Land der «Abgehängten»? - Neue Wachstumsdaten der US-Bundesstaaten

 Hinweisschild auf eine Kohlemine in West Virginia. Foto: epa/Davis Turner
Hinweisschild auf eine Kohlemine in West Virginia. Foto: epa/Davis Turner

WASHINGTON/BERLIN (dpa) - Mit dem Slogan «Amerika zuerst» will Donald Trump vor allem Regionen im Land Hoffnung machen, in denen es ökonomisch düster aussieht. Aber wie genau schlagen sich die einzelnen US-Bundesstaaten in ihrer Wirtschaftskraft? Frische Zahlen zeigen ein gemischtes Bild.

Die Enttäuschten, die Arbeitslosen, die aus der Mittelschicht Abgerutschten: Der Zuspruch aus solchen Milieus gilt als eine wichtige Ursache für Donald Trumps Wahlerfolg. Der enttäuschte weiße Mann aus dem «Rust Belt», dem «Rost-Gürtel», dem ehemaligen industriellen Kerngebiet im Mittleren Westen - so charakterisierten Wahlforscher den typischen Trump-Wähler. Doch sind viele Amerikaner wirklich «abgehängt» - und, wenn ja, wo?

Das Handelsministerium in Washington lieferte am Donnerstag neue Fakten zum regionalen Wachstum. Dabei offenbaren die Daten des Bureau of Economic Analysis (BEA) größere Unterschiede zwischen einzelnen Bundesstaaten. Sie zeigen ebenso: Dort, wo der Präsident besondere Einbußen der heimischen Wirtschaft - auch wegen ausländischer Konkurrenz - beklagt, scheint die Lage oft gar nicht allzu arg zu sein. Und manchmal weicht die Wahrnehmung eher von den Problemen ab.

So sticht in der Übersicht ausgerechnet das strukturschwache, landwirtschaftlich geprägte South Dakota heraus, wo noch ein guter Teil der Bevölkerung einem Stamm der Sioux-Indianer angehört oder von ihnen abstammt: Es verzeichnet die größte Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vom zweiten zum dritten Quartal 2016 - plus 7,1 Prozent. Die Statistiker haben die Werte um die Inflation bereinigt und auf die geschätzte Entwicklung im Gesamtjahr hochgerechnet. Regionale Schlusslichter mit den einzigen Rückgängen, jeweils um 0,1 Prozent: Alaska und New Mexico.

Solche Differenzen zwischen dem Wachstum einzelner Gegenden seien in einem Land von der Größe der USA ganz normal, erklärt Galina Kolev, Konjunkturexpertin am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. «Die Regionen haben auch unterschiedliche Ausgangsniveaus.» In kurzer Frist - von Quartal zu Quartal - sei die Aussagekraft der Werte zwar relativ gering. Betrachte man längere Zeiträume, nehme sie aber zu.

Beispiel «Rost-Gürtel»: Das alte Herz von Amerikas Schwerindustrie südlich der Großen Seen sprach Trump im Wahlkampf immer wieder an, versprach, dass es den Menschen dort unter ihm besser gehen werde. West Virginia, einst ein florierendes Kohle-Revier, sei ein Fall, in dem es längerfristig «nicht so rosig» aussehe, meint Kolev. Dort sei die Leistung der Wirtschaft im dritten Quartal 2016 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um satte 3 Prozent zurückgegangen - während die Daten für das dritte Einzelquartal 2016 nun eine etwas trügerische Zunahme um 0,9 Prozent ergaben.

«Dieser Staat war Ende 2008/Anfang 2009 vergleichsweise gut durch die Folgen der Finanzkrise gekommen - aber seit Ende 2009 geht es immer wieder nach unten», sagt die Ökonomin. «Das dürfte mit eine Erklärung für den großen Stimmanteil sein, den Trump dort bekommen hat.» Trump hatte den Kohlekumpels versprochen, ihre Minen wieder zu öffnen - eine politisch eher waghalsige Ankündigung.

Auch der Blick weiter nach Norden zeigt ein gemischtes Bild. In Pennsylvania, Ohio und Indiana - alles klassische Industriestandorte - gelangen kurzfristig Zuwächse von immerhin 3,3 bis 3,9 Prozent. Michigan, der Heimatstaat der einst glänzenden «Motor City» Detroit, konnte sein regionales BIP um 4,2 Prozent steigern. Gar nicht so übel, möchte man angesichts einer Rate von 3,5 Prozent für die gesamten USA als weltgrößte Volkswirtschaft im dritten Jahresviertel 2016 denken. Für das Schlussquartal 2016 schätzte das Handelsministerium landesweit ein BIP-Wachstum von auf das Jahr gerechnet 1,9 Prozent.

Unabhängig von der Frage, was derlei Daten über die Lebenswirklichkeit der Menschen sagen: Dass Trumps Wirtschaftspolitik den Krisenregionen helfen kann, darf bezweifelt werden. Mit rigoroser Abschottung nach außen mehr eigene Jobs im Innern schaffen - dieses Rezept hat er vor allem für US-Staaten ausgerufen, die mit dem Tempo der Zentren nicht mithalten können. Importe aus China oder Europa sollen nun erst recht vermieden werden: «Wir müssen unsere Grenzen vor Verwüstungen durch andere Länder schützen, die unsere Produkte herstellen, unsere Firmen klauen, unsere Arbeitsplätze zerstören», tönte er. Das Versprechen: In Kombination mit Investitionen in die Infrastruktur lassen sich so Millionen Jobs in den USA schaffen.

Tatsache ist jedoch auch: Über das ganze Land gesehen hat sich die Arbeitslosenquote verringert. Während sie nach der Rezession 2009 lange über 8 Prozent lag, betrug sie Ende 2016 noch 4,7 Prozent. Und: Die Abschottung würde die Produkte im Inland erstmal verteuern. Ob die Löhne da so ohne weiteres mitziehen? Ein Vabanquespiel, bei dem die Arbeitnehmer das volle Risiko tragen.

Vor allem die örtlichen Probleme sind nicht zu unterschätzen. Die USA kennen Strukturpolitik zur Verteilung der Lasten über das gesamte Land nur ansatzweise. Die Nation besteht aus florierenden Regionen an den Küsten. Das was dazwischen ist, bezeichnen viele als «Fly-Over-Country», das Land, über das man nur hinwegfliegt. Und genau dort herrschen die Probleme.

Viele Amerikaner sind hoch verschuldet, die Industrie schwächelt. Und nimmt man die Entwicklung der Durchschnittseinkommen pro Kopf, stehen Staaten wie Ohio tendenziell auf der Verliererseite, wie Oliver Holtemöller erklärt. Sie seien «gegenüber dem US-Durchschnitt zwischen 1997-1999 und 2013-2015 zurückgefallen», sagt derVizechef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). Seine Kollegin Kolev wundert das Wahlergebnis denn auch kaum: «Es ist wenig überraschend, dass die Bevölkerung in abgeschlagenen Regionen nach Alternativen sucht.» Ein Schutz alter Industrien helfe aber wenig.

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