Rotgrün, erste Frau oder Rechtsaußen Wilders?

​Niederlande-Wahl 

Schlussdebatte vor den niederländischen Parlamentswahlen. Foto: epa/Remko De Waal
Schlussdebatte vor den niederländischen Parlamentswahlen. Foto: epa/Remko De Waal

DEN HAAG: Nach 13 Jahren unter Premier Rutte leiten die Niederländer eine neue politische Ära ein. Bei der Wahl am Mittwoch wird ein knappes Rennen erwartet. Erstmals wittert der Rechtspopulist Wilders eine Chance.

Mit der Wahl eines neuen Parlaments stellen die Niederländer am Mittwoch die Weichen für eine neue politische Ära nach 13 Jahren unter dem rechtsliberalen Premier Mark Rutte. Ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen wird erwartet, wenn die rund 13,3 Millionen Wahlberechtigten die 150 Abgeordneten neu bestimmen. Erstmals könnte der Rechtspopulist Geert Wilders (60) mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) stärkste Kraft in der Zweiten Kammer werden, die vergleichbar mit dem deutschen Bundestag ist. Erst zwei Tage vor der Wahl sind die Werte für Wilders in den Umfragen sprunghaft gestiegen. Die Wahllokale schließen um 21.00 Uhr. Dann werden erste Prognosen erwartet.

Die Chancen, dass der Rechtsaußen auch neuer Regierungschef wird, sind allerdings gering. Denn unter einem Premier Wilders will kaum jemand in einer Koalition zusammenarbeiten. Und eine absolute Mehrheit kann den Umfragen zufolge keine Partei erringen. Nur vier Parteien kommen auf jeweils mehr als zwölf Prozent der Stimmen.

Etwa gleichauf mit der PVV liegt die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Spitzenkandidatin Dilan Yesilgöz (46) will Nachfolgerin ihres Parteifreundes Mark Rutte und damit erste Frau an der Spitze der Regierung in Den Haag werden. Yesilgöz schließt die Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen Wilders nicht aus. Und damit hatte sie die PVV von Wilders nach Ansicht von Wahlbeobachtern salonfähig gemacht.

Ebenfalls Aussicht auf Erfolg haben nach den Umfragen die Sozialdemokraten und Grünen. Sie treten erstmals als Bündnis an und wollen mit ihrem Spitzenkandidaten, dem früheren EU-Kommissar Frans Timmermans (62), den gefürchteten Rechtsruck verhindern.

Der Ausgang ist kaum vorherzusagen. «Etwa 70 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen», sagte Wahlforscher Peter Kanne vom Institut I&O Research. «Viele werden strategisch wählen.» Der Wahlforscher erwartet, dass rechte Wähler Wilders und seinem harten Anti-Migrationskurs ihre Stimme geben, um eine möglichst rechte Koalition zu erzwingen. Dagegen würden andere Wähler nun erwägen, ihre Stimme dem rot-grünen Bündnis zu geben, um eine Koalition mit Wilders zu verhindern.

Wilders hatte sich im Wahlkampf betont milde gegeben. So hatte er seine umstritten Standpunkte gegen den Islam auf Eis gelegt. «Das hat nun keine Priorität», sagte er. «Ich stehe als Premier zur Verfügung». Doch sein Parteiprogramm bleibt deutlich und fordert das Verbot von Moscheen und Koran sowie den «Nexit», den Austritt der Niederlande aus der EU.

Vermutlich müssen sich für eine Mehrheit mindestens drei Parteien zu einer Koalition zusammenfinden. Schon jetzt erwarten Beobachter ungeheuer schwierige Koalitionsverhandlungen - unabhängig vom Wahlergebnis. Nach der vorigen Wahl, im März 2021, hatte es fast zehn Monate gedauert, bis der Rechtsliberale Mark Rutte sein viertes Kabinett präsentieren konnte.

Doch im Sommer nach nur knapp 18 Monaten war die Mitte-Rechts-Koalition am Streit um die Migrationspolitik zerbrochen. Rutte kündigte dann auch seinen Abschied aus der nationalen Politik an. Er ist jetzt etwa 13 Jahre Premier im Königreich und will solange im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde.

Themen dieses Wahlkampfes waren Migration, Wohnungsnot und Armut. Vor allem die rechten Parteien versprachen, den Zustrom von Arbeitsmigranten, Flüchtlingen aber auch ausländischen Studenten drastisch zu reduzieren.

Die Wahl wird überschattet von einer großen Vertrauenskrise. Bürger bescheinigen dem Staat und der Politik Versagen bei Migration, Gesundheitssystem, Wohnungsbau und sozialer Sicherheit. Genau das ist Thema des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt und seiner neuen Partei «Neuer Sozialer Vertag». Er will sich für eine neue Führungskultur einsetzen und gilt bei vielen Wählern als glaubwürdig. Auch ihm wird ein Wahlerfolg vorhergesagt und damit eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.