«Niemand hört uns»

Jesidin trifft IS-Peiniger in Deutschland wieder

Frauke Köhler. Foto: epa/Ronald Wittek
Frauke Köhler. Foto: epa/Ronald Wittek

ERBIL/KARLSRUHE (dpa) - Eine junge Jesidin flieht nach Deutschland, um einen Mann zu vergessen, der ihr die Hölle bereitet hatte. In Baden-Württemberg soll er sie erneut bedroht haben, wie die 19-Jährige im Interview erzählt. Die Ermittler kommen nicht weiter.

Die Jesidin Aschwak Hadschi Hamid Talo hätte niemals gedacht, dass sie einmal aus Deutschland zurück in den Irak fliehen müsste. Die 19-Jährige fühlte sich sicher als Flüchtling in Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg. Dann habe sie ausgerechnet dort aber den IS-Kämpfer getroffen, der sie einst auf einem Sklavenmarkt in Mossul für 100 Dollar gekauft hatte, erzählt sie der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Darstellung klingt kaum fassbar. Aschwak sagt, was sie erlebt habe, sei kein Einzelfall.

Es war der 3. August 2014, erzählt die junge Frau, als die Dschihadisten des Islamischen Staates in ihr Dorf im Nordirak einfielen. Die Männer der Jesiden, einer ethnisch-religiösen Minderheit, wurden in den Folgetagen zu Tausenden getötet. Die Extremisten nahmen Aschwak - damals 15 Jahre alt - sowie ihre Schwestern und Cousinen mit und boten sie in Mossul zum Verkauf an. Ein IS-Kämpfer, der sich Abu Humam nannte, kaufte sie schließlich.

«Für ihn war ich seine Frau. Er hat mich geschlagen, jeden Tag. Ich musste putzen und aufräumen», erzählt Aschwak in einfachem, aber flüssigem Deutsch am Telefon. Monatelang habe sie der Mann missbraucht, der sie nun als sein Eigentum betrachtete. Eines Abends seien Männer zu Gast gewesen. Sie und sechs weitere Frauen hätten die IS-Kämpfer bewirten müssen. Sie hätten Schlafmittel in deren Essen gemischt. Aschwak floh ins Sindschar-Gebirge, wo viele Jesiden Zuflucht gesucht hatten.

2015 kam die erlösende Nachricht aus Deutschland: Die junge Frau durfte als Flüchtling nach Baden-Württemberg und lebte fortan mit ihrer Mutter und ihren Brüdern in Schwäbisch Gmünd. Dort ging Aschwak zur Schule und wurde medizinisch betreut. «Zuerst war alles gut», erzählt sie. Aber es blieb nicht so.

Es passierte ausgerechnet in ihrer neuen Heimat, in der Goethestraße in Schwäbisch Gmünd, dass sie sich plötzlich von einem Mann verfolgt fühlte. «Er war hinter mir, ist hinter mir gegangen, hat aber nichts gesagt. Und ich habe auch nichts gesagt.» Die Jesidin hatte einen Verdacht, lief nach Hause zu ihrer Mutter, die sie beruhigen wollte: «Mach Dir keine Sorgen, es gibt in Deutschland keine solchen Menschen.»

Doch Aschwak sah den Mann wieder, als sie im Februar diesen Jahres zum Einkaufen ging. Ein weißes Auto habe vor ihr gehalten, beschreibt sie. «Er hat vor mir gestanden und gesagt: «Du bist Aschwak!»». Sie habe erwidert, sie kenne niemanden, der so heiße. Daraufhin habe er seine Brille von der Nase genommen, sie gemustert und nur gesagt: «Du musst nicht lügen». Er wisse alles über sie und ihr Leben in Deutschland. Aschwak lief weg.

Die Behörden wurden eingeschaltet, doch die Polizisten hätten ihr gesagt, sie «können überhaupt nichts machen» - Aschwak fühlte sich in Schwäbisch Gmünd ausgeliefert. Ein Stadtsprecher bedauert das: «Wir haben alles in unserer Macht Stehende versucht, der jungen Frau zu helfen». Die Betreuer hätten ihr eine neue, anonymisierte Wohnung angeboten, was sie aber nicht in Anspruch genommen habe.

