Nahostkrise: Aktuelles Geschehen am Donnerstag

Nahostkrise: Aktuelles Geschehen am Donnerstag

US-Regierung wirft Hamas Abfangen von Gaza-Hilfslieferung vor

WASHINGTON: Im Gazastreifen fehlt es am Nötigsten. Die US-Regierung beschuldigt die Hamas nun, zumindest zeitweise eine Hilfslieferung abgezweigt zu haben, die für die Not leidende Bevölkerung bestimmt war.

Die US-Regierung wirft der islamistischen Hamas vor, erstmals in größerem Umfang Hilfsgüter für den Gazastreifen abgefangen zu haben. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sagte am Donnerstag in Washington, es handele sich um eine Lieferung, die von Jordanien über den neu geöffneten Grenzübergang Erez in das Küstengebiet gebracht worden sei. «Sie wurde dann von einer humanitären Organisation zur Verteilung im Gazastreifen abgeholt, und diese Hilfe wurde von der Hamas vor Ort im Gazastreifen abgefangen und umgeleitet», sagte Miller. Nach seinem Verständnis seien die Güter inzwischen wieder freigegeben und zurück an die humanitäre Organisation übergeben worden. «Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um einen inakzeptablen Akt handelt.»

Miller sagte, dies sei der erste größere Fall der Umleitung von Hilfsgütern durch die Hamas. Er warnte die Gruppe, durch solche Aktionen Hilfslieferungen für die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza generell zu gefährden, und rief dazu auf, dies nicht zu wiederholen.

Die humanitäre Lage in dem abgeriegelten Gazastreifen ist katastrophal. Die Menschen dort sind dringend auf die Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten angewiesen. Auf internationalen Druck hin, vor allem aus den USA, hatte Israel am Mittwoch den Grenzübergang Erez im Norden Gazas geöffnet. Der Norden des Küstengebietes ist besonders von Lebensmittelknappheit betroffen.


Israels Armee benennt Nachfolger für Militärgeheimdienst-Direktor

TEL AVIV: Nach der Rücktrittsankündigung des Direktors des israelischen Militärgeheimdienstes hat Israels Armee seinen Nachfolger bekannt gegeben. General Schlomi Binder werde das Amt übernehmen, teilte das Militär am Donnerstag mit. Sein Vorgänger Aharon Haliva hatte vor rund anderthalb Wochen seinen Rücktritt verkündet. Er begründete den Schritt damit, so seiner Führungsverantwortung nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober nachzukommen. Haliva hatte nach dem Terrorüberfall erklärt, er trage die Verantwortung für Fehler, die diesen ermöglicht hätten.

Israels Militär kündigte am Donnerstag auch weitere Neubesetzungen im Generalstab an. Die Ernennungen seien nach einem «langwierigen Prozess» von Israels Verteidigungsminister Joav Galant und Generalstabschef Herzi Halevi vereinbart worden. Die Neubesetzungen stießen bei einigen israelischen Abgeordneten auf Kritik. Sie pochen darauf, damit bis nach Ende des Gaza-Kriegs zu warten. Israels rechtsextremer Polizeiminister forderte nach der Ankündigung gar den Rücktritt des Verteidigungsministers.

Die Nachrichtenseite ynet schrieb, die Neubesetzungen könnten die Kluft zwischen der politischen Führung und dem Sicherheitsestablishment vertiefen. Berichten zufolge wächst etwa innerhalb der Armee der Unmut darüber, dass die Regierung keinen Zukunftsplan für den Gazastreifen entwickelt. Dies gefährde die Kriegsziele wie etwa die langfristige Zerstörung der Hamas, auch weil das Machtvakuum als Folge eines fehlenden Plans für das Küstengebiet die Wiedererstarkung der Islamistenorganisation begünstige.


