«Ein Sieg» - Opposition drängt in Moskau kremlnahe Politiker ins Aus

Foto: epa/Maxim Shipenkov
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MOSKAU (dpa) - Die Massenproteste und Polizeigewalt der vergangenen Wochen sind bei der Wahl des neuen Stadtrats in Moskau nicht folgenlos geblieben. Der Machtapparat von Kremlchef Putin muss herbe Verluste hinnehmen. Die Opposition feiert ihren Erfolg - aber wie geht es jetzt weiter?

«Wir haben gesiegt!» - «Ich gratuliere allen!» - schrieb der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny am Tag nach denrussischen Regionalwahlen. In seinem Blog listete der 43-Jährige auf, wo und wie genau sich sein Aufruf zur Protestwahl auswirkte. Weil Dutzende Oppositionspolitiker wegen angeblicher Formfehler gar nicht erst zugelassen waren zur Wahl, empfahl er eine «smarte Stimmabgabe». Ziel der in Oppositionskreisen umstrittenen Aktion war es, jeden zu wählen - nur eben niemanden von der Kremlpartei Geeintes Russland, der Machtbasis von Präsident Wladimir Putin.

Die Regierungspartei konnte zwar am Ende wie immer fast überall im Land ihre Mehrheit behaupten - vor allem bei den wichtigen Gouverneurswahlen setzten sich alle Kremlkandidaten durch. Es gab teils massive Manipulationsvorwürfe. Aber trotzdem musste die Partei mitunter unerwartete Verluste hinnehmen. In Moskau schaffte zum ersten Mal nach zehn Jahren die gemäßigte Oppositionspartei Jabloko den Einzug in den Stadtrat.

Vor allem hier in der Machtzentrale Russlands ging Nawalnys Wahlmanöver auf. Der Chef der Kremlpartei in der Hauptstadt, Andrej Metelski, verlor sein Mandat im Stadtrat. Metelski, ein Schwergewicht, räumte ein, dass ihm die Enthüllungen Nawalnys geschadet hätten. «Das ist eine bestimme Kampftaktik», sagte er. Der Anti-Korruptions-Kämpfer Nawalny hatte den Kreml-Freund mit Luxusimmobilien in Österreich in Verbindung gebracht. Metelski kündigte an, Nawalny zu verklagen.

Auch andere Mitglieder von Geeintes Russland sind raus. Die Kreml-Fraktion im Moskauer Stadtrat schrumpfte um 13 Mandate - rund ein Drittel der bisherigen 38. Die Opposition scheiterte zwar damit, die Macht der Kremlpartei im Stadtrat zu brechen. Doch immerhin kommen die letztlich von der Opposition unterstützten Kandidaten von den Kommunisten und anderen Parteien auf nunmehr 20 Sitze. Das ist fast die Hälfte der 45 Abgeordneten.

«Das gab es noch nie», teilte der ebenfalls als Kandidat ausgeschlossene Ilja Jaschin mit. Der Vertraute des 2015 in Kremlnähe erschossenen Putin-Kritikers Boris Nemzow hatte aus der Haft heraus dafür gekämpft, dass in «seinem Wahlkreis» nicht die Kandidatin der Kremlpartei gewinnt. Sie verlor. Er sah sich als Sieger.

«Unter den Bedingungen der Repression und des Polizei-Terrors haben die Moskauer gezeigt, dass sie sich damit nicht abfinden», sagte der ebenfalls ausgeschlossene Politiker Dmitri Gudkow. Sein Fazit nach der Abstimmung: Russland hat eine Zukunft. Trotzdem sei klar, dass der Kampf weiter gehen müsse, sich nichts von selbst ändern und Putin auch nicht einfach abtreten werde. «Wir sind erst am Anfang des Weges», betonte er.

Die Staatsmedien feierten zwar den Sieg von Geeintes Russland als ein Zeichen der Stabilität. Partei- und Regierungschef Dmitri Medwedew betonte, dass die als Machtbasis wichtige Partei ihren Führungsanspruch behauptet habe. Er klang erleichtert. Immerhin war die Nervosität auch im Kreml mit Blick auf Meinungsumfragen groß, dass die Wahl für die Partei auch ganz schlimm hätte ausgehen können.

Viele Russen sind unzufrieden mit der wirtschaftlichen Lage im Land, mit den hohen Preisen etwa für Lebensmittel, den niedrigen Löhnen. Seit Januar gilt auch eine höhere Mehrwertsteuer.

Kritische Medien brachten andere Töne. Der Ausschluss von Kandidaten und Konkurrenz bei Wahlen seien «noch lange kein Sieg», schrieb die Boulevardzeitung «Moskowski Komsomolez». Die Machthaber hätten nichts gelernt von früheren Wahlen, heißt es da. Die Opposition dürfte nun vor allem auch die Parlamentswahlen 2021 in den Blick nehmen.

Der Soziologe Denis Wolkow meinte angesichts des Wahlausgangs, dass sich die Proteststimmung im Land eher wieder legen dürfte. Doch hätten die Massendemonstrationen und die Polizeigewalt gegen friedliche Bürger, die faire und freie Wahlen forderten, ihre Spuren hinterlassen. Vor allem hätten sich junge Oppositionelle in Moskau - wie die Juristin Ljubow Sobol und Jaschin - als neue Politiker mit überregionalem Format hervorgetan, meinte der Experte des Meinungsforschungsinstituts Lewada.

«Noch vor zehn Jahren gab es nicht so ein dichtes, weit verzweigtes Netz von Gemeinschaften, angesehenen Personen, Internetportalen und Blogs», schrieb er in einer Analyse für die Zeitung «Wedomosti». Dabei sah sich die Opposition in Russland in der Vergangenheit immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, gespalten zu sein. Das Internet vereint. Allein der russische Oppositionsführer Nawalny hat bei Twitter Millionen Follower, in vielen Teilen Russlands.

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