Prostitution der Elefant im Raum

Corona-Not: Thailands Sexarbeiterinnen bleibt Hilfe vom Staat verwehrt

Obwohl Sexarbeiterinnen etwa 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften, erhalten sie keine Hilfe vom Staat. Foto: piccaya / Adobe Stock
Obwohl Sexarbeiterinnen etwa 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften, erhalten sie keine Hilfe vom Staat. Foto: piccaya / Adobe Stock

BANGKOK: Gleichwohl sie einen erheblichen Teil zur einst blühenden Tourismusindustrie in Thailand geleistet haben, bleibt ihnen der Zugang zu finanzieller staatlicher Unterstützung verwehrt: Hunderttausende Sexarbeiterinnen, die von einem Tag auf den anderen um ihre Einkommensquelle gebracht wurden, als die Regierung Ende März die landesweite Schließung von Bars und Nachtclubs anordnete, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern.

Schätzungen der UN-Arbeitsorganisation ILO zufolge erwirtschaftet die Rotlicht-Branche etwa 14 Prozent des thailändischen Bruttoinlandsproduktes. Ein profitabler Wirtschaftszweig, der jedoch gesetzlich verboten ist und sowohl von der Regierung als auch den Tourismusbehörden nicht weiter thematisiert wird. Da Sexarbeiterinnen keiner formellen Erwerbstätigkeit nachgehen, wird ihnen jegliche Form staatlicher Unterstützung verwehrt, so auch der Zugang zu finanzieller Unterstützung im Zuge der derzeitigen Corona-Krise.

Gesellschaftlicher Ausschluss

Suparnee Pongruengphant, Projektleiterin für Gleichstellung und soziale Eingliederung des Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UN), gab ihnen nun eine Stimme. Auf der Ende Mai vom Foreign Correspondence Club of Thailand (FCCT) ausgerichteten Online-Diskussionsrunde „Den Schwächsten in Thailand helfen: Sexarbeiterinnen & Covid-19, die Folgen“ warf sie der Regierung vor, nicht genug zu tun, um arbeitslose Sexarbeiterinnen zu unterstützen. „Sie sollten Anspruch auf die gleichen Schutz- und Fürsorgeleistungen haben wie andere Berufsgruppen“, forderte Suparnee. Sie führte fort, dass die meis­ten Sexarbeiterinnen keinen Zugang zu Bildung haben, wodurch ihnen eine Beschäftigung im formalen Sektor verwehrt bleibt und sie zur Sexarbeit gezwungen werden. Besonders prekär sei die Lage laut Suparnee für Migrantinnen und Transsexuelle.

Entertainment zu einem hohen Preis

Auch die Ankündigung der Centre for Covid-19 Situation Administration (CCSA), dass Bars und Nachtclubs unter Beachtung strenger Sicherheitsregeln schon bald wieder öffnen dürfen, wenn die Zahl der täglichen Corona-Neuerkrankungen in Thailand weiterhin im einstelligen Bereich bleibt, betrachtet Suparnee kritisch. Da Sexarbeiterinnen in engen Kontakt mit ihren Kunden stehen, aber immer noch kein Impfstoff verfügbar ist, sind sie der UN-Menschrechtsbeauftragten folgend einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt: „Die Tatsache, dass viele von ihnen nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um für die Behandlungskosten im Covid-19-Fall aufkommen zu können, verschlimmert die Situation maßgeblich.“

Nichtbeachtung statt Problemlösung

Gemäß Assoc Prof. Chalidaporn Songsamphan, Dozentin für Politikwissenschaften an der Thammasat University und Präsidentin der Service Workers In Group Foundation, die sich ebenfalls an der Diskussionsrunde beteiligte, hätten viele Sexarbeiterinnen keinen Zugang zu staatlicher Fürsorge, da Prostitution in Thailand ein „Elefant im Zimmer“ sei, trotz ihres enormen Beitrags zur Tourismusindustrie. Mit der Metapher traf Prof. Chalidaporn den Nagel auf den Kopf: Denn sie bezeichnet ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, aber dennoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird.

