Vertragsverletzungsverfahren gegen Türkei eingeleitet

Osman Kaval Prozess in Istanbul. Foto: epa/Erdem Sahin
Osman Kaval Prozess in Istanbul. Foto: epa/Erdem Sahin

STRAßBURG: Seit vier Jahren sitzt der türkische Kulturmäzen Osman Kavala im Gefängnis - ohne Gerichtsurteil. Die türkische Regierung bleibt in dem Fall stur, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte längst Kavalas Freilassung angeordnet hat. Das hat nun Folgen.

Der Europarat hat im Konflikt um den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala in einem historisch fast einmaligen Schritt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Das Ministerkomitee mit Vertretern der 47 Mitgliedstaaten stimmte am Donnerstag für das Verfahren, wie der Europarat am Freitag mitteilte. Seit Einführung 2010 wurde das Vertragsverletzungsverfahren erst einmal ausgelöst: gegen Aserbaidschan. Die Türkei warf dem Europarat nach der Entscheidung Voreingenommenheit vor.

Hintergrund des Verfahrens ist die fortgesetzte Weigerung Ankaras, Kavala aus der Haft zu entlassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte schon vor rund zwei Jahren dessen Freilassung angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Als Mitgliedsland des Europarats ist die Türkei verpflichtet, sich an Urteile des Gerichts zu halten.

Zuvor war mit einiger Spannung erwartet worden, ob sich die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Ministerkomitee finden würde, um das Verfahren auszulösen. Im Raum stand die Frage, ob es der Türkei gelingen würde, genügend Staaten zu mobilisieren, die dagegen stimmen würden. Beobachter befürchteten, der Europarat könne so seine Glaubwürdigkeit verlieren.

Die Straßburger Institution wacht über die Einhaltung der Menschenrechte und ist keine EU-Institution. Das Vertragsverletzungsverfahren ist mehrstufig und führt keineswegs zwangsläufig zu einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat.

Das Außenministerium in Ankara erklärte nach der Entscheidung: «Wir fordern den Europarat auf, weitere Schritte zu vermeiden, die eine Einmischung in die unabhängige Justiz bedeuten würde.» Man halte es für einen inkonsistenten Ansatz, Kavala weiterhin auf der Tagesordnung zu halten, während auch andere Staaten Urteile nicht umsetzten. Der Europarat agiere nicht auf Basis von legalen und gerechten Kriterien, sondern von politischen Erwägungen. «Wenn das Ministerkomitee des Europarats die Wirksamkeit des Menschenrechtssystems aufrechterhalten möchte, sollte es diesen voreingenommenen und selektiven Ansatz stoppen.»

Kavala ist seit vier Jahren inhaftiert, ohne je verurteilt worden zu sein. Dem 64-Jährigen werden in einem Prozess in Istanbul ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten sowie «politische und militärische Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan greift Kavala auch immer wieder persönlich an. Kavala selbst weist die Vorwürfe strikt zurück. Die Türkei ist seit 1950 Mitglied im Europarat und hat mehr als 3500 Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofes umgesetzt.

Mit der Auslösung des Verfahrens wird die Türkei nun zunächst formell über die neue Entwicklung benachrichtigt und soll bis zum 19. Januar Stellung beziehen. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit könnte dann das Ministerkomitee den Fall zur erneuten Prüfung an den EGMR weiterleiten. Sollte dieser die Nicht-Umsetzung des Kavala-Urteils feststellen, müsste dann der Ministerrat über weitere Schritte entscheiden - welche das wären, ist nicht festgeschrieben. In jedem Fall wäre der Weg zu einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat noch sehr weit.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe, der auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sitzt, begrüßte das Vertragsverletzungsverfahren. «Das ist die einzig folgerichtige Entscheidung», sagte er der dpa. «Der Europarat zeigt sich handlungsfähig. Wer die Gerichtsurteile nicht umsetzt, kann nicht Mitglied des Europarats sein.»

Im Konflikt mit dem Europarat steht die Türkei auch im Fall des seit fünf Jahren inhaftierten prokurdischen Oppositionspolitikers Selahattin Demirtas. Auch dessen Freilassung forderte das Ministerkomitee am Donnerstag zum wiederholten Male.