Besatzung von beschlagnahmtem Containerschiff freigelassen

TEHERAN: Fast drei Wochen nach der Beschlagnahmung des Containerschiffs «MSC Aries» hat der Iran eigenen Angaben zufolge die gesamte Besatzung des Frachters freigelassen. «Alle Besatzungsmitglieder wurden aus humanitären Erwägungen freigelassen und können wieder in ihre Länder zurückkehren», sagte Außenminister Hussein Amirabdollahian am Donnerstag in einem Telefongespräch mit seinem estnischen Amtskollegen Margus Tsahkna, wie die Nachrichtenagentur Isna am Donnerstag berichtete. Die Festsetzung des Schiffs selbst sei Amirabdollahian zufolge jedoch berechtigt und im Einklang mit internationalen Richtlinien gewesen. Die Radaranlage des Frachters sei ausgeschaltet und dadurch die Sicherheit der Schifffahrt am Persischen Golf gefährdet gewesen, so der iranische Chefdiplomat.

Das Containerschiff fährt unter der Flagge Portugals, hat iranischen Angaben nach aber israelische Eigentümer. Auf dem Schiff befanden sich Berichten zufolge 17 indische Crew-Mitglieder, Amirabdollahian sprach den Angaben von Donnerstag zufolge aber auch von Estland als Rückkehrland. Eine indische Matrosin war bereits am 18. April freigelassen worden. Ob oder wann der Iran auch das Schiff selbst freisetzen wolle, ist unklar.

Die Marine der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) hatte die «MSC Aries» am 13. April im Persischen Golf festgesetzt. Es wurde als die erste Vergeltungsmaßnahme des Irans nach dem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus angesehen. Bei dem Angriff wurden sieben IRGC-Offiziere getötet, darunter zwei Generäle. Zuletzt hatte der Iran zudem einen Großangriff gegen Israel initiiert.


US-Militär hat versehentlich Schäfer bei Angriff in Syrien getötet

WASHINGTON: Das Ziel war ein Terrorist - doch kurz nach dem Angriff gab es Zweifel daran, dass das US-Militär bei einem Angriff in Syrien wirklich einen Al-Kaida-Anführer getötet hat. Nun gibt es Gewissheit.

Das US-Militär hat eigenen Angaben nach bei einer Drohnenattacke in Syrien vor rund einem Jahr versehentlich einen Zivilisten getötet. Eigentliches Ziel des Angriffs im Nordwesten Syriens sei es gewesen, einen hochrangigen Anführer der Terrormiliz Al-Kaida zu töten, teilte das US-Zentralkommando (Centcom) am Donnerstag mit. Eine Untersuchung habe allerdings ergeben, dass das Ziel falsch identifiziert und stattdessen ein Zivilist getötet worden sei.

Die «Washington Post» berichtete, dass es sich dabei um einen Schäfer gehandelt habe. Die Zeitung hatte bereits damals über Zweifel an der offiziellen Darstellung des Pentagons berichtet und geschrieben, dass statt eines Terroristen ein Schäfer getötet worden sei. Der Mann habe sich in einer ländlichen Region um seine Schafe gekümmert, als er von einer bewaffneten Drohne verfolgt worden sei. Diese habe eine Rakete abgefeuert und den Schäfer so wie mehrere seiner Schafe getötet, schrieb die Zeitung.

Der Angriff sei im Einklang mit dem Gesetz über bewaffnete Konflikte sowie mit den Richtlinien des Verteidigungsministeriums durchgeführt worden, teilte Centcom mit. «Die Untersuchung ergab jedoch mehrere verbesserungswürdige Punkte.» Aus geheimdienstlichen Gründen könne man aber keine weiteren Details preisgeben, hieß es weiter. «Wir sind entschlossen, aus diesem Vorfall zu lernen und unsere Zielverfahren zu verbessern, um mögliche Schäden für die Zivilbevölkerung zu verringern.» Das US-Militär hat den Angaben nach bei seiner Untersuchung mehr als 40 Zeugen befragt.


UN-Agentur: Zerstörung in Gaza die schlimmste seit 1945

NEW YORK: Israels Angriffe im Gazastreifen haben nach Einschätzung der UN-Entwicklungsagentur UNDP die schwersten Zerstörungen einer Region seit dem Zweiten Weltkrieg hervorgerufen. «So etwas haben wir seit 1945 nicht mehr gesehen - seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Intensität in so kurzer Zeit und das enorme Ausmaß der Zerstörung», sagte der örtliche UNDP-Direktor Abdallah al-Dardari am Donnerstag. Einer neuen Einschätzung der UN-Agentur zufolge könnte der Wiederaufbau des Gazastreifens mindestens bis ins Jahr 2040 dauern.

