Holocaustmuseum am Ort des Schreckens

​Amsterdam 

Während einer Pressevorführung des neuen Nationalen Holocaustmuseums sehen sich Menschen historische Aufnahmen von Zügen an, die Juden in Konzentrationslager der Nazis transportieren. Foto: Peter Dejong/Ap/dpa
Während einer Pressevorführung des neuen Nationalen Holocaustmuseums sehen sich Menschen historische Aufnahmen von Zügen an, die Juden in Konzentrationslager der Nazis transportieren. Foto: Peter Dejong/Ap/dpa

AMSTERDAM: Etwa Dreiviertel der niederländischen Juden waren von den deutschen Nationalsozialisten ermordet worden. Erst jetzt - fast 80 Jahre später - wird das Nationale Holocaustmuseum eröffnet.

«Bis heute Abend und schön lieb sein» - das waren die letzten Worte, die Salo Muller von seiner Mutter hörte. Es war 1942 in Amsterdam. Die Familie war von deutschen Soldaten aufgegriffen und zum «Holländischen Theater» gebracht worden. Von hier aus wurde ein großer Teil der niederländischen Juden in Konzentrationslager deportiert. Der sechs Jahre alte Salo wurde auf die andere Straßenseite in eine Kinderkrippe gebracht und wurde gerettet.

An diesem historisch so schwer belasteten Ort befindet sich nun das Nationale Holocaustmuseum der Niederlande. Am Sonntag wird es von König Willem-Alexander eröffnet - im Beisein des israelischen Präsidenten Izchak Herzog, des österreichischen Staatspräsidenten Alexander van der Bellen und der deutschen Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig.

Etwa 102.000 niederländische Juden wurden von den deutschen Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges ermordet, etwa Dreiviertel der jüdischen Bevölkerung - so viel im Verhältnis wie aus keinem anderen europäischen Land. Fast 80 Jahre später wird diese Geschichte nun in diesem Museum erzählt.

Museumsdirektor Emile Schrijver bedauert es, dass es so lange gedauert hat. «Nach dem Krieg stand vor allem der Widerstand der Niederländer im Vordergrund.» Außerdem war die Erinnerung für die jüdische Gemeinschaft schmerzhaft. «Doch die Geschichte muss sichtbar bleiben», sagt der Direktor. «Auch wegen des heutigen wieder aufkommenden Antisemitismus.»

Das Museum erzählt diese Geschichte an diesem Ort, an dem sich ein Teil des Holocausts abgespielt hat. Das ist außergewöhnlich. Salo Muller, früher Physiotherapeut beim Rekordfußballmeister Ajax Amsterdam, ist heute 88 Jahre alt. Er erinnert sich noch gut an den Tag, als er 1942 von seinen Eltern getrennt und in die Krippe gebracht wurde. «Ich habe vier Tage lang geschrien und geheult.» Dann wurde er aus der Krippe durch die benachbarte pädagogische Hochschule geschmuggelt und in Sicherheit gebracht. Etwa 600 Kinder wurden auf diese Weise gerettet. Salos Eltern aber wurden nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Das Museum besteht aus der ehemaligen Hochschule und einem neuen Gebäude an der Stelle der früheren Kinderkrippe sowie dem ehemaligen «Holländischen Theater». Die Architekten vom Büro Office Winhov gestalteten die Gebäude bewusst hell und offen. «Die Judenverfolgung hat schließlich auch am helllichten Tag stattgefunden», sagt Direktor Schrijver.

Mit mehr als 400 Objekten, Fotos, Filmen sowie Installationen erzählt das Museum die Geschichte der systematischen Verfolgung, die sich vor den Augen der Bürger vollzog. Ein Raum ist von oben bis unten tapeziert mit den Rassengesetzen und Verordnungen über den Ausschluss der Juden. In einer Vitrine stehen die Schuhkartons mit den Karteikarten mit Namen und Adressen aller registrierten 160.000 Juden im Land. «Übereifrige Beamte konnten so mit diesem System den Nazis die gewünschten Informationen geben, um die Juden zu deportieren», sagt der Direktor.

Es war die «systematische Entmenschlichung», sagt Schrijver. Demgegenüber stellt das Museum persönliche Objekte einzelner Menschen. Eine Puderdose, ein Kinderkleidchen, der Pinsel-Halter eines Malers. «Wir geben den Opfern die Menschlichkeit zurück.»

Der Schrecken des Massenmordes wird fühlbar beim Blick auf zehn Knöpfe - jeder ist anders. Sie wurden im Vernichtungslager Sobibor gefunden, wo schätzungsweise 34.000 niederländische Juden ermordet worden waren. Der Knopf steht als Symbol für eines der letzten Dinge, das die Menschen berührt hatten, als sie sich unter Zwang ausziehen mussten und dann zur Gaskammer getrieben wurden.

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