Prozess zu Terror in Straßburg beginnt

Eine Außenansicht des Gebäudes, das zum französischen Präsidenten-Elysee-Palast in Paris gehört. Foto: epa/Christophe Petit Tesson
Eine Außenansicht des Gebäudes, das zum französischen Präsidenten-Elysee-Palast in Paris gehört. Foto: epa/Christophe Petit Tesson

PARIS/STRAßBURG: Während des Straßburger Weihnachtsmarktes schlägt 2018 ein islamistischer Attentäter zu und hinterlässt Tod und Schrecken. Nun müssen sich vier mutmaßliche Waffenbeschaffer vor Gericht verantworten.

Es ist eine erbarmungslose Menschenjagd, bei der der Islamist Chérif Chekatt im vorweihnachtlichen Trubel in der Elsassmetropole Straßburg am Abend des 11. Dezember 2018 fünf Menschen tötet und elf verletzt. Nur zehn Minuten dauert der blutige Lauf des 29-Jährigen durch Gassen und über Plätze, bei dem er seine Opfer mit Schüssen teils unvermittelt in den Kopf und Messerstichen angreift und eine ganze Stadt traumatisiert zurücklässt. 49 Stunden lang fiebert Straßburg, ehe Chekatt nach einer Großfahndung im französisch-deutschen Grenzgebiet bei einem Schusswechsel mit Beamten im Straßburger Viertel Neudorf stirbt. Von diesem Donnerstag an müssen sich vier Männer vor einem Pariser Schwurgericht verantworten, die für den Attentäter Waffen beschafft haben sollen.

Hauptangeklagter ist ein langjähriger Freund des Täters, der diesem über längere Zeit beim Kauf von Waffen geholfen haben soll und dem wegen Komplizenschaft lebenslange Haft droht. Der 42-Jährige gibt an, den Täter für einen einfachen Kriminellen gehalten und von seinen Anschlagsplänen nichts gewusst zu haben. Außerdem angeklagt sind zwei 37 und 39 Jahre alte Brüder sowie ein weiterer 34 Jahre alter Mann, die an der Waffenbeschaffung auf unterschiedliche Weise beteiligt gewesen sein sollen. Dabei geht die Anklage nicht davon aus, dass sie von den Plänen des Angreifers wussten. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Das Verfahren gegen einen 84-Jährigen, der den bei der Tat verwendeten alten Revolver verkaufte, wurde wegen dessen schlechten Gesundheitszustands abgetrennt.

Der Prozess ist bis zum 5. April im Pariser Justizpalast terminiert, wo 2021 für den Prozess um die verheerenden Pariser Terroranschläge im Jahr 2015 ein gesonderter Saal eingerichtet wurde. Dort wurden seitdem mehrere islamistische Terrorattacken verhandelt, die Frankreich in den vergangenen Jahren erschütterten und bei denen rund 250 Menschen aus dem Leben gerissen wurden. Frustrierend wie schon bei vorherigen Prozessen wird für Angehörige und Nebenkläger auch dieses Mal sein, dass nicht der Täter selber auf der Anklagebank Rechenschaft ablegen muss, er ist tot. Die quälende Frage des Warum wird unbeantwortet bleiben, die Suche nach dem Grund, weshalb ein in Straßburg geborener junger Mann dort während des Weihnachtsmarktes wahllos Passanten massakriert, ins Leere laufen.

Bekannt ist allerdings das Profil des Täters. Der vielfach vorbestrafte Angreifer mit nordafrikanischen Wurzeln soll sich im Gefängnis radikalisiert haben und war den Behörden als Gefährder bekannt. Er wurde wegen etlicher Diebstähle in Frankreich, der Schweiz und in Deutschland vom Amtsgericht Singen verurteilt. Nach Verbüßen seiner Haft wegen schweren Diebstahls in Deutschland wurde er 2017 nach Frankreich abgeschoben. Schon vorher saß er vier Jahre im Gefängnis. Der Angreifer verfügte über einen Hauptschulabschluss, hatte dann bei der Gemeinde gearbeitet und war seit 2011 arbeitslos. Dass ein solcher Kleinkrimineller einen islamistischen Anschlag verübt, ist nicht außergewöhnlich. Ähnlich war es auch bei Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt 2016.

Nur Stunden vor dem Anschlag wurden bei einer Durchsuchung von Chekatts Wohnung Waffen gefunden - darunter Granaten und Messer. Die Polizei hatte den 29-Jährigen wegen eines versuchten Tötungsdelikts festnehmen wollen, dieser war aber nicht zu Hause. Von seinem Vater über das Anrücken der Polizei informiert, entschloss Chekatt sich dann offensichtlich, seinen ohnehin vorbereiteten Anschlag am selben Abend zu verüben.

Teils unter «Allahu Akbar» (Gott ist groß)-Rufen greift er seine Opfer an, darunter einen Franzosen, der vor einem Restaurant auf seine Familie wartet, einen Touristen aus Thailand sowie einen Kriegsflüchtling aus Afghanistan, der vor den Augen seiner Familie erschossen wird. Auf seinem blutigen Streifzug durch die Stadt, in deren Straßen sich zunehmend Panik ausbreitet, versuchen mehrere Musiker, den Angreifer zu stoppen, es kommt zu einem Schusswechsel mit den zum Schutz des Weihnachtsmarktes eingesetzten Militärkräften. Chekatt aber gelingt die Flucht mit einem Taxi. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag später für sich. Chekatt selber hatte dem IS in einem Video seine Treue geschworen, das auf einem USB-Stick in seiner Wohnung gefunden wurde.

Noch weiter hochgefahren wurde nach dem Anschlag der Schutz des auch bei deutschen Touristen beliebten Straßburger Weihnachtsmarktes. Mehr als 1000 Beamte und auch Drohnen waren zuletzt in Frankreichs «Weihnachtshauptstadt» im Einsatz. Die Freude an dem Weihnachtsspektakel konnte der Attentäter aber nicht vernichten - 3,3 Millionen Besucher zählte er im vergangenen Jahr und damit so viele wie noch nie zuvor.

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