Um dies zu verdeutlichen, verwies sie auf das Ergebnis einer Befragung von Sexarbeiterinnen in Bangkok, die sich um die monatliche Barauszahlung von 5.000 Baht der Regierung beworben hatten. „Bei allen Frauen, die sich outeten, wurde der Antrag abgelehnt. Es gibt in Thailand keinen Platz für Sexarbeiterinnen... Ich bezweifle sogar, dass diese Regierung jemals über die Existenz der Sexindustrie nachdenken wird“, seufzte Prof. Chalidaporn und schloss mit diesen Worten die Diskussionsrunde.

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Klaus Berbel 09.06.20 17:57
Der Brunner
Ich habe fast alle Kommentare hier gelesen. Wo wurde denn etwas verächtliches über besagte Ladys geschrieben? Ich war ja nun auch schon einige Male in Thailand und auf den Philippinen. Meistens in der heiligsten Stadt (Pattaya) und der zweitheiligsten Stadt (Angeles City). Die Aussage, dass die Frauen "hungernde Mäuler" stopfen müssen suggeriert, dass andernfalls die Familie daheim verhungern würde. Jede Frau aus dem Gewerbe in Thailand, die mir ihr Haus/Dorf gezeigt hat, spricht eine deutlich andere Sprache. Es geht darum den Lebensstandard brutal nach oben zu setzen. Sich ein großes Haus im Dorf zu leisten, Motorbikes, Handys, fürs Alter vorsorgen. Vor allem letzteres finde ich jedoch leider selten. Eine Massagedame z.B. hat in 10 Jahren Thailand so viel erwirtschaftet, dass sie sich in Laos einen Palast (in Deutschland wäre es ein mittelgroßes Haus) hingestellt hat und einen Laden aufgemacht hat. Wäre es ihr nur um "hungrige Mäuler" gegangen, dann hätte es gereicht alle 3 Monate für eine Woche nach Pattaya zu gehen. Also mal umdenken. Ich behaupte, dass es den Frauen in Pattaya, Bangkok, Phuket nicht um hungrige Mäuler geht, sondern um den Lebensstandard einen gewaltigen Schub zu geben. "Hungrige Mäuler" werden von Frauen in den Grenzgebieten auf den "Chickenfarms" gestopft.
André Brunner 09.06.20 09:32
Die meisten dieser Kommentare, die von einem gut gepolsterten Sessel mit einer vollgestopften Brieftasche, geschrieben wurden, sind verächtlich.
Keine dieser Ladies macht diese Arbeit aus Freude. Sie müssen aber hungernde Mäuler stopfen. Keine hat, wie zum Teil in Europa, einen Mercedes vor der Tür stehen. Ich achte diese Frauen, die alles was sie können machen, um ihre Familie zu unterstützen.
Wir Männer profitieren von ihnen und dürfen, nur uns selber, kritisch und höhnisch gegenüber äussern.
Rudolf Lippert 08.06.20 21:18
@Mueller
Therapeutinnen? Also zu meiner Jugendzeit sagten wir zu sowas: "Nutten". Die gab es seinerzeit schon in allen Variationen und Farben.
Felix Mueller 08.06.20 19:03
Berufsbezeichnung
Sexarbeiterin ist diskriminierend und falsch. Die Thailänderinnen bieten viel mehr. Das hat eine Schweizer Journalistin schon vor 50 Jahren festgestellt. Sie sind eine Art Therapeutinnen. Man müsste eine neue Berufsbezeichnung dafür erfinden.
Norbert Kurt Leupi 08.06.20 19:03
" Das älteste Gewerbe "
Die Prostitution bietet nicht nur den Vorteil , in jedem beliebigen Augenblick verfügbar zu sein , sondern zudem die Gewähr , dass sie , da ja kein Dasein ausserhalb ihres Berufes führt , sich nie unliebsam bemerkbar zu machen , so dass der Mann , der sie aufsucht , nachher mit ungeschmälerter Würde zu seiner Frau , Familie und zu seiner unbefleckten Kirche zurückkehren kann ! Die Ärmste selbst ist sie aber , denn von allen verachtet ,obwohl sie als sozialstes Mitglied der Familie für die Finanzen sorgt und den bescheidenen Alltag finanziert !
Florian Firefighter 08.06.20 18:01
Prostitution
Dabei hab ich immer geglaubt, Prostitution gibt es nicht in Thailand, so jedenfalls von offizieller Seite.
Ralph von Mühldorfer 08.06.20 15:44
Meine Thai-Frau, steckt den Kopf in den Sand ..
meine Frau, will von diesem Thema auch nichts wissen. Nun gut, sie entstammt einer typisch Thaiändischen Mittelklasse-Familie. Doch scheint es normal in Thailand zu sein, dass Mann eine oder mehrere Geliebte hat.
Man spricht halt nicht darüber - fertig aus.
Ralph von Mühldorfer 08.06.20 15:26
Endlich wird einmal die Wahrheit ausgesprochen ...
Die thailändischen Offiziellen wollten ja nie zugeben, dass es Prostitution in Thailand gibt. Ich kenne unzählige Männer aus aller Welt, die eine Geliebte in Thailand haben, dauerhaft für deren Wohnung und täglichen Bedarf aufkommen. Jedes Jahr kommen sie für mindestens 3 Monate nach Thailand und wohnen dann mit ihrer Geliebten in einem schicken Hotel. Danke für diesen Artikel.
Klaus Berbel 08.06.20 13:56
Wird nicht passieren
Ich denke es wird nicht passieren, dass die Prostitution in Thailand anerkannt oder gar legalisiert wird. Viel zu viele Leute kassieren damit Unmengen an Geld. Der erste Politiker, der das Gewerbe aktiv legalisieren möchte, wird vermutlich spurlos verschwinden. Ich hoffe, dass der Corona-Wahnsinn bald vorbei ist und besagte Frauen wieder in die heiligste aller Städte (Pattaya) können.
Hammer 08.06.20 13:55
Keinen Zugang auf Bildung?
Das mag bestimmt auf einige auch tatsächlich zutreffen,allerdings kenne ich da persönlich ganz andere Fälle.
Die Schwester meiner Ex-Frau als Beispiel und etwa 15 - 20 ihrerer Mitstudierten.

