Tony Blair zieht Bilanz

​Kriegspremier und Friedensstifter 

Der frühere Premierminister des Vereinigten Königreichs, Tony Blair. Foto: epa/Gian Ehrenzeller
Der frühere Premierminister des Vereinigten Königreichs, Tony Blair. Foto: epa/Gian Ehrenzeller

LONDON: Kurz vor dem Jahrestag der folgenschweren westlichen Intervention im Irak am Montag blickt der frühere britische Premier Tony Blair auf die mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Großereignisse seiner Amtszeit zurück - und dämpft Hoffnungen auf eine Rückkehr in die EU.

«Wie, Sie sind alle mit Krawatte gekommen?» Als Tony Blair die geräumige Küche in den Räumen seines Instituts in London zum Interview betritt, wird sofort klar, wie er Großbritannien bei seiner ersten Wahl 1997 im Sturm erobern konnte. Mit aufgeknöpftem Kragen setzt er sich lächelnd vor die Kameras und strahlt dieselbe Eleganz und Lockerheit aus, die ihm schon über ein Vierteljahrhundert zuvor zu eigen waren, als ihm die Schlüssel zu der schwarzen Tür in der 10 Downing Street ausgehändigt wurden.

Für den früheren britischen Premierminister stehen mehrere bedeutende Jahrestage an: Am Montag jährt sich zum 20. Mal der Irak-Krieg, in den Großbritannien unter Blairs Führung an der Seite der USA hineinschlitterte. Vor 25 Jahren im April beendete das von Blair maßgeblich aus der Taufe gehobene Karfreitagsabkommen den blutigen Bürgerkrieg in der britischen Unruheprovinz Nordirland.

Wenige Tage vor dem Irak-Jahrestag zieht der einstige Polit-Rockstar im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur und den europäischen Nachrichtenagenturen AFP, ANSA und EFE Bilanz - und spricht über Herausforderungen der Gegenwart.

Der 69-Jährige ist in seiner Heimat wegen des Irak-Kriegs nicht mehr allzu gut gelitten. Das Vermächtnis seiner zehnjährigen Amtszeit (1997 bis 2007) wird weitgehend überschattet von den Vorwürfen der Angehörigen gefallener britischer Soldaten und dem blutigen inneren Konflikt und Terror, in dem der Irak versank. Nur knapp ein Viertel der Briten sieht Blair jüngsten Umfragen zufolge in einem positiven Licht.

Die als Chilcot-Inquiry bezeichnete Untersuchung, die seiner Regierung im Jahr 2016 zahlreiche Fehler im Vorfeld des Kriegs bescheinigte, akzeptierte Blair damals. Er bedauert die vielen Opfer. Als Irrtum will er seine Entscheidung für den Krieg aber nicht betrachten. Auch dass Russlands Präsident Wladimir Putin die ohne UN-Mandat durchgeführte Invasion in den Irak inzwischen als Beweis für die angebliche Scheinheiligkeit des Westens heranzieht und seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine damit rechtfertigt, ändert an Blairs Meinung nichts.

Einen Vergleich zwischen dem Irak und der Ukraine weist er zurück. Der damalige irakische Präsident Saddam Hussein habe sein eigenes Volk brutal behandelt, sei in zwei völkerrechtswidrige Kriege verwickelt gewesen und habe mit chemischen Waffen an einem einzigen Tag 12.000 Menschen töten lassen. «Der Idee, dass man das gleichsetzt mit der Invasion eines Landes, das einen demokratisch gewählten Präsidenten hat, der meines Wissens nie einen regionalen Konflikt begonnen hat oder irgendeine Aggression gegen seine Nachbarn begangen hat (...), muss entschieden entgegengetreten werden», sagt Blair im Interview.

Würde Putin nicht diese Ausrede für seinen Angriffskrieg nutzen, wäre es eine andere, glaubt der Labour-Politiker. Zudem habe der russische Präsident mit seiner Unterstützung für Syriens Präsident Baschar al-Assad einen Despoten im Nahen Osten an der Macht gehalten. Eine auf Regeln basierte Weltordnung sei angesichts der Konstellation im UN-Sicherheitsrat mit Russland und China als Vetomächten ohnehin «sehr schwierig», so der Ex-Premier weiter.

Unbeschwerter spricht Blair über das Karfreitagsabkommen, das er als sein größtes Vermächtnis sieht. Den EU-Austritt seine Landes, den Blair von Anfang an ablehnte, bezeichnet er jedoch als «unmittelbarste Herausforderung» für den seit nun einem Vierteljahrhundert andauernden Friedensprozess in Nordirland.

Das Problem liegt vor allem darin, dass mit dem Brexit die eigentlich bereits unsichtbar gewordene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland zur EU-Außengrenze geworden ist.

Grenzkontrollen sollen unbedingt verhindert werden, um den Konflikt zwischen den meist katholischen Anhängern einer Vereinigung beider Teile Irlands und den überwiegend protestantischen Anhängern der Union mit Großbritannien nicht wieder anzuheizen. Doch wie das gehen soll, war Inhalt eines jahrelangen, zähen Streits zwischen EU und Großbritannien.

Doch Blair sieht Licht am Ende des Tunnels: Das Windsor-Abkommen, in dem sich London und Brüssel kürzlich auf angepasste Brexit-Regeln für die einstige Bürgerkriegsregion einigten, könne «der Anfang vom Ende» der Brexit-Querelen um Nordirland sein, sagt er. Er deutet auch an, dass er als Ideengeber und Gesprächspartner dabei eine Rolle gespielt hat.

Mit einem erschöpften Gesichtsausdruck fügt er hinzu: «Die Beziehung zwischen Großbritannien und Europa und die Verhandlungen zwischen uns und die Debatten, das wird nie aufhören.» Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr seines Landes in die Staatengemeinschaft macht Blair nicht. «Ob und wie das Vereinigte Königreich der EU wieder beitritt, ist einer künftigen Generation überlassen», sagt der Ex-Premier.

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