Der Kampf ums Wahlrecht und eine uralte Senatsregel

Biden hat genug 

Staatspräsident Joe Biden spricht über das Wahlrecht in Atlanta, Georgia. Foto: epa/Erik S. Lesser
Staatspräsident Joe Biden spricht über das Wahlrecht in Atlanta, Georgia. Foto: epa/Erik S. Lesser

WASHINGTON: Es gilt als die «nukleare Option». US-Präsident Biden will eine Änderung der Mehrheitsregeln im Senat unterstützen. Damit soll eine von den Republikanern blockierte Reform des Wahlrechts durchgesetzt werden. Der Plan ist riskant.

Im Streit ums Wahlrecht in den USA hat Präsident Joe Biden der republikanischen Minderheit im Senat mit einer Änderung der Abstimmungsregeln in der Kongresskammer gedroht. Falls die Republikaner dort eine Reform des Wahlrechts weiter blockierten, unterstütze er eine Änderung der Regeln im Senat, sagte Biden am Dienstag (Ortszeit) in Atlanta. Der härtere Ton ist Ausdruck von zunehmender Ungeduld und Frust im Weißen Haus. Aus der Opposition kam massive Kritik.

Konkret geht es um eine mehr als 100 Jahre alte Regelung, wonach bei vielen Gesetzesvorhaben 60 der 100 Senatoren einem Ende der Debatte zustimmen müssen, damit es überhaupt zu einem Votum kommen kann. Angesichts der hauchdünnen Mehrheit der Demokraten im Senat bleiben viele Vorhaben so auf der Strecke - auch die für sie politisch extrem wichtigen Änderungen im allgemeinen Wahlrecht.

Biden mahnte, die Senatsregeln müssten bei Bedarf so geändert werden, dass es der Mehrheit möglich sei, für den Schutz der Demokratie zu stimmen. «Ich unterstütze eine Änderung der Senatsregeln - auf welche Weise auch immer nötig - um eine Minderheit der Senatoren daran zu hindern, eine Reform des Wahlrechts zu blockieren.» Die Regel werde als politische Waffe «missbraucht». Bislang hatte Biden, der selbst 36 Jahre lang im Senat saß, immer nur gesagt, dass er Bemühungen unterstütze, die Prozedur namens «Filibuster» zu erschweren.

Biden setzte in seiner Rede ungewöhnliche Töne. Er sagte etwa, das Land habe die Wahl zwischen Demokratie und Autokratie. Mit Blick auf Wahlrechtsänderungen in einzelnen Bundesstaaten mahnte er, dergleichen sei sonst nur in «totalitären Staaten» zu beobachten. Er werde Wahlrecht und Demokratie gegen alle Feinde verteidigen - egal ob aus dem Aus- oder Inland.

Der oberste Republikaner im Senat, Mitch McConnell, reagierte empört. Er sprach am Mittwoch von einer «Tirade» des Präsidenten, die «unzusammenhängend, unkorrekt und seines Amtes nicht angemessen» gewesen sei. «Die Welt hat mitangesehen, wie unser Oberbefehlshaber Propaganda gegen sein eigenes Land betrieben hat.» Biden habe rationale Überzeugung zugunsten «reiner Demagogie» aufgegeben. Sein Auftritt sei das beste Argument dafür, die Senatsregeln zu erhalten.

In Repräsentantenhaus und Senat genügt zur Verabschiedung von Gesetzen in der Regel eine einfache Mehrheit. Im Senat kommt aber eine Besonderheit hinzu: Die «Filibuster»-Regel - traditionell eine Regel, um Vorhaben mit einem Redemarathon aufzuhalten - erfordert 60 Stimmen, um eine Debatte zu beenden und eine Abstimmung anzusetzen. Sie zielt darauf ab, dass bei knappen Mehrheiten die dominierende Partei einen Kompromiss suchen soll. In der Realität ermöglicht sie allerdings der Minderheit eine Blockade.

Eine mögliche Abschaffung wird in Washington etwas dramatisch als «nukleare Option» bezeichnet. Für verfahrenstechnische Änderungen reicht im Senat die einfache Mehrheit. Das heißt: Bidens Demokraten könnten dies aus eigener Kraft angehen - aber nur geschlossen. Die Demokraten kontrollieren im Senat 50 Sitze - also exakt die Hälfte. Bei einem Patt entscheidet Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris, die von Amts wegen auch Präsidentin des Senats ist.

Mindestens zwei Demokraten lehnen eine Abschaffung des «Filibusters» bislang jedoch ab. Bislang schreckten viele Demokraten grundsätzlich davor zurück, Hand an die «Filibuster»-Regelung zu legen - auch, weil sie wissen, dass sie irgendwann wieder in der Minderheit sein werden. Im November steht etwa ein Drittel der Senatssitze zur Neuwahl an. Nach Umfragen könnten die Demokraten ihre Mehrheit verlieren.

Andererseits geht es beim Wahlrecht ums Ganze: In den USA ist es extrem umkämpft. Viele republikanisch regierte Staaten wie Georgia, Texas und Arizona haben zuletzt Regeln beschlossen, die das Abstimmen nach Ansicht von Kritikern erschweren. Wenn die Hürden fürs Wählen höher sind, bleiben häufig vor allem Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten zu Hause - und diese Bevölkerungsgruppen stimmen oft eher für Demokraten. Die Demokraten werfen den Republikanern daher vor, den Wahlausgang zu ihren Gunsten beeinflussen zu wollen. Diese argumentieren, ihnen gehe es nur darum, Wahlbetrug zu erschweren.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Ingo Kerp 13.01.22 13:10
Wer die amerik. Politik, insbesondere was das Geplänkel um Wahlen anbelangt verfolgt, weiß sich immer gut unterhalten. Die beiden großen US Parteien sorgen auch zukünftig für viel Unterhaltung, so man kein US Bürger ist.