Im Gaza-Krieg seien bis Mitte April 370.000 Wohneinheiten beschädigt worden - 79.000 von diesen wurden demnach vollständig zerstört. UNDP greift bei ihrer Einschätzung auf ein Rechenmodell zurück, das die bisherige Geschwindigkeit beim Wiederaufbau von zerstörten Gebäuden in dem Küstenstreifen berücksichtigt. Selbst wenn diese Rate um das Fünffache gesteigert würde, bräuchte es demnach allein 16 Jahre, um alle komplett zerstörten Wohneinheiten wieder herzustellen.


Polizei hat Uni-Protestcamp in Los Angeles geräumt

LOS ANGELES: Nach dem Einsatz gegen propalästinensische Proteste an der Columbia-Universität in New York hat die Polizei auch in Los Angeles ein Zeltlager auf dem Campus der University of California in Los Angeles (UCLA) geräumt. Der US-Sender CNN zeigte am Donnerstagmorgen (Ortszeit) Bilder der Überreste des Camps auf dem Gelände. Zuvor hatten die Beamten demnach aufgestellte Barrikaden niedergerissen und Dutzende Demonstranten festgenommen und abgeführt.

Die Behörden hatten das Camp auf dem Gelände der UCLA am Mittwochabend (Ortszeit) als «rechtswidrige Versammlung» deklariert. Um das verbarrikadierte Zeltlager hatten sich nach Angaben der «Los Angeles Times» in der Folge mehrere Tausend Protestierende eingefunden, die sich den Einsatzkräften entgegenstellten und sie zunächst von dem Camp zurückgedrängt hatten. Schon in der vorangegangenen Nacht war es zu Gewalt gekommen, als Anhänger der Gegenseite eigenhändig versucht hatten, das Protestcamp einzureißen.

Proteste gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg und für eine Solidarität mit den Palästinensern sind in den vergangenen Wochen an diversen US-Hochschulstandorten hochgekocht. Meist geht es dabei um die Forderung an Hochschulen und Unternehmen, finanzielle Beziehungen zu Israel zu kappen. Während einige jüdische Studierende an diesen Protesten teilnehmen, fühlen sich andere bedroht und bleiben den Campussen fern.

Kritiker werfen insbesondere dem radikalen Teil der Protestbewegung Antisemitismus und die Verharmlosung der Hamas vor - die Islamistenorganisation spricht Israel das Existenzrecht ab und hat den Gaza-Krieg mit einem beispiellosen Massaker am 7. Oktober ausgelöst. Ihnen gegenüber stehen vielerorts Proteste, die sich mit der israelischen Seite solidarisieren und eine Freilassung der von der Hamas noch immer gefangen gehaltenen Geiseln fordern. Antisemitische Taten waren seit dem 7. Oktober an den Campussen angestiegen. Islamophobe Übergriffe ebenfalls.


Scholz telefoniert mit Netanjahu - Geiseln und Waffenstillstand Themen

BERLIN: Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erneut über die Lage und die weiteren Perspektiven in der Nahostregion ausgetauscht.

Der stellvertretende Sprecher der deutschen Regierung, Wolfgang Büchner, teilte am Donnerstag in Berlin mit, Scholz und Netanjahu hätten in einem Telefonat zudem über die Bemühungen zur Freilassung aller Geiseln, die sich nach wie vor in den Händen der islamistischen Hamas befinden, sowie über einen Waffenstillstand ausgetauscht. Außerdem seien auch weitere Verbesserungen der humanitären Hilfe für die Menschen im Gazastreifen ein Thema gewesen. Details über Inhalte des Gesprächs wurden nicht mitgeteilt.

