Drogenersatztherapie fehlen die Ärzte

«Keine Wunschklientel»

Eine Hand greift nach einem Becher mit 100 Milligramm Methadon. Foto: Frank Rumpenhorst/Dpa
Eine Hand greift nach einem Becher mit 100 Milligramm Methadon. Foto: Frank Rumpenhorst/Dpa

FRANKFURT/BERLIN (dpa) - Methadon unter ärztlicher Aufsicht statt illegaler Drogenkonsum - das kann für Süchtige die Rettung sein. Aber das Hilfesystem blutet aus.

Zehntausende Drogenkranke profitieren von einer Ersatztherapie mit Medikamenten. Aber immer weniger Mediziner sind bereit, diese Patienten zu betreuen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), appelliert jetzt an die Ärzteschaft: «Substituieren Sie, denn das kann Leben retten!»

«Substitutionstherapie» nennt man die Behandlung von Abhängigen, bei denen illegale Drogen durch Medikamente wie Methadon ersetzt («substituiert») werden. Ziel ist, von den Drogen loszukommen - und auf dem Weg dahin die gesundheitliche und soziale Situation des Patienten zu verbessern. Aber das gelingt immer seltener. «Es wird zunehmend schwerer, Ärzte für die Substitution zu finden», sagt Oliver Müller-Maar, Experte für Substitution im Frankfurter Drogenreferat.

Über die Gründe könne man nur spekulieren: In normalen Arztpraxen seien Drogenabhängige «wahrscheinlich nicht die Wunschpatienten», schätzt Müller-Maar. Und in den Spezialambulanzen «fehlen uns heute die "Überzeugungstäter" von früher». Eine der elf Frankfurter Spezialambulanzen hat bereits dicht gemacht, weitere könnten folgen, weil sie kein Personal finden, wenn ein Arzt pensioniert wird. «Die sind regelrecht verzweifelt», sagte Müller-Maar. Die Zahl der Patienten ist in der Stadt seit Jahren relativ konstant, sie pendelt zwischen 1.500 und 17.00.

Bundesweit sieht es nicht besser aus. Die Zahl der Patienten, die substituiert werden, ist in Deutschland seit rund zehn Jahren weitgehend konstant. Wie aus dem aktuellen Bericht zum Substitutionsregister der Bundesopiumstelle hervorgeht, nahmen 2018 bundesweit 79.400 Patienten an einer Drogenersatztherapie teil.

Ganz anders die Lage bei den Substitutionsärzten. Ihre Zahl sinkt dem Bericht zufolge seit Jahren: 2585 waren es bundesweit im Jahr 2018 - 150 Mediziner weniger als 2012. Viele dürften substituieren, tun das aber nicht: Laut Bundesopiumstelle betreuen 14 Prozent der substituierenden Ärzte die Hälfte aller Drogenpatienten.

In Hessen sind 216 Ärzte für diese Art der Therapie zugelassen. Sie betreuen laut Bundesopiumstelle 7616 Patienten. In Nordrhein-Westfalen gibt es mehr als 700 Mediziner, die substituieren, in Brandenburg nur 14.

Mancherorts müssten Patienten schon heute weite Wege zur Praxis oder Ambulanz fahren, heißt es in einem «Thesenpapier» der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin. In mehreren Regionen gebe es bereits «weiße Flecken in der Substitutionslandschaft». Nach Schätzung verschiedener Kassenärztlicher Vereinigungen «könnte Anfang der 2020er Jahre ein Drittel der jetzt Substituierten ohne ärztliche Behandlung dastehen».

Ende 2017 waren die Regeln für die Ersatztherapie geändert worden. Dank einer neuen Richtlinie dürfen Ärzte seither Ersatzstoffe für bis zu 30 Tage zur Einnahme zu Hause verschreiben. Zuvor war das nur für maximal sieben Tage möglich.

Mit der Reform habe die Bundesregierung «einen wichtigen Beitrag für eine funktionierende, flächendeckende Substitutionsversorgung im ganzen Land geleistet», sagte die Drogenbeauftragte Mortler der Deutschen Presse-Agentur - und schickte eine eindringliche Bitte hinterher: «Nun sind die Ärzte im ganzen Land gefragt! Vorurteile und Berührungsängste müssen überwunden werden. Drogenabhängigkeit ist kein moralisches Vergehen, es ist eine Krankheit. Daher mein Appell: Substituieren Sie, denn das kann Leben retten!»

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