Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Donnerstag

Foto: epa/dpa Fotomontage
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Selenskyj erwartet russische Offensive im Frühsommer - Bitte um Hilfe

KIEW: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet eine Offensive der russischen Armee im Frühsommer und bittet deswegen den Westen, dabei vor allem die USA, erneut um dringende militärische Hilfe. «Wir brauchen Hilfe jetzt», sagte er in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview des US-Senders CBS. Das ukrainische Militär habe zwar in diesem Winter dem Druck der Angreifer standgehalten, sei aber am Ende seiner Möglichkeiten angelangt.

Er vermutete, dass Russland Ende Mai oder im Juni eine neue Offensive starten werde. Und davor gelte es, sich vorzubereiten. Am dringendsten benötige die Ukraine amerikanische Patriot-Flugabwehrsysteme und weitere Artillerie.

Selenskyj warnte vor möglichen Expansionsplänen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. «Aktuell sind wir dran. Dann kommen Kasachstan, die baltischen Staaten, Polen und Deutschland», warnte er. Putins Raketen könnten jedes Land jederzeit erreichen. «Diese Aggression und Putins Armee können Europa erreichen, und dann müssen US-Bürger und US-Soldaten Europa verteidigen, da sie Nato-Mitglieder sind.»

Er beklagte das Ausbleiben weiterer amerikanischer Hilfe in Milliardenhöhe, die seit Monaten im US-Repräsentantenhaus von den Republikanern blockiert wird. «Seien wir doch ehrlich: Das Geld, das vom Kongress und der US-Regierung zugeteilt wird, bleibt zu 80 oder zumindest 75 Prozent in den USA.» Zwar erhalte die Ukraine die Waffen und Munition, doch der Kaufpreis dafür bleibe in den USA. «Ja, es ist eine gewaltige Unterstützung, und wir brauchen sie», unterstrich der ukrainische Präsident.


Ukrainische Wirtschaft wächst 2023 trotz Kriegs um über fünf Prozent

KIEW: Der russische Krieg gegen die Ukraine läuft bereits seit mehr als zwei Jahren. Nach einem Einbruch im Vorjahr hat sich die Wirtschaft im Land wieder etwas erholt.

Nach einem Einbruch im Vorjahr ist die ukrainische Wirtschaft 2023 auf niedrigem Niveau wieder gewachsen - trotz des russischen Krieges gegen das Land. Das Wirtschaftswachstum habe nach vorläufigen Angaben preisbereinigt 5,3 Prozent betragen, teilte das Statistikamt in Kiew am Donnerstag mit. Die Wirtschaftsleistung habe sich dabei zu aktuellen Preisen umgerechnet auf etwas über 154 Milliarden Euro belaufen. Das entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Sachsen.

Nach dem russischen Einmarsch im Februar 2022 war die ukrainische Wirtschaft um etwa 29 Prozent eingebrochen. Bereits vor dem Krieg war die Ukraine den Statistiken des Internationalen Währungsfonds nach beim Pro-Kopf-Einkommen das ärmste Land Europas.


Russische Raketen beschädigten zwei ukrainische Wärmekraftwerke stark

BURSCHTYN/LADYSCHYN: Das Ausmaß der Schäden durch einen russischen Raketenangriff in der vergangenen Woche wird nur allmählich klar. Zwei Wärmekraftwerke in der Westukraine sind dabei besonders stark betroffen.

Die russischen Raketenangriffe vor knapp einer Woche haben zwei Wärmekraftwerke in der Westukraine stark beschädigt. «Die Kraftwerksblöcke sind unterschiedlich stark zerstört: von komplett bis über 50 Prozent», sagte der Geschäftsführer des Energieunternehmens DTEK, Dmytro Sacharuk, wie ukrainische Medien am Donnerstag berichteten. Dabei handele es sich um die Wärmekraftwerke Burschtyn im Gebiet Iwano-Frankiwsk und Ladyschyn im Gebiet Winnyzja. Zusammengenommen hatten diese eine Stromerzeugungskapazität von 4200 Megawatt.

Die Reparatur werde Monate in Anspruch nehmen und sei ohne internationale Hilfe nur schwer möglich. «Vielleicht können ein oder zwei Blöcke früher in Betrieb gehen, doch insgesamt werden 6, 12, 24 oder mehr Monate notwendig sein», unterstrich der Manager. Allein für große Ausrüstungen werden nach ersten Schätzungen umgerechnet mehr als 185 Millionen Euro benötigt. Den russischen Raketenangriff vom vergangenen Freitag bezeichnete er als schwersten seit Kriegsbeginn. Im ostukrainischen Gebiet Donezk ist zudem nach schweren russischen Bombardements das Wärmekraftwerk Kurachowe außer Betrieb gesetzt worden.

Die Ukraine wehrt seit über zwei Jahren eine russische Invasion ab. Das russische Militär greift dabei immer wieder die ukrainische Energieversorgung mit Raketen und Drohnen an. Dem Stromnetzbetreiber Ukrenerho zufolge sind im Gebiet Charkiw derzeit planmäßige Stromabschaltungen notwendig. Gefährdet ist die Stromversorgung auch in den Gebieten Odessa und Chmelnyzkyj. Die Ukraine importiert derzeit Strom aus fünf westlichen Nachbarländern.


