Populistische Regierung kann starten

Italiens neuer Premierminister Giuseppe Conte. Foto: epa/Angelo Carconi
Italiens neuer Premierminister Giuseppe Conte. Foto: epa/Angelo Carconi

ROM (dpa) - Italien steht vor einem Wandel. Drei Monate Polit-Chaos sind zwar vorüber. Doch die neue Regierung sorgte schon vor ihrem Start für einige Verunsicherung. Nun könnte sie Brüssel und Berlin vor weitere Probleme stellen.

Nach Vereidigung der ersten europakritischen Regierung in Rom warten Italien wie die EU gespannt auf die ersten Schritte des ungleichen Bündnisses aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Staatspräsident Sergio Mattarella nahm am Freitag den Amtseid des Kabinetts unter Führung des Juristen Giuseppe Conte ab. Die Zusammenkunft der Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne und der fremdenfeindlichen Lega ist ein absolutes Novum: Erstmals könnte ein EU-Gründerstaat auf Distanz zur Staatengemeinschaft gehen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierte Conte zum Amtsantritt und wünschte ihm eine «glückliche Hand». «Italien und Deutschland verbinden enge und freundschaftliche Beziehungen in allen Bereichen - politisch, wirtschaftlich und kulturell», schrieb Merkel. Als EU-Gründungsmitglieder baue die Zusammenarbeit beider Länder auf gemeinsamen europäischen Werten auf. «Ich freue mich darauf, die enge Partnerschaft mit Ihnen fortzuführen und weiter zu vertiefen», betonte Merkel.

EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die neue Regierung zu «respektvollem Dialog und loyaler Zusammenarbeit» auf. Um gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen brauche es mehr denn je Geschlossenheit und Solidarität, schrieb Tusk in einem Brief an Conte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bot der neuen Regierung Zusammenarbeit an. «Man sollte Politiker nicht an ihren rhetorischen Einlassungen messen, sondern an ihren Taten», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) (Samstag).

Die Fünf Sterne und die Lega hatten zuletzt verstärkt Stimmung gegen Brüssel und Berlin gemacht. Allerdings sitzen im nun vereidigten Kabinett auch Pro-Europäer wie Außenminister Enzo Moavero Milanesi, die beruhigende Signale nach Brüssel senden dürften.

Eine Bewährungsprobe für die neue Regierung steht unmittelbar bevor: Bis zum G7-Gipfel am 8. und 9. Juni in Kanada sind nur noch wenige Tage Zeit. Ende des Monats geht es beim EU-Gipfel in Brüssel dann um die Flüchtlingskrise und Reformen in der Eurozone - beides Themen, die für Italien enorm wichtig sind.

Das Kabinett ist eine Mischung aus Parteipolitikern und Technokraten. Lega-Chef Matteo Salvini zieht ins Innenministerium, Sterne-Chef Luigi Di Maio wird Arbeitsminister. Beide werden Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria besetzt den Schlüsselposten des Finanzministers. Von den 18 Ministerposten gehen nur fünf an Frauen.

Für die Fünf-Sterne-Bewegung ist es die erste Regierungsbeteiligung. Parteichef Di Maio postete am Freitag auf Facebook ein Selfie mit seinen acht Parteikollegen, die ebenfalls als Minister vereidigt worden waren. Salvini machte im prunkvollen Präsidentenpalast ein Foto von sich und schrieb auf Twitter dazu: «Zugegeben, aufgeregt und glücklich».

Lega-Chef Salvini dürfte vor allem beim Thema Migration harte Hand zeigen. Noch in der Nacht zum Freitag kündigte er an, Migranten «wieder nach Hause zu schicken» statt viel Geld für ihre Unterbringung auszugeben. Italien werde in Europa nun nicht mehr in der zweiten Reihe stehen und in Brüssel um Geld betteln, verkündete er. «Ich will, dass Italien wieder Protagonist in Europa ist.» Italien war in der Vergangenheit besonders von der Flüchtlingskrise betroffen, allerdings ist die Zahl der Neuankömmlinge zuletzt stark gesunken.

Das Parlament muss der neuen Regierung noch zustimmen, was in der kommenden Woche erwartet wird. Da die Lega und die Sterne aber in beiden Kammern die Mehrheit haben, gilt das als ausgemacht.

Bei der Wahl am 4. März hatte die Fünf-Sterne-Bewegung 32 Prozent bekommen, die Lega 17 Prozent. Beide Parteien sind von Grund auf verschieden, weshalb Experten schätzen, dass die Haltbarkeitsdauer der Regierung begrenzt sein könnte. Die Wählerschaft ist äußerst heterogen: Die Lega ist vor allem im Norden stark und stramm rechts. Die Fünf Sterne haben besonders viele Anhänger im armen Süden, für ihre Wähler vom linken Flügel ist die Koalition ein Alptraum.

Mit der Vereidigung gingen am Freitag drei chaotische Monate zu Ende, die auch die Finanzmärkte in Unruhe versetzt hatten. Die Fünf Sterne und die Lega hatten sich am Donnerstag im zweiten Anlauf auf die erste Koalition dieser Art in der Geschichte des Landes geeinigt. Die Märkte reagierten nach Turbulenzen der vergangenen Tage erleichtert darauf, dass eine Neuwahl nun vorerst abgewendet ist.

Für Beunruhigung sorgt allerdings weiterhin das Regierungsprogramm, planen die Populisten trotz des immensen Schuldenbergs des Landes Mehrausgaben etwa durch Steuersenkungen und die Einführung eines Grundeinkommens. In Italien belaufen sich die Staatsschulden in absoluten Zahlen auf fast 2,3 Billionen Euro. Das entspricht fast 132 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung und ist damit so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt.

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Jürgen Franke 04.06.18 00:57
Der Euro konnte nur funktionieren, wenn
sich alle Länder an die vereinbarten Regeln gehalten hätte. So war die Versuchung, der Südländer einschließlich Frankreich groß, über seine Verhältnisse zu leben.
Jürgen Franke 02.06.18 16:07
In Italien startet dann eine Regierung,
die ihren Wählern alles versprochen hat, was sie selbst nicht finanzieren kann.
Dracomir Pires 02.06.18 13:25
Vielleicht sollten die Medien langsam umdenken
Bisher wurde nur die französische Politikerin Marine Le Pen als "Rechtspopulistin" diffamiert. Jetzt passiert dies auch mit Italiens Regierung und jenen in Ungarn und in Oesterreich. Andere Länder werden dem Rechtstrend folgen, bis nur noch Merkels Deutschland übrig bleibt. Diese wird dann ganz Europa als "Rechtspopulisten" bezeichnen ...
Ingo Kerp 02.06.18 13:13
Das dürfte die momentan spannendste Rgierungsbildung und Arbeit werden, die Europa derzeit zu bieten hat. Italiens Präsident Mattarella hatte den Euroskeptiker Savona als Wirtschaftsminister aus Gefahrengründen abgelehnt. Jetzt wird ausgerechnet Savona Minister für europ. Angelegenheiten. Das nennt man wohl den Bock zum Gärtner machen. Dann wünschen wir mal der 65. Nachkriegsregierung alles Gute.