Tony Blair wird 70

​Cool Britannia, Frieden in Nordirland, Irak-Krieg 

Der frühere Premierminister des Vereinigten Königreichs, Tony Blair. Foto: epa/Gian Ehrenzeller
Der frühere Premierminister des Vereinigten Königreichs, Tony Blair. Foto: epa/Gian Ehrenzeller

LONDON: Ein Jahrzehnt lang führt Tony Blair die Geschicke Großbritanniens. Mit einem ganz neuen Politikstil sorgt er für Aufbruchstimmung. Doch eine Lichtgestalt ist der Labour-Politiker längst nicht mehr.

Tony Blair hat nichts von seinem Charme eingebüßt. Als er einige Wochen vor seinem 70. Geburtstag zum Interview in den Räumen seiner Denkfabrik in London eintrifft, strahlt er noch immer dieses jugendhafte Charisma aus, das ihm 1997 einen überwältigenden Wahlsieg bescherte.

«Wie, Sie sind alle mit Krawatte gekommen?» Blair setzt sich mit aufgeknöpftem Kragen vor die Kameras und lächelt. Der Labour-Politiker, der mit vollem Namen Anthony Charles Lynton Blair heißt, wird am 6. Mai 1953 in Edinburgh geboren. Als Schotte gibt er sich in der Öffentlichkeit jedoch nie. Er besucht das Elite-Internat Fettes College und studiert später in Oxford Jura. Im Studium lernt er seine spätere Frau Cherie kennen, mit der er vier Kinder hat.

Karriere machte Blair vor allem in der Labour-Partei. Seit 1983 sitzt er für die britische Arbeiterpartei im House of Commons. Gut zehn Jahre später gelingt ihm der Sprung an die Parteispitze. Steter Begleiter und innerparteilicher Rivale ist Gordon Brown, der später als Finanzminister unter Blair dient, bevor er zu seinem Nachfolger wird. Ein weiterer enger Weggefährte ist der PR-Berater Alastair Campbell, dem er für einen Mitarbeiter ohne Mandat nie dagewesene Befugnisse einräumt. «Spin-Doctor» Campbell schafft es sogar die konservative Boulevardzeitung «The Sun» auf Blairs Seite zu ziehen.

Gemeinsam führen sie die Partei von der linken Seite des Spektrums in die Mitte. New Labour ist das Schlagwort für einen neuen Politikstil, der wirtschaftsliberale Ideen und hartes Vorgehen gegen Kriminalität verbindet - mit massiven staatlichen Investitionen in das Bildungs- und Gesundheitssystem.

Blair fährt bei der Wahl 1997 einen überwältigenden Sieg ein. Es soll der erste von drei Wahlsiegen sein, die Labour unter seiner Führung erringt. Zehn Jahre lang lenkt er die Geschicke Großbritanniens, so lange wie kein anderer Labour-Premier. Die Ära Blair ist eine, in der das Vereinigte Königreich unter dem Motto Cool Britannia ein neues Selbstbewusstsein findet, nachdem es in den 70er- und 80er-Jahren als kranker Mann Europas galt. Es ist die Zeit der Spice Girls und der Brit-Pop-Gruppen Oasis und Blur.

Mit dem Modell der Devolution schafft Blair regionale Selbstverwaltungen für die Landesteile Schottland, Wales und Nordirland. Der hochgradig zentralisierte britische Staat soll mehr Kompetenzen an die Peripherie abgeben. In Edinburgh, Cardiff und Belfast werden Regionalparlamente gewählt.

Mit dem Friedensschluss für die Bürgerkriegsprovinz Nordirland im Karfreitagsabkommen von 1998 gelingt Blair ein historischer Erfolg, den er als sein größtes Vermächtnis sieht. «Das ist die eine unumstrittene Sache», sagt er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur und den europäischen Nachrichtenagenturen AFP, EFE und ANSA auf die Frage, auf was er am meisten stolz ist.

Das Karfreitagsabkommen beendet den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen meist katholischen Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands auf der einen Seite sowie überwiegend protestantischen Anhängern der Union mit Großbritannien, Polizei und britischer Armee auf der anderen Seite. Etwa 3700 Menschen hatten dabei ihr Leben verloren. Ungefähr 47.500 wurden verletzt. Blair spielt eine tragende Rolle bei der Vermittlung des Friedensschlusses.

Doch der EU-Austritt Großbritanniens droht sein Vermächtnis zu zerstören: Das Problem ist, dass mit dem Brexit die eigentlich bereits unsichtbar gewordene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland zur EU-Außengrenze wird. Kontrollposten zwischen Nordirland und Irland, da sind sich aber alle Seiten einig, wären zum Ziel neuer Anschläge geworden. Diese Aussicht habe «alles aufs Spiel gesetzt», sagt Blair im dpa-Interview. Inzwischen ist er hoffnungsvoller.

Alles andere als unumstritten ist Blairs Rolle in der Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. An der Seite Washingtons zieht er in den «Krieg gegen den Terror». Zeitweise wird er als George W. Bushs Pudel verspottet. Dem US-Präsidenten gelobt er bedingungslose Treue. Doch der Irak-Krieg 2003, den die Anti-Terror-Koalition unter US-Führung ohne den Segen des UN-Sicherheitsrats führt, gerät zum Desaster.

Als ihm die sogenannte Chilcot-Untersuchung im Jahr 2016 zahlreiche Fehler im Vorfeld des Kriegs bescheinigt, akzeptiert Blair das Ergebnis. Er bedauert die vielen Opfer. Als Irrtum will er seine Entscheidung für den Krieg aber bis heute nicht betrachten, obwohl die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Regimes von Iraks früherem Machthaber Saddam Hussein, die als Kriegsgrund galten, nie gefunden wurden.

Viele Briten nehmen es ihm bis heute übel. Sie werfen ihm vor, die Leben der 179 im Irak gefallenen britischen Soldaten und die Zehntausender Iraker umsonst geopfert zu haben. Nur knapp ein Viertel der Menschen im Vereinigten Königreich sieht Blair jüngsten Umfragen zufolge in einem positiven Licht.

Als er 2022 von der inzwischen gestorbenen Queen Elizabeth II. in den höchsten Ritterorden des Landes Order of the Garter aufgenommen wird, versammeln sich vor Schloss Windsor Demonstranten, die Sir Tony vorwerfen, ein Kriegsverbrecher zu sein. Der Charme ist noch da, aber er hat für viele Menschen seine Wirkung verloren.

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