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Jomtien Franky 06.12.21 00:20
@wirth
...natürlich geht es hier um den im Artikel beschriebenen Europarat, wo die Türkei Mitglied ist, sonst könnte man ja nicht über Rausschmiss diskutieren, oder? Nur die Mehrheit im Europarat kommt doch wohl aus der EU, wieso bedarf es dann noch Klärung. Es ist doch wohl unstrittig, dass die EU (und ihre Organe) durch ihre eigenen Gesetze mit zB einstimmigen Urteilen handlungsfähig ist, weil man so ein Votum nie hinkriegt.
Und deswegen bleibt der kranke Mann am Bosporus auch im Europarat, egal was er sich alles so leistet....
Ole Bayern 06.12.21 00:02
Apropos EU - Weicheier .....
...... es geht hier bei dem Beitrag nicht um die Europäische Union ( EU ) , sondern um den Europarat ( Council of Europe (CoE).
Der CoE ist institutionell nicht mit der EU verbunden, auch wenn beide die Europaflagge und die Europahymne verwenden.
Die zentrale Zuständigkeit des Europarats ist der Schutz der Menschenrechte in Europa .
Uns dies ist , gerade in der heutigen Zeit wohl ein wichtiges Anliegen demokratischer Staaten , meine ich !.
Übrigens .... neben dem UK und Norwegen sind die Schweiz und Liechtenstein nun schon seit mehr als 50 Jahren Mitglieder des Europarates ( 47 Mitglieder ) .
Also auch Weicheier..... die Schweizer , oder ???
Dieser Passus ist mal nicht ganz so ernst zu nehmen , aber zeigt es mir zumindest , daß vor lauter EU und D - Opposition einiger Schweizer Foristen offensichtlich der Blick auf das Wesentliche schon verblendet ist .
Wenn Einige hier im Forum auch nur das Wort EU oder Europarat oder Straßburg / Brüssel lesen , geht schon der Gaul mit denen durch , und das Geschrei los.
Mann oh Mann , der Hass muß bei denen auf die EU und Europa tief sitzen , richtig ?

VG Ole
Norbert Kurt Leupi 04.12.21 15:00
EU, was ist das? / Herr Hardy Kromarek
Genau , werter Hardy ! Das Problem der EU ist , dass sie sich dauernd mit Fehlern der anderen herumschlagen muss , darum wird`s nie eine " Revolution " geben ,weil ein gemeinsames Formular fehlt ! " Umbau nicht möglich wegen Denkmalschutz " ?
Hardy Kromarek Thanathorn 04.12.21 13:50
EU was ist das?
haben Sie gesagt und alle haben nur gelacht! Ein unfähiger Haufen, der sich nur finanziell bereichert. Die Damen und Herren wo in Straßburg gelegentlich mal sitzen, kassieren Steuergelder als sogenannte Löhne fürs Nichtstun!!! Die Türkei lacht über das Urteil des EUGH. Welch eine Blamage für die Unfähigkeit der EU! Durch " Corona " ist die EU total überflüssig! Jeder Staat, macht sowieso was Er will im Endeffekt!
Alles nur Bla, Bla, Bla!!! Die Verdummung der Menschheit geht weiter!
Ingo Kerp 04.12.21 13:20
Alles was man bisher der Türkei vorwarf, wurde mit wachsweichen Reden begleitet, ohne Konsequenzen. Immer noch gibt es EU Politiker, die die Türkei in der EU sehen wollen. Erdowahn wurde mit Milliarden Euro hofiert, um die Migration zu stoppen, die er auslegte, wie er wollte. Er legte sich mit GR an und kaufte russische Luftabwrehr statt USA Waffen, wie man es von einem NATO Mitglied erwartet hätte. Der Herr Kavala dürfte jetzt das kleinste Problem sein, da er mit einer türk. Inflationsrate von mehr als 20% zu kämpfen hat. Unverständlich, wo er doch ständig die Zinsen senken läßt. Keiner versteht sein finanzpolitisches Genie.
Jomtien Franky 04.12.21 11:30
Papiertiger EU
Was für ein unendliches Geschwafel. Der Sultan vom Bosporus lacht sich doch schlapp über diese Maßnahmen! Wenn ich schon lese, dass ein Ausschluß der Türkei noch sehr weit ist, dann frage ich mich, warum die Abgeordneten sich da auch noch stolz hinstellen und sich selbst beweihräuchern...
Stellt denen doch mal ein vernünftiges Ultimatum, wenn bis dahin nichts passiert ist, dann gibt es eine Abstimmung über Euren Rausschmiss. Wäre doch klasse, wenn das Regelwerk sowas hergeben würde, damit der Kerl mal Druck verspürt. Und den Lukashenko können sie gleich mit abstrafen...