiegend von Einwanderern bewohnt werden, Probleme mit Radikalisierung und eine tiefe Verunsicherung des französischen Selbstverständnisses angesichts der Globalisierung. Eine Konsequenz war, dass weite Teile der französischen Politik die deutsche Flüchtlingspolitik sehr kritisch sahen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit wird immer wieder betont, dass Frankreich nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen könne. Dabei liegt die Zahl der Asylanträge mit 85 000 im vergangenen Jahr deutlich niedriger als in Deutschland.

RECHTSRUCK Seit Marine Le Pen 2011 die Führung der Rechtsaußen-Partei Front National von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernommen hat, eilt sie von einem Wahlerfolg zum nächsten. Bei den Regionalwahlen Ende 2015 stimmten 27 Prozent der Wähler für FN-Kandidaten: 6,8 Millionen Franzosen, Rekord. Dabei setzt Le Pen auf eine Strategie der «Entteufelung», um der Partei ein bürgerlicheres Image zu verschaffen - ohne jedoch ihre Kernpositionen gegen EU und Einwanderung aufzugeben. Das französische Mehrheitswahlrecht hat Le Pen und ihre Mitstreiter bislang aber gehindert, national Machtpositionen zu erobern.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Jürgen Franke 22.03.17 23:43
Zil Zelini, dieses wichtige Thema wird
offensichtlich bewußt in Deutschland nicht angeschnitten. Weder von den Medien noch in Wahlkampfreden. Noch besteht bei uns die Trennung von Kirche und Staat, die aufgeweicht werden soll.