Drohnenangriff in Beirut

​Was die Tötung des Hamas-Führers bedeutet

Mitglieder des Zivilschutzes inspizieren ein Fahrzeug, das in der Nähe des von einem Drohnenangriff getroffenen Gebäudes in einem südlichen Vorort von Beirut beschädigt wurde. Foto: epa/Stringer
Mitglieder des Zivilschutzes inspizieren ein Fahrzeug, das in der Nähe des von einem Drohnenangriff getroffenen Gebäudes in einem südlichen Vorort von Beirut beschädigt wurde. Foto: epa/Stringer

BEIRUT/TEL AVIV: Nach dem Massaker am 7. Oktober hatte Israel angekündigt, es werde die Führungsriege der Hamas gezielt ausschalten. Ist die Tötung des zweithöchsten Hamas-Anführers im Ausland der Beginn einer Kampagne?

Zersplitterte Fenster, verkohlte Autos, zerbombte Häuserfassaden: Im Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut zeigt sich noch am Mittwoch ein Bild der Zerstörung. Es sind die Reste eines gezielten Angriffs inmitten des dicht besiedelten Wohnviertels. Normalerweise werden hier Gemüse und Süßwaren verkauft. Am Dienstagabend aber wurde die Gegend, die als Hochburg der Schiitenmiliz Hisbollah gilt, zum Ziel eines Drohnenangriffs.

Der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, wurde getötet. Insgesamt kamen sieben Mitglieder der Hamas und Verbündeter ums Leben, die sich offenbar in einer Wohnung getroffen hatten. Anders als bei anderen Angriffen dieser Art gab es keine unbeteiligten Opfer.

Wer war Saleh al-Aruri?

Israel sah den Vize-Chef des Hamas-Politbüros seit Jahren als Hauptdrahtzieher von Anschlägen im Westjordanland. Er soll die Aktivitäten des militärischen Hamas-Arms vom Exil aus koordiniert haben. Deshalb stand der Hamas-Führer schon länger auf Israels «Abschussliste». Israel übernahm jedoch keine Verantwortung für seine Tötung.

Geboren wurde Al-Aruri am 19. August 1966 in einem Ort nahe Ramallah im Westjordanland. Schon als junger Mann war er am Aufbau des bewaffneten Hamas-Arms im Westjordanland beteiligt. Wegen seiner Aktivitäten verbrachte er viele Jahre in israelischer Haft, wo er auch fließend Hebräisch lernte. 2010 wurde er aus dem Gefängnis entlassen und als Teil einer Vereinbarung ins Exil geschickt. Er wohnte seitdem in Syrien, dann in der Türkei und zuletzt vor allem im Libanon.

Die USA hatten Al-Aruri 2015 als weltweit tätigen Terroristen eingestuft und ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt.

Al-Aruri hatte engere Verbindungen der Hamas mit der Hisbollah sowie dem Iran aufgebaut. Er genoss Privilegien als Gesprächspartner von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, der sich nur selten öffentlich zeigt.

Was ist der Hintergrund der gezielten Tötung?

Israel geht davon aus, dass Al-Aruri an der Planung des verheerenden Terroranschlags am 7. Oktober im israelischen Grenzgebiet beteiligt war. In Videoaufnahmen war auch zu sehen, wie Al-Aruri und andere führende Hamas-Mitglieder an dem Tag Fernsehbilder der Vorfälle verfolgten und dabei feierten und beteten.

Es ist der erste ranghohe Hamas-Führer, der seit dem 7. Oktober gezielt getötet worden ist. Israel hatte zu Beginn des Gaza-Kriegs angekündigt, es werde die militärische und politische Führungsriege der Organisation ausschalten.

Der Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, sagte am Mittwoch, Israel befinde sich auf dem Höhepunkt des Krieges. «Der Mossad ist heute - wie vor 50 Jahren - verpflichtet, die Rechnung mit den Mördern zu begleichen, die am 7. Oktober die Gaza-Grenzorte angriffen, auch mit den Planern und Drahtziehern», sagte Barnea. «Es wird Zeit brauchen, wie nach dem Blutbad in München, aber wir werden sie an jedem Ort zu fassen bekommen.»