Wir haben es der Schwester ermöglicht. auf der Universität in Udon Thani ihre Ausbildung zu machen und auch zum Abschluss zu bringen.
Aber das normale Arbeitsleben war Ihr zu lästig.Ebenso vieler Ihrer Mitstudierten.
Also tingeln Sie nun zwischen Singapore, Malaysia, Südkorea, Taiwan und Japan und gehen dort anschaffen.
Ist zwar ein krasses Beispiel, aber Sie werden nicht die einzige der jungen Generation sein, welche so Ihr Geld verdienen.

Allerdings bezweifle ich nicht, dass der Großteil es etwas anders hat, mit der Bildung.
So ein weiteres Familienmitglied.
Mit 16 wegen Schwangerschaft von der Schule geflogen, mit 18 in Bangkok für etwa ein 3/4 Jahr in einer großen Fabrik gearbeitet, aber das war zu anstrengend und dann ging es nach Pattaya und später nach Phuket.
Ingo Kerp 08.06.20 13:21
Prostitution ist in TH verboten, Punkt. 14% des BIP kommen durch die Prostitution. Diese Gelder werden gerrne eingenommen und sicherlich weiß auch der ein oder andere Farang, so wie man es in der Presse gelegentlich liest, das behoerdl. Mitarbeiter, egal welche Coleur, an den Einnahmen beteiligt sind. Da ja offensichtl. die Prostitution in TH nicht verschwindet durch das mantrahafte Vortragen, es gibt keine, wie eine "Inspektion" der Walking Street in Pattaya ergeben hat, wäre es doch realistischer, sich dem Ist-Zustand zu stellen und die Prostituierten als Berufsgruppe anzuerkennen.
Kanjana Khunthong 08.06.20 13:20
Seltsam
14 % vom BIP macht man mit etwas das verboten ist! Was wäre Thailand ohne Sextouristen? Schade um das schöne Land.