Von Niedersachsen nach Holland

Radeln am Nordhorn-Almelo-Kanal

Der Nordhorn-Almelo-Kanal verbindet seit über 100 Jahren die Textilstadt Nordhorn (DE) mit der Textilstadt Almelo (NL). Fotos: Wolfgang Stelljes/dpa-tmn
Der Nordhorn-Almelo-Kanal verbindet seit über 100 Jahren die Textilstadt Nordhorn (DE) mit der Textilstadt Almelo (NL). Fotos: Wolfgang Stelljes/dpa-tmn

NORDHORN: Wie eine Bucht ragt die Grafschaft Bentheim in die Niederlande hinein. Wer in Nordhorn wohnt, für den ist der kleine Grenzverkehr eine Selbstverständlichkeit. Viele Nordhorner fahren mal kurz mit dem Auto rüber, für eine Tankfüllung, einen Blumenstrauß, Käse oder Lakritz.

Die Touristiker beiderseits der Grenze besannen sich dagegen auf eine Verbindung, die vor allem für Radfahrer ihre Reize hat: den Nordhorn-Almelo-Kanal. Er verbindet seit über 100 Jahren die Textils­tadt Nordhorn im äußersten Südwesten von Niedersachsen mit der Textilstadt Almelo in der niederländischen Provinz Overijssel.

Der alte Zollschuppen am Kanal erfüllt heute keine offizielle Funktion mehr. Er ist jedoch ein beliebtes Fotomotiv.
Der alte Zollschuppen am Kanal erfüllt heute keine offizielle Funktion mehr. Er ist jedoch ein beliebtes Fotomotiv.

Auf dem Kanal, der zwischen 1884 und 1904 gegraben wurde, transportierten noch bis in die 1960er Jahre hinein Frachtschiffe Kohle für die Nordhorner Textilindustrie. Dann allerdings wurde die künstliche Wasserstraße zu klein. Seit über einem halben Jahrhundert hat kein Schiff mehr den Kanal passiert. Heute gehört er den Anglern und Radfahrern.

Auf dem Sattel über die Grenze

Wer in Nordhorn beim innenstadtnahen VVV-Turm startet, radelt zunächst im Schatten einer Allee zwischen Kanal und Vechtesee, begleitet von Tretbootfahrern, Haubentauchern und Blässhühnern. Nach knapp fünf Kilometern ist die Grenze erreicht. Noch auf deutscher Seite ragt ein Fachwerkbau, teils auf Pfählen, in den Kanal hinein: das alte Zollhaus, heute denkmalgeschützt. Die Zeiten, in denen hier noch allerlei Formalitäten erledigt werden muss­ten, sind vorbei.

Das Landgut Singraven umfasst eine alte Wassermühle und ein Herrenhaus mit neo-klassizistischer Fassade.
Das Landgut Singraven umfasst eine alte Wassermühle und ein Herrenhaus mit neo-klassizistischer Fassade.

Radelte man eben noch nebeneinander auf einem geteerten Weg, so geht es nun hintereinander auf einer rund eineinhalb Meter breiten Betonspur am Kanal entlang. Nichts für Verliebte oder beschwingte Vatertagsradler, wenn man nicht im von Seerosen bedeckten Kanal landen will. Ansons­ten kann man kaum vom Weg abkommen. Bis Almelo geht es rund 30 Kilometer fast schnurstracks geradeaus.

Hier wartet das beste Eis Europas

Ein paar Stopps und Abstecher sollte man allerdings unbedingt einplanen. Der erste Halt empfiehlt sich bereits nach knapp zwei Kilometern beim Eiscafé De IJskuip direkt am Kanal.

Die Radtour sollte man so legen, dass man an einer Führung durch das Herrenhaus Singraven teilnehmen kann.
Die Radtour sollte man so legen, dass man an einer Führung durch das Herrenhaus Singraven teilnehmen kann.

Das hat gleich zwei Gründe. Zum einen gibt es hier das hausgemachte Eis von Erik und Hermien Kuiper. Ihr Honig-Joghurt mit Himbeeren und Walnüssen wurde 2017 in Bologna zum besten Eis Europas gekürt.

Zum anderen ist hier Hennie Kuiper aufgewachsen, eine niederländische Radsport-Legende. 1972 gewann der damals 23-Jährige bei den Olympischen Spielen in München völlig überraschend Gold beim Straßenrennen über 182,4 Kilometer. Es war erst sein dritter Sieg, der schmächtige Kuiper war nachnominiert worden.

Das Schuivenhuisje ist ein altes Stauwehr, mit dessen Hilfe der Wasserstand im Kanal reguliert werden konnte.
Das Schuivenhuisje ist ein altes Stauwehr, mit dessen Hilfe der Wasserstand im Kanal reguliert werden konnte.

