Weshalb Thailands Müll weiter Teil des Lebens bleibt

Plastik in Meeren und an Stränden – Urlaubsinseln ersticken im Abfall

KRABI/BANGKOK: Drei Monate bleibt Thailands bekanntester Strand, die Maya-Bucht in der Provinz Krabi, zum Schutz und zur Regenerierung der ramponierten Umwelt geschlossen. Eine drastische, überfällige und doch nur bedingt hilfreiche Hilfslos-Maßnahme. Das Problem ist viel größer als der Verfall der schönsten Strandorte. Thailand erstickt im Müll und ein echtes Umweltbewusstsein ist weder bei der Bevölkerung noch bei den Machthabern des Landes angekommen.

Der Ende Mai vor den Küsten von Songkhla gefundene Grindwal durfte trotz fünftägiger verzweifelter Rettungsversuche der Küstenwache und Marinebehörden nicht leben: 80 Plastiksäcke mit Müll hatte das arme Säugetier im Magen, bei der Obduktion nachgewogen ergab die Menge acht Kilogramm. Der Aufschrei in thailändischen Sozialnetzwerken war so groß wie in westlichen Ländern. Plötzlich war das Müllproblem ganz nahe. Ein Wal in Thailands Gewässern hatte stellvertretend für alle schwimmenden Lebewesen den Dreck geschluckt, den wir gemeinsam produzieren.

Viele Thailänder werfen den Abfall einfach in die Natur

In Europa und selbst in Asien bestimmt der Plastikmüll neuerdings die Debatten. Politiker, Umweltschützer und normale Bürger nehmen mit Schaudern eine Realität zur Kenntnis, die es schon lange gibt. In Thailand ist die Wucht der Anteilnahme neu. Selten, fast nur bei geplanten Industrieprojekten vor der Haustür, hatte es bisher Widerstand gegeben. Der Müll wurde und wird hier entsorgt wie Dreck: weg damit, raus aus dem eigenen Haushalt, auf die Straße gestellt, in die Umwelt gekippt, vom Fahrzeug geworfen.

Urlaubsparadiese wie Koh Samui, die benachbarte Taucherinsel Koh Tao, auch Phuket und der Moloch Pattaya – sie alle haben eines gemeinsam: seit Jahren aufflammende Notstandsappelle und Handlungsbedarf bei einer außer Kontrolle geratenen stinkenden Problematik. Lösungen? Nein, Versprechungen, Ankündigungen, eiligst ausgesprochene Drohungen gegen verantwortliche Bürgermeister und Provinzgouverneure. Der stetig wachsende Müllberg in weiteren, provisorisch geschaffenen Deponien eingebuddelt und damit Zeit gekauft mit einer darüber tickenden Zeitbombe. Wirklich passiert ist nichts.

Massentourismus hinterlässt Spuren wie ein Bombenangriff

Saloppe Müllvermeidungskonzepte gibt es, zumeist das Recyceln von Plastik und Restwertabfall. Die meisten Verbrennungsanlagen, wie auf Koh Samui, sind überaltert oder funktionieren seit Jahren gar nicht mehr. Steigende Urlauberzahlen, vor allem die Neuzeittouristen aus China, wirken wie Brandsatzbeschleuniger. Nicht umsonst mussten Thailands Umweltbehörden an der Maya-Bucht bei Krabi die Notbremse ziehen. Der Massenmassentourismus apokalyptischen Ausmaßes zu Saisonzeiten hinterlässt Spuren wie nach einem Bombenangriff. Die Natur selbst kann sich dagegen nicht schützen.

Thailands Hauptproblem ist neben dem kaum vorhandenen Umweltbewusstsein ein entfesselter Konsumrausch. Im Land der Freien wuchern an jeder Ecke Seven-Eleven-Märkte, Family-Shops und Fastfood-Ketten wie Geschwüre. Selbst beim Kleinsteinkauf von 10 Baht wird das Miniprodukt in eine kleine Plastiktüte gepackt, mindestens ein Strohhalm inklusive. Alles ist Plastik, die Verpackung, der Trinkbecher, die Tüte, der Löffel zum Essen oder Umrühren. Einmal gebraucht und ab in die Tonne oder ins nächste Gebüsch. Alltag.

Wer im Großmarkt Makro Lipton Eistee in der Büchse kauft, erlebt die Verpackung in der Verpackung. Das 24-Dosen-Paket ist neben der Hauptfolie innen noch weitere vier Mal separat in Plastik verwurstet. Der Gesetzgeber hat dazu noch nicht einmal Vorlagen erarbeitet. Erwachsene Menschen dürfen zwischen 8 und 11 Uhr sowie von 14 bis 17 Uhr auch als Gastronomen kein Bier oder sonstige alkoholhaltigen Getränke einkaufen. Die Jugend soll so angeblich beschützt werden, doch vom Umweltschutz spricht keiner.