US-Regierung: Wir haben Russland vor Terroranschlag gewarnt

WASHINGTON: Bei einem Anschlag der Terrormiliz IS bei Moskau sind vor knapp einer Woche mehr als 130 Menschen getötet worden. Die US-Regierung wirft Russland vor, Warnungen davor nicht ernst genommen zu haben

Die US-Regierung hat Russland nach eigenen Angaben rund zwei Wochen vor dem Terrorangriff bei Moskau mit mehr als 140 Toten vor einem möglichen Anschlag gewarnt. Washington habe den russischen Geheimdiensten «klare und detaillierte Informationen über die terroristische Bedrohung bei großen Versammlungen und Konzerten in Moskau zur Verfügung gestellt», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstag. Dies sei bereits am Anfang März schriftlich über die «üblichen Verfahren und über die etablierten Kanäle» geschehen. «Die Vereinigten Staaten haben versucht, diesen Terroranschlag zu verhindern.»

Die US-Botschaft in Moskau hatte damals außerdem öffentlich mitgeteilt, sie verfolge Berichte, wonach Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau anzugreifen, darunter auch Konzerte. Die US-Regierung wies erneut russische Behauptungen, wonach die Ukraine in die Terrorattacke verwickelt sei, vehement zurück. Es handle sich dabei um «Unsinn» und «Propaganda», sagte Kirby. Stattdessen sei völlig klar, dass die Terrormiliz Islamischer Staat allein für den Terroranschlag verantwortlich gewesen sei.

Bei dem Anschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau waren vor knapp einer Woche mehr als 140 Menschen getötet worden. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Tat für sich. Dagegen sprach unter anderem etwa Kremlchef Putin von einer «ukrainischen Spur», ohne jedoch Beweise vorzulegen. Kiew wies jede Beteiligung an der Tat zurück.


Durchsuchungen in Polen wegen russischem Netzwerk

WARSCHAU: In Polen hat es im Zusammenhang mit der Enttarnung eines prorussischen Netzwerks in Europa Durchsuchungen gegeben. Bei der Aktion in Warschau und der schlesischen Stadt Tychy am Mittwoch seien 48.500 Euro und 36.000 Dollar sichergestellt worden, teilte der Inlandsgeheimdienst ABW am Donnerstag mit.

Die Aktion sei das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit zwischen dem ABW und einer Reihe von europäischen Geheimdiensten, die insbesondere mit Tschechien koordiniert worden sei, hieß es weiter. Dabei gehe es um Aktivitäten zur Organisation von prorussischen Initiativen und Medienkampagnen in EU-Ländern. Zweck dieser Kampagne war es demnach, die außenpolitischen Ziele des Kremls umzusetzen. Dazu gehöre die Schwächung der Position Polens in der internationalen Arena und die Diskreditierung der Ukraine sowie der Einrichtungen der EU.

Nach Angaben des ABW stehen die Aktionen auch im Zusammenhang mit einer Anklage gegen einen polnischen Bürger vom 19. Januar, der verdächtigt wird, für den russischen Geheimdienst spioniert zu haben. Der Mann soll sich unter polnischen und europäischen Parlamentariern positioniert und im Auftrag sowie mit finanzieller Unterstützung des russischen Geheimdienstes Aufgaben wahrgenommen haben, die Propaganda, Desinformation und politische Provokationen umfassten. Ihr Ziel war es, russische Einflusssphären in Europa aufzubauen.

Am Mittwoch hatte die tschechische Regierung die Betreiber der Internetseite «Voice of Europe» auf ihre gegen Russland gerichtete nationale Sanktionsliste gesetzt. Die Internetseite sei Teil einer russischen Einflussoperation, deren Ziel es sei, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Freiheit der Ukraine infrage zu stellen.


Briten: Russland treibt Angleichung besetzter Gebiete in Ukraine voran

LONDON: Russland treibt nach britischer Einschätzung die Angleichung der besetzten Gebiete in der Ukraine voran. Russische Behörden leiteten weiterhin entsprechende Initiativen ein, teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) mit. Die Briten erwähnten die Einrichtung eines neuen Verwaltungslehrgangs und frühere Aussagen des russischen Justizministers, in den besetzten Gebieten seien mehr als 50 Strafvollzugsanstalten eingerichtet worden.

Die Russische Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst wolle einen neuen Masterabschluss zur Staats- und Kommunalverwaltung einführen, schrieben die Briten. Einem Universitätsvertreter zufolge soll das Absolventen ermöglichen, auf allen Ebenen der Verwaltung zu arbeiten, auch in Donezk und Luhansk sowie den Regionen Cherson und Saporischschja. Wahrscheinlich solle das dabei helfen, einen Mangel an «willigem und ausgebildetem Personal» für russische Regierungsposten in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine zu überwinden, teilte das britische Ministerium mit.

«Das ist ein weiterer Beleg für Russifizierungsmaßnahmen, um die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen in den vorübergehend besetzten Gebieten in der Ukraine an die Russische Föderation anzupassen», schrieb London. Ähnliche Maßnahmen seien die Ausweitung des russischen Justizsystems, die Einführung russischer Lehrpläne, die Ausgabe russischer Pässe und der Aufbau russischer Telekommunikationsinfrastruktur gewesen.

Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als zwei Jahren gegen einen Angriffskrieg Russlands. Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seitdem regelmäßig Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London Desinformation vor.


Neue russische Angriffe in der Ostukraine

KIEW: Russische Truppen haben am Donnerstag den Druck auf die Verteidiger der Ostukraine erhöht. Dabei standen die Gebiete rund um Awdijiwka und Bachmut im Mittelpunkt schwerer Kämpfe, teilte der Generalstab in Kiew in seinem täglichen Lagebericht mit. Insgesamt seien dort elf Vorstöße russischer Soldaten gegen vier Ortschaften gemeldet worden.

Entlang der gesamten Frontlinien vom Süden bis zu den östlichen Teilen der Ukraine seien insgesamt 48 Gefechte aufgeflammt. Bei Charkiw habe es russische Luft- und Artillerieangriffe gegeben. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.

Die Ukraine wehrt seit über zwei Jahren eine russische Invasion ab.

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