Rotes Rezept gesucht - Bewährungsprobe für Wagenknecht

Massive AfD-Konkurrenz, offene Personalfragen und gemischte Gefühle zwischen Protest und Regierungswillen: Die Linke ist in heikler Lage. Schaffen Wagenknecht und Co. die Trendwende? Foto: epa/Peter Endig
Massive AfD-Konkurrenz, offene Personalfragen und gemischte Gefühle zwischen Protest und Regierungswillen: Die Linke ist in heikler Lage. Schaffen Wagenknecht und Co. die Trendwende? Foto: epa/Peter Endig

BERLIN/HANNOVER (dpa) - Die Linken sind abgerutscht. Wenige Tage vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sind die Umfragewerte bei 13 bis 14 Prozent im Keller, während die AfD mit über 20 Prozent rechnen kann. In Berlin, wo zwei Wochen später gewählt wird, sind die Linken zwar mit rund 17 Prozent stabil. Doch setzt SPD-Regierungschef Michael Müller strikt auf Rot-Grün - ohne ein weiteres Rot. Und ob sich die Linken nächstes Jahr im Bund noch auf einen Regierungskurs an Seiten von SPD und Grünen durchringen können, ist völlig ungeklärt.

Der Burgfrieden der Führungsriege wird zu alledem durch die Frage der Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl belastet. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht dürfte auf jeden Fall dabei sein. Dass sie beim Parteitag in Magdeburg im Mai eine Torte mitten ins Gesicht bekam und danach mit einer Kampfesrede den Saal als Einzige richtig mitriss, hat ihre Stellung weiter gefestigt.

Jüngste interne Kritik an ihren Forderungen nach den islamistischen Anschlägen vom Sommer, auch Gefahrenpotenziale der Flüchtlinge müssten erkannt werden, blieb folgenlos. Wagenknecht schwört die Partei auf Protest und Gradlinigkeit ein - es ist auch eine Bewährungsprobe für die unangefochtene Frontfrau, ob die Linke in den kommenden Monaten wieder mehr nach vorne kommt.

«Die Wähler müssen spüren: Wir sind nicht eine der Parteien, die in der Opposition das Blaue vom Himmel versprechen und dann in einer Regierung das Gegenteil machen», mahnt die 47-Jährige. «Es muss dann auch eine Realisierung von Wahlversprechen geben, sonst darf man nicht regieren.»

Konflikte zwischen der Freundin radikaler Zuspitzung und dem durch und durch realpolitischen Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch dringen nicht nach außen. Auch die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger stehen für Geschlossenheit der vor wenigen Jahren noch heillos zerstrittenen Linken. Das Prinzip Harmonie haben die Führungsleute heute so verinnerlicht, dass manche führende Fraktionsleute offene Debatten über heikle Fragen vermissen - etwa zur Steuerpolitik. Ein zündendes, gemeinsames Rezept gegen die AfD und für neue Erfolge sucht man vergebens.

Wagenknecht und Bartsch, Wagenknecht und Kipping oder Wagenknecht, Bartsch, Riexinger und Kipping - das sind die in der Partei kolportierten Szenarien, wenn man nach den Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl fragt. Als wahrscheinlich gilt, dass Riexinger diesmal auch für den Bundestag antritt - dann könnte es auf die Vierer-Lösung rauslaufen. Acht Spitzenleute wie im Wahlkampf 2013 sollen es möglichst nicht wieder werden.

Offen ist die Rolle Gregor Gysis - der langjährige Politstar will dem Vernehmen nach nicht vor Ende September sagen, ob er wieder antritt. Ein Rückzug oder ein Ehrenposten bei den europäischen Linken wäre eine Überraschung - zumal immer noch Chancen für ein rot-rot-grünes Linksbündnis im Bund bestehen. Das ist Gysis Traumprojekt zur Ablösung von Kanzlerin Merkel.

Wagenknecht lässt aber keine Chance aus, auf die SPD einzuhauen. Klar - einer Bürgerversicherung und einer Vermögenssteuer würde die Linke sofort zustimmen. «Aber die SPD redet nur und handelt nicht. Sie hat keine Linie», setzt die Fraktionschefin sofort hinzu. Das sehe man an Widersprüchen, etwa wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel das US-Handelsabkommen TTIP kippen, Ceta mit Kanada aber durchdrücken wolle. «Herrn Gabriel beschädigt sich selbst und die Wahlchancen der SPD, wenn er jede Woche etwas anderes erzählt.»

Führende Grüne könnten es ohnehin offenbar kaum noch erwarten, mit Merkel am Kabinettstisch zu sitzen, ätzt Wagenknecht. «Und auch bei der SPD gibt es nicht wenige, die die große Koalition fortsetzen wollen - es sei denn, die Linke wird sehr stark», meint sie. «Das hilft dann auch denen in der SPD, die die Nase voll von Merkel haben.»

So hält die Frau von Ex-SPD- und Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine die Regierungsperspektive ein bisschen offen. Sonst würde sie viele Vertreter des pragmatischen Reformerflügels in ihrer Partei völlig vor den Kopf stoßen. Käme es 2017 wirklich zu Koalitionsverhandlungen mit den Linken, wäre es an Wagenknecht, die Gegner jeglicher Kompromisse in der Partei umzustimmen.

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Jack N.Kurt Leupi 22.12.16 17:49
Rotes Rezept /Herr Jürgen Franke
Geehrter Jürgen, so sehe ich es auch ! Sollten die "Grünen", die vor 30 Jahren noch Hellgrün waren ,leider nun schon Dunkelgrün geworden sind , in ein Bündnis mit den "Christlichen" eingehen, sind sie für mich nur noch "Verräter "! Lässt die Jungen mit Sahra an die Macht und entfernt die Alten, teilweise senilen und arterienverkalkten Sesselkleber mit ihrer fragwürdigen Vergangenheit ! Es müssen Junge aufs Tablett , mit frischem Blut und innovativen Ideen und keine Höhlenbewohner und Neandertaler mit verrosteten Steinzeit- gedanken ! Enough is enough ! Good Luck for Germany !
Dracomir Pires 02.09.16 11:49
Vielen Dank auch, Mutti Merkel
Mit ihrem fürchterlichen "wir schaffen das" hat sie der AfD einen unglaublichen Schub verliehen. Dies ist reine Notwehr der nicht gefragten Bevölkerung.
Jürgen Franke 01.09.16 15:07
Frau Dr. Wagenknecht
hat ein fundiertes Wissen, ist rhetorisch brillant und sieht zudem noch gut aus. Bedauerlicherweise sind das offensichtlich alles Negativpunkte, um in Deutschland gewählt zu werden. Es ist für mich einfach nicht nachvollziehbar, wie einige Traumtänzer von der AfD gewählt werden können. Aber das Protestpotential der Deutschen schöpfen die offensichtlich ab. Es wäre nicht auszudenken, wenn es wirklich der CDU gelingen würde, mit den Grünen eine Regierung bilden zu können. Aber Souverän entscheidet bekanntlich.