Tillich schmeißt nach Wahlschlappe hin

Foto: epa/Arno Burgi
Foto: epa/Arno Burgi

DRESDEN (dpa) - Sachsens Ministerpräsident und CDU-Chef Stanislaw Tillich schmeißt hin: Dreieinhalb Wochen nach der schweren Niederlage der sächsischen CDU bei der Bundestagswahl kündigte der 58-Jährige am Mittwoch überraschend an, im Dezember beide Ämter aufzugeben. Als Nachfolger für beide Positionen schlägt er den langjährigen sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer (42) vor.

Bei der Bundestagswahl am 24. September war die AfD mit 27,0 Prozent in Sachsen stärkste politische Kraft geworden. Sie hatte dabei auch die seit der Wiedervereinigung 1990 regierende CDU knapp überholt. Die AfD fuhr damit in Sachsen ihr bundesweit bestes Landesergebnis ein. Der Freistaat gilt als Hochburg der Rechtspopulisten, in der Landeshauptstadt Dresden hat sich auch die islam- und fremdenfeindliche Pegida-Bewegung gegründet.

Tillich sagte, für eine gute Zukunft Sachsens seien auch neue Antworten wichtig. «Es braucht den Mut, gewohnte Bahnen zu verlassen.» Deshalb habe er sich entschlossen, die Verantwortung in jüngere Hände zu übergeben. Beim Parteitag im Dezember will er auch nicht mehr für das Amt des CDU-Landesvorsitzenden kandidieren. Sein Landtagsmandat aber will er behalten.

Tillich war neun Jahre Regierungschef in Sachsen, seit 2014 regiert die CDU in einer großen Koalition mit der SPD. Sein Wunschnachfolger Kretschmer hatte bei der Bundestagswahl sein Direktmandat in Görlitz an den Malermeister Tino Chrupalla von der AfD verloren; nach 15 Jahren im Parlament sitzt er künftig nicht mehr im Bundestag.

Tillich betonte: «Das Präsidium der sächsischen Union hat sich einstimmig und mit großer Unterstützung hinter meinen Vorschlag gestellt.» Kretschmer sei «Sachse mit Herz und Verstand, der jung und doch erfahren ist». Tillich äußerte die Erwartung, dass nicht nur die CDU-Fraktion, sondern auch der Koalitionspartner SPD Kretschmer zum neuen Regierungschef wählt.

Sachsens Vizeministerpräsident und SPD-Chef Martin Dulig bezeichnete den angekündigten Rücktritt Tillichs als folgerichtig. «Wenn Stanislaw Tillich nach der Bundestagswahl feststellt, dass es ein Weiter-so nicht geben kann, dann ist sein Schritt jetzt konsequent», sagte er während einer Reise in den Niederlanden. Die Frage sei nun, welche Konsequenz der personelle Wechsel an der Spitze der CDU für die inhaltliche Ausrichtung der Partei und damit für die Regierungsarbeit und die Koalition habe. «Das ist eine Frage, die die CDU und ihr Kandidat für den Ministerpräsidentenposten jetzt auch beantworten müssen.»

Die Bundes-CDU würdigte den Einsatz Tillichs für die Partei und dessen Heimatland. Tillich habe sich «in den verschiedensten Funktionen um den Freistaat verdient gemacht und war immer ein starker Vertreter der Interessen seiner Heimat in der Bundespartei», erklärte CDU-Generalsekretär Peter Tauber.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bezeichnete Tilichs Schritt als bedauerlich und sprach davon, einen Mitstreiter zu verlieren. «Ich war absolut überrascht», sagte der CSU-Chef am Mittwochabend in Berlin. «Wir haben gut zusammengearbeitet». Er hob Industriepolitik, Finanzen und das Bildungssysten hervor, bei denen Sachsen «absolut auf Augenhöhe» mit Bayern gewesen sei.

Die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry glaubt, dass die Chancen für ihre «Blaue Partei» durch den geplanten Wechsel an der Spitze der sächsischen Landesregierung steigen. «Ein extrem schwacher Ministerpräsident versucht gerade, einen schwachen Wahlkreisverlierer als Nachfolger zu inthronisieren. Damit tut er der CDU, vor allem aber Sachsen, keinen Gefallen», sagte Petry, die auch im Landtag sitzt, der Deutschen Presse-Agentur. Die «Lücke für eine wahrhaft konservative Kraft» werde durch diesen Schritt größer.

Sachsens CDU wurde von Tillichs Entscheidung völlig überrascht. «Wir waren natürlich alle erstmal geschockt und sprachlos», erklärte CDU-Fraktionschef Frank Kupfer. Tillich habe aber Größe gezeigt und Verantwortung übernommen, für das Ergebnis der CDU in Sachsen.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der seinen Wahlkreis im sächsischen Meißen hat, zollte Tillich Respekt. Aus seiner Sicht wäre der Schritt nicht nötig gewesen. «Es hätte auch einen Weg gegeben mit einer großen Kabinettsumbildung unter seiner Führung, einen neuen Anfang zu machen. Er hat anders entschieden. Diese Entscheidung verdient allergrößten Respekt.»

Seit Tagen war im Freistaat über eine größere Regierungsumbildung spekuliert worden. Ende September war bereits Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) zurückgetreten. Sie hatte private Gründe angegeben.

Nach der Wahl hatte Tillich eine schärfere Asyl- und Einwanderungspolitik gefordert und von seiner Partei verlangt, die Lücke nach rechts zu schließen. Die sächsischen Landräte hatten von ihm darüber hinaus weitere Konsequenzen gefordert.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Hermann Auer 19.10.17 21:07
@Jürgen Franke
Zitat: "... wird man auch noch Gelder haben, um die Rentenkasse zu füllen." Der Staat müsste da nicht einmal extra Gelder aufbringen, "um die Rentenkasse zu füllen", wenn er sich dazu durchringen könnte, die versicherungsfremden Leistungen, die z.Zt. aus der Rentenkasse entnommen werden, aus Steuermitteln zu bestreiten (damit es nicht nur die Versicherten der gesetzlichen Rente trifft, sondern das ganze Volk gleichermaßen).
Jürgen Franke 19.10.17 15:11
Diese Notiz als Hinweis, das Politiker für ihr
Versagen auch Verantwortung übernehmen können. Die drei Wochen hat Tillich sicherlich benötigt, um auszuloten, ob er auch nach seinem Rücktritt, finanziell ausgesorgt ist. Aber Biedenkopf mußte erst richtig lospoltern und für den Anstoß zum Rücktritt zu sorgen. Wenn es der zukünftigen Regierung in Deutschland nicht zeitnah gelingt, die anstehenden Probleme zu lösen, wird das sächsische Ergebnis der AfD in vier Jahren für ganz Deutschland gelten. Die NSDAP hat auch vier Jahre benötigt, um an die Macht zu kommen. Das Problem bei der AfD liegt in erster Linie daran, dass die Führungsspitze noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Es ist z.B. ein unhaltbarer Zustand, dass es immer noch Unterschiede in der Rentenhöhe zwischen Ost und West gibt. Wo Gelder vorhanden sind, um Banken, die sich verzogt haben zu retten, wird man auch noch Gelder haben, um die Rentenkasse zu füllen.