Schon wieder Schicksalstage für die Kanzlerin

Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: epa/Clemens Bilan
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: epa/Clemens Bilan

BERLIN (dpa) - Noch keine drei Monate sind vergangen, da steckt die Regierung von Angela Merkel tief wie noch nie in der Krise. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Und was macht die SPD?

Es sind schon wieder Schicksalstage für Angela Merkel. Doch zumindest nach außen versucht die Kanzlerin am Freitag, gelassen zu wirken. Am Vormittag schaut sie kurz im Bundestag vorbei, gegen Mittag empfängt sie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Doch so sehr die 63-Jährige auf ihre Erfahrung in Krisensituationen setzen mag: Die Lage ist diesmal wohl dramatischer als je zuvor in ihren bisher 13 Regierungsjahren. Mit voller Wucht hat sie die Asyl-Attacke der CSU getroffen.

Diesmal könnte es für Merkel noch gefährlicher werden als beim Streit mit Horst Seehofer und dessen CSU um die Obergrenze für Flüchtlinge. Der konnte kurz vor der Bundestagswahl mit Ach und Krach und einem gemeinsamen Regelwerk für Migration einigermaßen entschärft werden.

Innenminister Seehofer, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der schon in den geplatzten Jamaika-Verhandlungen mit Grünen und FDP besonders hart auftrat, haben offensichtlich die Geduld mit Merkel verloren. Sie wollen sich nicht wieder von ihrem Versprechen vertrösten lassen, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Asyllösung zu finden.

Vier Monate vor der für die CSU fast existenziellen Landtagswahl in Bayern haben viele in der CSU keine Lust mehr, sich hinter Merkels Politik(stil) zu stellen. «Wir sind schon mal von der Bundeskanzlerin gebeten worden, ihr bis zum nächsten EU-Gipfel Zeit zu geben, um eine europäische Lösung anzustreben. Das war vor 877 Tagen und vielen weiteren zwischenzeitlichen EU-Gipfeln», schimpft CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer.

In der CSU macht auch das Wort vom Systemversagen die Runde angesichts der Meldungen der vergangenen Wochen um Missstände beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Mord an der 14-jährigen Susanna.

In der CDU ist man am Freitag immer noch perplex über die Härte, mit der Seehofer, Söder und Dobrindt am Tag zuvor aufgetreten sind. Die CSU sei mit Tempo 180 auf Konfrontationskurs gegangen, heißt es.

Für kommenden Montag hat Merkel nun die Führungsgremien der CDU nach Berlin eingeladen - gut möglich, dass sie sofort reagieren will, sollte Seehofer sich vom CSU-Vorstand in München parallel grünes Licht für die einseitige Schließung der Grenzen geben lassen. Am gleichen Tag hat sie aber auch Gelegenheit, an ihrem Plan für bilaterale Abkommen mit den vom Migrationsdruck am meisten betroffenen Ländern zu arbeiten: Der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte kommt zum Antrittsbesuch.

Am Dienstag dann ist der französische Präsident Emmanuel Macron im Gästehaus der Bundesregierung im brandenburgischen Meseberg zu Gast. Von der CSU wird der junge Franzose als Beispiel präsentiert, wie Zurückweisung gelingen kann: Frankreich hat dazu mit Italien ein zwischenstaatliches Abkommen geschlossen, es könnte als Vorbild für Merkels Verhandlungen dienen.

Trotz aller Härte in der Sache ist die CSU am Tag eins nach dem Ultimatum um Ruhe bemüht. Doch wenn der Parteivorstand am Montagfrüh in München zusammenkommt, muss sie ihrer Drohung Taten folgen lassen. Die CSU-Spitze wird Seehofer das Mandat für die Zurückweisung von einzelnen Flüchtlingsgruppen an der deutschen Grenze ganz sicher ausstellen - und damit die Lizenz zur bewussten Revolte gegen Merkel geben.

Spannender ist da vielmehr die Frage, wann und wie wird Seehofer seinen Ministerentscheid umsetzen: In der Sekunde nach dem Beschluss per Telefon? Am Nachmittag nach der Vorstandssitzung? Oder erst mit Verzögerungen einige Stunden oder gar Tage später? Aus CSU-Sicht dürfte es wohl kaum schnell genug gehen, bis die Zurückweisungen an den drei bayerischen Grenzübergängen Kiefersfelden, Passau und Bad Reichenhall gängige Praxis werden. Und nur um diese Kontrollpunkte geht es.

Wie ein Kompromiss aussehen kann, blieb auch am Freitag offen - neue Verhandlungen zwischen Merkel und Seehofer sind erstmal nicht in Sicht. In der Union heißt es, beide würden wohl am Wochenende miteinander telefonieren.

Und die SPD? Nach Tagen der Schadenfreude darüber, wie sich die Schwesterparteien zerlegen, wird den Sozialdemokraten bewusst, dass die Eskalation auch sie gefährdet. Erst am Freitag findet die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles wieder deutliche Worte. Die Koalitionspartner sollten ihr Binnenverhältnis klären und endlich wieder zur Sacharbeit zurückkehren. Besonders der «Bonsai-Trump» Söder solle endlich die Füße stillhalten. Die CSU-Landesregierung in ihrer Panik vor der AfD dürfe nicht «ganz Deutschland und Europa in Geiselhaft» nehmen.

Das könnte auch ein Pfeifen im Walde sein. Auf den Vorhalt, sie habe in dem Streit doch eigentlich gar keine Handlungsoptionen sagt Nahles im Vorbeigehen: «Na, das warten wir mal ab.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Jürgen Franke 17.06.18 18:27
Dem Seehofer sitzt die AfD im Nacken
Wenn er dieses Spiel nicht gewinnt, hat es verloren und der Söder schäumt vor Wut, da helfen auch seine Kreuze in den Regierungsgebäuden nicht mehr, die Wähler zurück zugewinnen.
Jürgen Franke 17.06.18 12:43
Die SPD hätte die einmalige Gelegenheit,
die Merkel zu zwingen, die Vertrauensfrage zu stellen. Aber auch dazu ist diese Partei nicht mehr fähig.