Wahlen im Iran

Zwischen Machtkämpfen und Boykottaufrufen

Wahlwerbung für die Parlamentswahlen im Iran. Foto: epa/Abedin Taherkenareh
Wahlwerbung für die Parlamentswahlen im Iran. Foto: epa/Abedin Taherkenareh

TEHERAN: Viele Menschen im Iran möchten dieses Mal nicht an den Wahlen teilnehmen. Wieder dürften die Erzkonservativen das Parlament dominieren. Beobachter sehen das Land in einer kritischen Umbruchphase.

Mohammed Ali Abtahi versinkt in einem schwarzen Ledersessel, richtet seine Brille mit den runden Gläsern und zückt das Smartphone. Ein Selfie mit Frank-Walter Steinmeier, damals noch Kanzleramtschef, lässt Erinnerungen an eine Ära engerer diplomatischer Beziehungen zwischen dem Iran und Deutschland aufkommen. Doch für Nostalgie ist keine Zeit. Heute, viele Jahre später, blickt der ehemalige Vizepräsident der Islamischen Republik auf eine angespannte innenpolitische Lage. Am Freitag wählt das Land mit rund 87 Millionen Einwohnern ein neues Parlament.

Eigentlich sind die letzten Tage vor einer landesweiten Wahl eine aufregende Zeit. Doch bei dem Reformpolitiker ist keine Spur von Wahlstimmung zu erkennen. Laut Abtahi geht es nicht nur ihm so. Denn: Die Menschen im Land hätten das Vertrauen in die Wahlen verloren. «Weil sie keine Wirkung darin sehen», sagt er. Irans Wächterrat, der über die ideologische Qualifikation von Kandidaten entscheidet, habe die Republik demontiert. «Eine große Anzahl von Fundamentalisten hat nun die Geschicke des Landes in der Hand», klagt Abtahi.

«Ich glaube, dass die Wahlbeteiligung im ganzen Land niedrig sein wird», sagt Abtahi, der unter dem früheren Präsidenten Mohammed Chatami von 2001 bis 2004 dessen Vize war, ernüchtert. Besonders in der Hauptstadt Teheran könnte es seiner Einschätzung nach zu einem negativen Rekord kommen. Hier hat die Reformbewegung dieses Jahr auch keine Kandidatenliste aufgestellt. Für Irans politische und religiöse Führung ist die Parlamentswahl ein Stimmungstest - erstmals nach den Aufständen im Herbst 2022 ist das Land zur Wahl aufgerufen.

Politisches System zwischen Theokratie und Republik

Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 sowohl theokratische als auch republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Der sogenannte Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet dabei über die ideologische Eignung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten wählen. Eine Rekordzahl von 15.000 Iranerinnen und Iranern kandidieren bei der Wahl. Etwa 5000 Bewerber wurden abgelehnt. Das Lager der Reformpolitiker ist extrem geschwächt.

Auch Beobachter rechnen mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung. «Breiten Teilen der Bevölkerung ist klar geworden: Wahlen sind kein Kanal für politischen Wandel in der Islamischen Republik», erklärt Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). «Iran befindet sich in einer kritischen Transitionsphase», sagt die Politikwissenschaftlerin. Diese gehe einher mit größerer Repression und noch weniger gesellschaftlichen Handlungsspielräumen.

Alle zentralen Machtstellen im Iran sind inzwischen mit Hardlinern besetzt, viele in der Bevölkerung zeigen sich desillusioniert angesichts gescheiterter Reformversuche in den vergangenen Jahrzehnten. Doch nie war das Interesse für die Wahlen so gering wie dieses Mal. Auch in der Hauptstadt Teheran ist von Wahlkampffieber nichts zu spüren, Plakate gibt es kaum. Bekannte Aktivisten, darunter die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, riefen zum Boykott auf.

Der Staatsspitze dürften die Wahlen hingegen nicht gleichgültig sein, wie jüngste Äußerungen von Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei zeugen. «Wer sich gegen die Wahlen stellt, hat sich gegen die Islamische Republik, gegen den Islam gestellt», sagte der Religionsführer Anfang Januar. Bei der vergangenen Parlamentswahl im Jahr 2020 lag die Wahlbeteiligung offiziell bei knapp über 40 Prozent.

Fundamentalisten streben nach Machterhalt

Etwa 150 Kilometer südlich von Teheran liegt die Pilgerstadt Ghom. In dem erzkonservativen Machtzentrum des Landes werden die wichtigsten religiösen Debatten des Landes ausgefochten, rund 90.000 Geistliche leben in der Metropole. Einer von ihnen ist Ghassem Rawanbachsch. Im Treppenhaus vor seinem Büro verweilen Frauen in schwarzen Schleiern. Der Gelehrte hängt am Telefon, es ist Wahlkampfzeit. Rawanbachsch ist 66 Jahre alt und zählt zum Lager der Fundamentalisten.

Die erzkonservative Gruppe gehört zu den Verfechtern des Kopftuchzwangs. Rawanbachsch verteidigt ein neues Gesetz, das drakonische Strafen bei Verstößen vorsieht. «Im Iran ist das Kopftuch Gesetz. Man muss sich daran halten, wer es nicht tut, muss bestraft werden», sagt der Geistliche. Der Kopftuchzwang ist nur ein Beispiel für die vielen Debatten, die die zunehmende Kluft zwischen der Staatsführung und der Bevölkerung im Iran widerspiegeln. Insbesondere die Jugend, die mit sozialen Medien aufgewachsen ist, kann sich kaum mit der Ideologie der Islamischen Revolution identifizieren.

Bei einem erneuten Erfolg der Hardliner dürfte die Staatsführung des Irans auch die aktuelle Außenpolitik fortsetzen, die auf eine starke Einflussnahme in der Region ausgerichtet ist. Militante Gruppen wie die Hisbollah im Libanon oder die Huthi-Miliz im Jemen werden militärisch und finanziell unterstützt. Mit Blick auf den Gaza-Krieg spricht der Gelehrte von einem Kampf gegen den Imperialismus. «Der Iran hat dieses revolutionäre Denken exportiert», meint Rawanbachsch. Auch daran gibt es inzwischen viel Kritik: Statt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme des eigenen Landes zu lösen, fokussiere die Regierung auf Konflikte in der Region, lautet oft ein Vorwurf.

Zukunft des Irans bleibt ungewiss

Neben dem Parlament wird am Freitag auch der Expertenrat direkt vom Volk gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Chamenei gilt als mächtigster Mann im Iran, im April wird das Staatsoberhaupt bereits 85 Jahre alt. Nur 144 Kandidaten sind für den Rat zugelassen, begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen für eine Kandidatur. Selbst der moderat-konservative Ex-Präsident Hassan Ruhani - einst Hoffnungsträger der Reformbewegung - wurde von der Wahl dieses Mal ausgeschlossen. Dabei war er seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats.

Der Reformer Abtahi will aber trotz der geringen Chancen moderater Kandidaten die Hoffnung nicht aufgeben. Die Reformbewegung sei eine Idee, sagt der Theologe entschlossen. Vielleicht sei eine Rückkehr schon bei der nächsten Präsidentschaftswahl denkbar. «Ich glaube nicht, dass die Staatsmacht in der Lage sein wird, den Einzug der Reformer in den Machtzirkel auf Dauer zu verhindern.»

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