Plastikverbote sind in Thailand bisher noch kein Thema

In Kenia und Ruanda, zwei Entwicklungsländern, sind jüngst Plastikverbote weitreichender Auswirkung beschlossen worden. Auf Märkten und im gesamten täglichen Leben werden Tüten und unsinnige Verpackungen verbannt. Im Schwellenland zum modernen Industriestaat – Thailand – wurden Rauchverbote an Stränden als vordringlicher erachtet als der große Wurf zum Schutz der eigenen Ressourcen. Aktivisten mit Umweltbewusstsein oder entsprechendem Einfluss schmoren in der Flasche wie Aladdins Geist.

Die Müllthematik ist die autarke Aufgabe eines Landes und liegt in deren Hoheitsrecht. Strandsperrungen oder tote Wale und Delphine in Gewässern einer der beliebtesten Urlaubsdestinationen der Welt machen die Problematik allerdings global. Der Müll, die Plastikflut in den Meeren und Flüssen, der Offenbarungseid in Städten und Tourismushochburgen bei der Entsorgung, all das schwimmt jetzt nach oben wie der traurige Grindwal.

Ihm konnte nicht mehr geholfen werden und er starb exemplarisch für eine Katastrophe, die vielen in Thailand die Lebensader abtrennen kann. Möglicherweise hat sein öffentliches Sterben eine Alarmglocke geläutet, die bisher ungehört verhallt war. Nicht nur das touristische Umfeld bettelt förmlich nach einer kompetenteren Umweltbehörde mit Visionen und Durchsetzungskraft.

Ist der Wal selbst schuld durch die falsche Wahl seines Menüs?

Alte Kippen aus den Stränden zu buddeln und damit zu suggerieren, der Krieg gegen Naturfrevler aller Urlaubsländer sei die Lösung, klingt so als würde man dem Wal die falsche Wahl seines Menüs zum Vorwurf machen. Die Apokalypse unserer Gegenwart kann am Einzelfall des verendeten Tieres vor Songkhla gesehen werden, ohne die Schriften des Nostradamus gelesen zu haben.

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Leserkommentare

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Jürgen Franke 06.06.18 17:45
Da es sogar in Entwicklungsländern gelungen ist,
das Müllproblem einzudämmen, müssten doch eigentlich auch die Verantwortlichen in Thailand erkennen, das auf diesem Gebiet etwas unternommen werden muss, bevor man ganz im Müll erstickt. Obwohl das ganz große Problem sicher darin besteht, gegen Ignoranz oder Borniertheit der Menschen vorzugehen. Wenn die eigene Einsicht fehlt, helfen nur noch Strafen.
Ingo Kerp 06.06.18 14:05
Entweder wird es noch viele Jahre brauchen, bis sich eine Besserung einstellt oder, was der worst case wäre, ein hochrangiges Mitglied einer Familie erstickt am Plastik, wie der arme Wal, dann würde man was unternehmen. Zugegeben, ein groteske Vorstellung.
Jürgen Franke 05.06.18 16:45
Leider, lieber Sam Gruber, stimmt jeder Satz
Wenn bereits zwei Entwicklungsländer Plastikverbote ausgesprochen haben, könnte es in Thailand auch bald soweit sein. Es wäre sicherlich eine lohnende Aufgabe der Medien und der Schulen eine Sensibilisierung der Bevölkerung zu diesem Thema einzuleiten. Das Verkaufsverbot von Alkohol zwischen 8 bis 11 und 14 bis 17 Uhr ist übrigens genauso albern, wie das Rauchverbot an den Stränden.
Peter Maerz 05.06.18 16:26
Plastik und Beton
Bravo Sam Gruber, klasse Bericht, ich sehe das genauso.
Plastik und Beton sind die Lieblings-Verarbeitungsstoffe der Thais. "Umweltschaeden" ? - das interressiert keinen Thai. Das Wort gibt's hier wahrscheinlich noch nicht einmal. Im Gegenteil - die Behoerden jubeln hier ueber angeblich jaehrlich gestiegene Touristenzahlen. Das bringt kurzfistig Bares , aber langfristig soviel Dreck, der -wenn nicht entsorgt - am Ende ein Fiasko bringen wird. Aber auch die Thais selbst produzieren mittlerweile soviel Muell , dass Plasik in meiner Gegend einfach (privat) abgefackelt wird - sprich - auch die Luft wird ausserdem mit zusaetzlichem Dioxin verseucht. Ich darf hier nicht schreiben, was ich ueber die Verantwortlichen denke.