Seit Juni ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe in dem Fall, über den zunächst «Welt» und «Bild» unter Berufung auf eine irakische Nachrichtenseite und ein Internetvideo berichtet hatten. Sprecherin Frauke Köhler sagt: «Wir haben uns selbstverständlich mit dem Fall befasst und nehmen solche Schilderungen sehr ernst.» Die Polizei habe mit Aschwak ein Phantombild angefertigt und versucht, den Mann aufzuspüren.

«Leider konnte die Zeugin nicht sehr präzise Angaben machen», sagt Köhler. Auch der Name habe sich keiner realen Person zuordnen lassen. Recherchen des SWR, nach denen weitere Jesiden in Baden-Württemberg Abu Humam erkannt haben, stützen Aschwaks Äußerungen allerdings.

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg teilte unterdessen via Tweet mit, die Ermittlungen könnten im Moment nicht fortgeführt werden, «da die Zeugin für Rückfragen aktuell nicht erreichbar ist.» Darauf angesprochen wundert die 19-Jährige sich. Sie sei sehr wohl erreichbar, bislang habe sie nur noch niemand angerufen.

Weitere derartige Fälle wie der von Aschwak waren Bundesanwaltschafts-Sprecherin Köhler auf Anhieb nicht bekannt. Doch die Jesidin sagt, dass ihr Freundinnen von ähnlichen Begegnungen erzählt hätten. Diese Geschichten würden aber meistens nicht ernst genommen: «Niemand hört uns, niemand glaubt uns.»

Den Deutschen sei sie unglaublich dankbar für alles, aber sie werde von nun an in den Kurdengebieten im Nordirak weiterleben, um Abu Humam nicht mehr begegnen zu müssen, sagt sie. «Ich will nicht mehr nach Deutschland gehen, ich habe zu viel Angst.»

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Ernst Schwartz 19.08.18 16:36
Als Skeptiker
erachte is es als möglich, dass die Geschichte stimmen oder nicht stimmen könnte. Propaganda wird auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Kreisen gemacht. Zudem ist es möglich, dass die Frau durch das Trauma, die starke psychische Erschütterung, die noch lange wirksam ist, einen "islamisch' aussehenden Mann als ihren Peiniger sieht und sich die Konversation einbildet. Allerdings bezweifle ich nicht, dass IS-Leute als Flüchtlinge in Deutschland anwesend sind.
Michael Ritsche 19.08.18 12:45
Für mich eine ...
Glaubwürdige Frau.
Besonders in Anbetracht,das der IS Gezielt Terroristen in Europa positioniert hat.
Dazu nutzt dieser natürlich auch die Überlasteten und nicht gerade effektiven Kontrollmaßnahmen in Europa und insbesondere in Deutschland.
Wenn man dann noch Erleben muss,das die Ermittlungsgruppe für solch gelagerte Vorfälle aus 12 Personen besteht,es aber über 4000 Anzeigen gibt-Da kann man keinen Schutz vor solchen Terroristen Erwarten-
Das ist natürlich meine ganz persönliche Ansicht der Dinge.
Volker Picard 18.08.18 17:00
Wir haben ein so "gutes?" Rechtssystem,
da fast man sich nur noch an den Kopf. Wenn diese Geschichte der Wahrheit entspricht, stimmt doch etwas nicht mehr in Deutschland. Da wird ein Sami A. (ehemaliger Leibwächter von Osama) abgeschoben und unsere Rechtssprechung verlangt die Rückführung auf Kosten der Steuerzahler von diesem Gefährder. Wenn diese Frau zig mal von IS-Killern vergewaltigt wurde und wir guten Deutschen solche Killer aufnehmen, kann die Frau nur wieder in ein anderes Land gehen, denn leider kann unsere Polizei ihr nicht helfen. Es kommt in mir tiefe Trauer auf und Wut, wie krank muß eigentlich ein Rechtssystem sein, wenn solche Vorfälle passieren?