Wer am Eingang einer Scheune einen Euro in eine Milchkanne wirft, darf sich unter anderem das Rad ansehen, mit dem Kuiper Gold holte. Und dazu zahlreiche Pokale, Medaillen, Trikots und Fotos, auf denen er sich durch Schlammwege und über Kopfsteinpflaster quält. Da freut sich der Urlaubsradler auf den nun gut ausgebauten Pfad am Kanal.

Ein Herrenhaus voller Antiquitäten

Etwas südlich des Kanals, in einer Schleife des Flusses Dinkel, liegt das nächste Ziel: das Landgut Singraven mit einer alten Wassermühle und einem Herrenhaus mit neo-klassizistischer Fassade. Wer es einrichten kann, sollte seine Radtour so legen, dass er an einer Führung durch das Haus teilnehmen kann. Denn nur dann kann man einen Blick auf all die Schätze werfen, die Willem Frederik Laan, der letzte private Eigentümer des Landguts, angesammelt hat.

Laan – reich geworden durch den Handel mit Öl, Getreide und Reis – erwarb das Haus 1915 und stattete es nach und nach mit Kunst und Antiquitäten aus. Stolz präsentiert Daan van Mierlo, der jetzige Verwalter, zwei Schränke voller Porzellan aus China, fast 350 Jahre alt. „Bitte nur gucken, nicht anfassen.“

Eiscafé „De Ijskuip“: Mit diesem Rad holte Profi Hennie Kuiper 1972 Gold bei den Olympischen Spielen.
Eiscafé „De Ijskuip“: Mit diesem Rad holte Profi Hennie Kuiper 1972 Gold bei den Olympischen Spielen.

1956 überschrieb Laan, der kinderlos blieb, das Landgut der Stiftung Edwina van Heek, deren Ziel der Erhalt von Kulturdenkmälern ist. Umgeben ist das Herrenhaus von einem Park und einem Arboretum, einem Baumgarten. Beides kann auch ohne Führung besucht werden.

Rast im Brückenwärterhäuschen

Die nächsten Stationen: das Schuivenhuisje, ein Wehr, über das der Wasserstand im Kanal reguliert werden konnte, und Weerselo, ein ehemaliges Benediktinerkloster und Stift für unverheiratete adlige Damen. Das denkmalgeschützte Ensemble ist ein feines Plätzchen für eine Rast. Dafür wird ein Umweg von rund vier Kilometern fällig.

Ansonsten wird man vermutlich spätestens bei Fraans Marie einen Stopp einlegen. Das einzige noch erhaltene Brü­ckenwärterhäuschen beherbergt seit 1920 ein Café, das über die Jahre immer größer wurde, sagt Mart Woesthuis, der den Betrieb heute leitet.

Im Winter wärmen sich hier die Schlittschuhläufer auf. Im Sommer stehen die Fahrräder unter drei alten Eichen in Reih und Glied, während sich die Besitzer auf der Terrasse unter Sonnenschirmen über Frites, Frikandel oder Frikadellen hermachen. Danach reicht die Kraft für den Endspurt nach Almelo. Oder für die Rückfahrt nach Nordhorn.

Pausenstopp: Ein noch erhaltenes Brückenwärterhäuschen beherbergt das hübsche Café Fraans Marie.
Pausenstopp: Ein noch erhaltenes Brückenwärterhäuschen beherbergt das hübsche Café Fraans Marie.

Nordhorn war einer der bedeutendsten Standorte der deutschen Textilindustrie. Im Nachkriegsdeutschland hingen in fast jedem Kleiderschrank Produkte der Firmen NINO, Povel und Rawe. Zeitweise stammten mehr als zwei Drittel aller in der Bundesrepublik verkauften Damen- und Herrenmäntel aus Nordhorn.

Mehr darüber erfährt man im NINO-Hochbau, im Povelturm und in der Alten Weberei, den drei Ausstellungsorten des Stadtmuseums. Im NINO-Hochbau, dem größten Einzelgebäude der Stadt, sind unter anderem Modefotografien renommierter Fotografen wie Helmut Newton und F.C. Gundlach zu sehen. Sie erinnern an eine Zeit, in der auch Karl Lagerfeld wusste, wo Nordhorn liegt.


Nordhorn-Almelo-Kanal

Anreise: Mit dem Zug über Münster oder Osnabrück und dann weiter über Bad Bentheim bis Nordhorn. Mit dem Auto aus dem Süden kommend über die A31, aus dem Osten über die A2 und A30, aus dem Norden über die A1 und B213.

Radtour: Der VVV-Nordhorn verleiht Tourenräder und E-Bikes. Bei der Pauschale „Kanaltour Nordhorn-Almelo“, die eine Infobroschüre und mehrere Speisegutscheine beinhaltet, ist eine Übernachtung in Almelo zubuchbar. Gruppen können wahlweise auch einen Rücktransport buchen.

Auskunft: VVV, Firnhaberstraße 17, 48529 Nordhorn, (Tel.: 05921/80 390, E-Mail: info@vvv-nordhorn.de, www.vvv-nordhorn.de).

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