Damit bezog Barnea sich auf Israels Vorgehen nach dem Olympia-Attentat von 1972 in München. Palästinensische Terroristen waren damals in die Unterkunft der israelischen Sportler im Olympischen Dorf eingedrungen. Sie erschossen zwei Männer und nahmen neun Geiseln, die später bei einem Blutbad auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck ums Leben kamen. Mit der Aktion hatten die Terroristen rund 200 Gefangene in Israel freipressen wollen. In den 20 Jahren danach hatte Israel in einer Kampagne zahlreiche militante Anführer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gezielt getötet.

Attentat trägt Gaza-Krieg ins Herz von Beirut

Die Tötung Al-Aruris hat den Gaza-Krieg nun bis in die libanesische Hauptstadt getragen. Bisher war bei gegenseitigem Beschuss nur der Süden des Landes involviert. Die gezielte Tötung des Hamas-Anführers auf libanesischem Boden könnte das ändern. Denn die vom Iran unterstützte Hisbollah hat prompt mit Vergeltung gedroht: «Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen», kündigte sie noch am Dienstagabend an.

Analysten betonen aber, dass es sich um einen Angriff auf einen Anführer der sunnitischen Hamas, nicht auf einen der schiitischen Hisbollah handelte. Weder die Hisbollah noch ihr größter Unterstützer, der Iran, seien bereit, sich größeren Vergeltungsmaßnahmen zu stellen, sagte der politische Analyst Makram Rabah der Deutschen Presse-Agentur. «Seit Beginn des Konflikts ist klar, dass der Iran kein Interesse an einer umfassenden Konfrontation hat», so Rabah. «Nicht weil er sich um den Libanon oder die Menschen in der Region schert, sondern weil eine solche Konfrontation keine politischen Gewinne erzielt.»

Nach Ansicht des Analysten Mohanad Hage Ali vom Carnegie Middle East Center ist die Hisbollah dennoch unter Zugzwang. «Angesichts der früheren roten Linien Nasrallahs und der Art des israelischen Angriffs wäre es für die Hisbollah schwierig, nicht zu reagieren.»

Was bedeutet Al-Aruris Tod für die Hamas?

Der palästinensische Journalist und Hamas-Kenner Mohammed Daraghmeh sieht die Tötung vor allem als Versuch Israels, im Kampf gegen die Hamas einen Erfolg zu erzielen. Bisher sei es der israelischen Armee nicht gelungen, die Hamas-Führung im Gazastreifen zu töten. «Außerdem hat Israel es nicht geschafft, die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen zu erlangen», sagt er. «Die Tötung von Al-Aruri wird den Verlauf des Gaza-Kriegs aber nicht verändern.» Sie sei eher «symbolisch». Innerhalb der Organisation sei Al-Aruri ersetzbar.

Für die Verhandlungen um eine Freilassung der israelischen Geiseln gilt die Tötung jedoch als klarer Rückschlag. Die Gespräche stockten zwar schon vorher. Nach dem Angriff in Beirut wurden sie jedoch vollends auf Eis gesetzt. Die Hamas will erst nach einem kompletten Waffenstillstand wieder Gespräche aufnehmen.

Die Auslandsführung der Hamas hält sich außer im Libanon vor allem in Katar und der Türkei auf. Ob Führungspersönlichkeiten wie der Hamas-Auslandschef Ismail Hanija nun als nächste zur Zielscheiben werden könnten, ist unklar. Katar, wo Hanija Unterschlupf gefunden hat, war entscheidend an vorherigen Verhandlungen über eine Freilassung der Geiseln beteiligt gewesen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Israel im Falle einer Verfolgung von Hamas-Mitgliedern in seinem Land scharf gedroht.

Wie geht es jetzt in der Region weiter?

US-Experten gehen davon aus, dass der Iran und seine sogenannte «Achse des Widerstands» die regionale Eskalation gegen Israel und die USA fortsetzen werden. «Der Iran und sein regionales Verbündetennetz haben in den vergangenen Monaten fast täglich US-Streitkräfte und internationale Schifffahrt im Nahen Osten angegriffen», hieß es einem Bericht des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW). Sie hätten diese Angriffe zwar als Reaktion auf Israels verheerende Angriffe im Gazastreifen und auf US-Unterstützung für Israel gerechtfertigt. Wahres Ziel sei jedoch, Teherans langjährige Absichten zu verwirklichen, nämlich «regionale Hegemonie zu erzielen und das US-Militär aus der Region zu verdrängen».

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