Im Rahmen von Vermittlungsbemühungen in Kairo war der Hamas ein Vorschlag für eine Feuerpause im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln unterbreitet worden. Eine Antwort steht noch aus. Die Islamistenorganisation bestand bislang auf einem Ende des Krieges, was Israel aber ablehnt. Die israelische Regierung hat einen raschen Beginn der umstrittenen Offensive in Rafah im Süden des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten angekündigt, sollte es nicht zu einer Einigung kommen.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen Lage im Gazastreifen ist Israel international in die Kritik geraten.


Palästinensische Polizei tötet Extremisten nach Schüssen auf Station

RAMALLAH/TEL AVIV: In einem seltenen Vorfall hat die palästinensische Polizei in der Nacht zum Donnerstag im Westjordanland einen militanten Palästinenser getötet. Nach Medienberichten handelte es sich um ein Mitglied der Terrororganisation Islamischer Dschihad in der Stadt Tulkarem. Nach Angaben der Polizei wurde aus einem Fahrzeug auf eine Polizeistation geschossen, daraufhin erwiderten die Beamten das Feuer.

Die Schüsse seien «Teil der Gesetzeslosigkeit in der Stadt», die auf das Konto Bewaffneter gehe, hieß es vonseiten der Polizei. In vielen palästinensischen Städten des Westjordanland, in denen die Autonomiebehörde für die Sicherheit zuständig ist, sind häufig schwer bewaffnete militante Kämpfer ungehindert unterwegs. Die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Israel und der Autonomiebehörde wurde zwar bereits mehrmals offiziell abgebrochen, geht aber hinter den Kulissen weiter.

Der Islamische Dschihad verurteilte den Vorfall als Versuch der Palästinensischen Autonomiebehörde, gegen Kämpfer der Organisation in der Stadt vorzugehen. Nach dem tödlichen Vorfall schossen militante Palästinenser nach Medienberichten auf das Hauptquartier der Autonomiebehörde in Tulkarem. Dabei sei aber niemand zu Schaden gekommen.

Vor knapp zwei Wochen waren bei einem israelischen Militäreinsatz in dem Flüchtlingsviertel Nur Schams in Tulkarem nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Ramallah 14 Menschen getötet worden. Nach Angaben der Armee waren darunter mindestens zehn Bewaffnete. Es seien acht gesuchte Verdächtige festgenommen, Sprengsätze entschärft und zahlreiche Gebäude durchsucht worden. Zudem seien eine Sprengstoffwerkstatt zerstört und zahlreiche Waffen beschlagnahmt worden, darunter auch Pistolen und M16-Sturmgewehre. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast sieben Monaten hat sich die Sicherheitslage im besetzten Westjordanland noch einmal deutlich verschärft.


Propalästinensische Protestaktionen auch an britischen Universitäten

LONDON: An einigen Universitäten in Großbritannien finden ähnlich wie in den USA ebenfalls propalästinensische Protestaktionen statt. Studenten in den Städten Leeds, Newcastle und Bristol hätten am Mittwoch aus Protest gegen den Krieg im Gazastreifen Zelte vor Universitätsgebäuden aufgebaut, meldete die britische Nachrichtenagentur PA in der Nacht zum Donnerstag. Fotos aus Manchester zeigten ebenfalls einige Zelte mit palästinensischen Flaggen.

Die Zeitung «Times» berichtete, die Camps in Großbritannien hätten aber nur einen Bruchteil des Umfangs wie die an den US-Universitäten Yale und Columbia. In Großbritannien kommt es immer wieder zu Protesten, seit der Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober den Militäreinsatz Israels im Gazastreifen ausgelöst hatte.

Der «Times» zufolge sollen die Protestaktionen schon vor der Demonstrationswelle in den USA geplant gewesen sein, nun aber neuen Schwung bekommen haben. An mehreren US-Hochschulen war es zuletzt zu Ausschreitungen gekommen. Die New Yorker Polizei räumte etwa ein von Studierenden besetztes Hochschulgebäude.

Eine jüdische Studierendenvereinigung in Großbritannien forderte Universitäten auf, jüdische Studierende zu schützen. «Studenten haben das Recht zu protestieren, aber diese Lager führen zu einer feindseligen und toxischen Atmosphäre auf dem Campus für jüdische Studenten», teilte die Union of Jewish Students auf der Plattform X (früher Twitter) mit.

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